Ampeln und Co.: Wie technische Regelwerke die Verkehrsplanung beeinflussen
Seine Einwände möchte Becker jedoch nicht als Generalkritik an der FGSV verstanden wissen. Er lobt, dass die Arbeitsgruppen des Vereins langsam einen Handlungsbedarf erkannt hätten. So hat ein Arbeitskreis zahlreiche relevante Regelwerke auf ihre Tauglichkeit für Klimaschutz und Verkehrswende abgeklopft und im vergangenen Jahr die wichtigsten Handlungsfelder im Bericht „E-Klima“ zusammengefasst.
Verkehrsplanung für das Klima
Markus Friedrich hat in der Arbeitsgruppe mitgearbeitet. Auch der Professor für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik an der Universität Stuttgart betont, dass die Regelwerke den Planenden und der Politik schon heute einen Gestaltungsspielraum geben würden. Das Klimaschutzgesetz mache erstmals konkrete Vorgaben zu den Klimazielen, wie das bisher nur bei der Luftreinhaltung und beim Lärmschutz der Fall war. Friedrich: „Die Empfehlungen von E-Klima greifen die Pflichten aus dem Klimaschutzgesetz auf und ermutigen Planende, die vorhandenen Regeln zugunsten des Fußgänger- und Radverkehrs zu interpretieren.“
„E-Klima klingt erstmal super, schlägt aber keine konkreten Maßnahmen vor“, urteilt dagegen Oliver Schwedes. Er hält E-Klima für eine Reaktion auf den öffentlichen Druck, den er und sein Kollege Udo Becker durch zahlreiche kritische Veröffentlichungen aufgebaut hätten. Dennoch sei es ein Schritt in die richtige Richtung – mit einer Abkehr vom Mantra des leichten Verkehrsflusses und vom Anspruch, FGSV-Regelwerke seien allein objektiven Fakten verpflichtet.
Die FGSV bewegt sich also doch – zumindest in den Fragen zur klimagerechten Verkehrsplanung. Strittig bleibt, wie der Verein mit Meinungen von Nicht-Fachexperten umgehen sollte. Für Oliver Schwedes gehören die zur Entscheidungsfindung dazu. Eine Anhörung von Ländern und weiteren Institutionen wie dem Deutschen Städtetag findet bei Regelwerken bereits statt. Ein Beispiel sind die Richtlinien für die integrierte Netzgestaltung (RIN), eines der zentralen Regelwerke der FGSV, das eine abgestimmte Verkehrsnetzentwicklung von nationalen Verbindungen mit Autobahnen bis zu Erschließungsstraßen etwa in Wohngebieten zum Ziel hat.
„Für die Einwände brauchten wir vier dicke Aktenordner“
„Das Regelwerk hat 30 Seiten, für die Einwände brauchten wir vier dicke Aktenordner“, so Jürgen Gerlach. Würde man die Anhörung auf eine öffentliche Beteiligung erweitern, stünden Aufwand und Ertrag in keinem vernünftigen Verhältnis mehr. Und die Erfahrung zeige, dass Bürgerbeteiligung sofort für politisch gefärbte und extreme Positionen missbraucht werde.
Verteidiger und Kritiker der FGSV diskutieren auch die Frage, ob die Regelwerke des Vereins künftig kostenlos sein sollten. Eine Bürgerinitiative etwa kann sich den Download kaum leisten, das Abo allein für die Regelwerke zum Themenbereich Straßenverkehrstechnik kostet ab 465 Euro pro Jahr. Schwedes plädiert dafür, dass alle Publikationen frei verfügbar sein sollten, schließlich würden diese mit Steuergeldern erstellt. Gerlach hat dafür zwar Verständnis, macht aber geltend, dass das Geld dann woanders herkommen müsse, zum Beispiel aus dem Bundesverkehrsministerium. Doch das will er auf keinen Fall. Aus anderen Ländern mit ähnlichen Einrichtungen sei bekannt, dass Politiker das Geld früher oder später als Druckmittel einsetzten, um Regelwerke nach ihren politischen Vorstellungen maßzuschneidern. Gerlach: „Man kann einiges an der FGSV kritisieren – aber politisch ist sie hundertprozentig unabhängig. Und das wollen wir unbedingt erhalten.“