Vom Maschinenbauer zum Vertical: Wie der E-Commerce Industrien voranbringt
Eines vorweg, im Folgenden geht es zwar um E-Commerce, Digitalisierung und Vertikalisierung. Es geht aber nicht um Disruption und Digitalisierungsmodelle, die Gründern oder Investoren gefallen, sondern die den Produzenten einen wirklichen Mehrwert liefern. Wie kann der E-Commerce also die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle in der Industrie voranbringen?
Was heißt nochmal Vertikalisierung?
Nehmen wir als Beispiel einen Hersteller mobiler Stromerzeuger und stationärer Generatoren, der bis dato nur mit dem Verkauf dieser teils kundenindividuellen Geräte Geld verdient hat. Im industriellen Kontext würde Vertikalisierung bedeuten, dass der Hersteller nun vor- und nachgelagerte Schritte der Supplychain in seine Wertschöpfungskette integriert. Das kann etwa bedeuten, dass er zukünftig auch Komponenten selbst fertigt, statt sie hinzuzukaufen. Oder dass er sein Angebot um Serviceleistungen wie Aufbau und Einbau ergänzt oder praktische Software für Monitoring und Lastmanagement anbietet. Würde das Unternehmen die Software-Plattform für Dritte öffnen, spräche man hingegen von einer horizontalen Erweiterung des Geschäftsmodells.
Die Rolle des E-Commerce
Wie kann der E-Commerce in diesem Szenario eine so große Rolle spielen, dass er die Vertikalisierung voranbringt? Die Logik ist einfach: Das neue Geschäftsmodell muss sich für den Produzenten lohnen. Dazu müssen die Leistungen schnell in den Markt und zahlreiche Kunden erreichen. Außerdem sollen sie kostengünstig vertrieben werden, um eine hohe Marge zu sichern. Da kommt der E-Commerce ins Spiel: Er verlängert das Vertriebsgeschehen ins Digitale und erlaubt prinzipiell wesentlich agilere und kostengünstigere Vertriebsprozesse. Und ohne den effizienten Vertrieb der neuen Leistungen eben keinen Erfolg.
Klassischer Vertrieb ist meist keine Lösung
Nun könnte die Alternative ja sein, die bestehenden klassischen Vertriebsstrukturen zu erweitern oder ganz neue Strukturen für das Vertical aufzubauen. Das ist aber meistens kostspieliger als der Aufbau des Verticals selbst – und stellt dessen unternehmerischen Nutzen damit insgesamt in Frage.
Bleiben wir beim Beispiel des Generator-Herstellers. Solange nur zusätzlich Ersatzteile zu den Geräten und Anlagen der Eigenmarke angeboten werden sollen, wird dies noch in den etablierten Vertriebsstrukturen funktionieren. Doch selbst in dieser Situation versuchen die Hersteller, die ihre Leistungen indirekt vertreiben, den Endkunden dazu zu bewegen, direkt mit dem Unternehmen zu interagieren. Dazu werden in der Regel Bonusprogramme inklusive eines Online-Prämienshops aufgesetzt. Zugegebenermaßen eine sehr rudimentäre Form des E-Commerce, aber dennoch E-Commerce.
Spätestens wenn aber die Produkte als Whitelabel angeboten werden, sind die Kunden wirklich nicht mehr direkt erreichbar beziehungsweise ist der abzudeckende Markt so groß, dass er für die Vertriebsorganisation eines Herstellers nicht mehr zu bearbeiten ist. E-Commerce ist dann oft der einzige Weg, den Markt zu erschließen. Werden hingegen Softwareservices angeboten, ist der Vertrieb per se auf digitale Kanäle angewiesen. Niemand bucht eine Subscription im Werksverkauf, beim Fachhändler oder Einrichtungspartner.
Dabei spielt es auch keine große Rolle, wer letztlich die Leistung verkauft. Via E-Commerce lassen sich genauso auch Lieferanten, Fach- oder Großhändler in einen digitalen Vertriebsprozess integrieren. Das gleiche gilt für die unterschiedlichen Touchpoints. Für einen Headless-Commerce-Ansatz ist es unerheblich, ob die Transaktion am POS, im eigenen Shop, auf Drittanbieter-Portalen oder in der App des Außendienstmitarbeiters stattfindet. Gerade diese Agilität und Flexibilität des E-Commerce ist fast schon zwingend nötig, um das Vertical voranzubringen. Denn niemand weiß ja zu Beginn, welcher Absatzkanal oder Kanalmix der erfolgreichste sein wird – und wie lange er das bleibt.
Die große Herausforderung
Warum nutzen aber zu wenige diese Chancen, das Geschäftsmodell zu erweitern? Der Grund ist meist eine Gemengelage aus fehlender Vision, mangelndem Wissen und einer traditionellen, tief verankerten Perspektive auf das Business. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass Vertrieb auch anders funktionieren kann. Doch das ohne Innovationen keine Zukunft möglich ist und es daher einen Perspektivenwechsel braucht, weg vom physischen Produkt hin zur kundenzentrierten Dienstleistung, ist sicherlich auch nicht mehr neu. Unternehmen wie Vorwerk, Würth, Dr. Oetker, Krones oder der Stahlhändler Klöckner machen es vor.
Mangelndes Know-how
Die größte Hürde ist dabei meist fehlendes Wissen und ein zu enges Verständnis von E-Commerce. Viele setzen ihn schlicht mit einem Onlineshop gleich. Und sind zudem der Überzeugung, dass sich ein Shop nur für einfache Handelswaren und hohe Absatzzahlen lohne. Die Komplexität der eigenen Produkte und die eher überschaubaren Stückzahlen im Direktvertrieb machten den Aufbau einer eigenen E-Commerce Strategie aber zu aufwendig und damit unwirtschaftlich.
Da solche Unternehmen keine Vertriebsperspektive sehen, bleibt schließlich die Erweiterung des Geschäftsmodells in den Kinderschuhen stecken.
Komplexität ist kein Showstopper
Am obigen Beispiel lässt sich dieser Trugschluss aber sehr gut nachweisen. Natürlich lassen sich die Komponenten, da es sich um recht klar zu beschreibende und im industriellen Kontext wenig komplexe Produkte handelt, online sehr gut vertreiben. Sowohl über eine eigene Plattform wie auch über B2B-Marktplätze. Doch wie sieht es beim fertigen Endprodukt aus? Produkte wie Generatoren für Fahrzeuge, für Kühlcontainer oder zur Festinstallation erscheinen im ersten Moment schon als recht komplexe, individuelle Lösungen.
Gib einfach mal Stromerzeuger bei Google ein und schau dir die Ergebnisse genau an. Es gibt etliche Unternehmen, die ihre Produkte online anbieten und auch einige, bei denen sie direkt kaufbar sind. In der Regel lässt sich das Sortiment auch recht gut nach Anwendungsbereichen (mobil, stationär, Fahrzeug, Container) und einigen wenigen Merkmalen (Leistung, Maße, Bauweise) sortieren. Letztlich sind die Anforderungen gar nicht so vielschichtig. Soll es dann doch mal eine wirklich kundenindividuelle Lösung sein, ist das nichts, womit ein Angebotskonfigurator nicht umgehen könnte. Auch das ist E-Commerce. Die Komplexität ist also meist kein valides Ausschlusskriterium.
Weiterentwicklung des Verticals
Dank E-Commerce hat das neue Geschäftsmodell also eine Chance im Markt. Kann er aber auch die Entwicklung des Verticals voranbringen? Ein klares Ja! Für die Weiterentwicklung braucht es vielfältige Daten aus dem Markt: zum Kaufverhalten, zu den bevorzugten Produkten und komplementären Services, über eventuelle Probleme und Verbesserungsvorschläge, aber auch zu Anwendungsmöglichkeiten, an die bisher nicht gedacht wurde.
Datengetriebenes Business
Das klingt trivial, ist aber für viele Industrie-Unternehmen ein gewaltiges Problem. Sie sind es nicht gewohnt, aus Kunden- und Transaktionsperspektive zu denken. Viele führen Kunden schlicht anhand der Kundenstammdaten ohne sie mit Produkt- und Auftragsdaten zu konsolidieren. Ohne eine leistungsbezogene Kundensicht lässt sich ein Geschäft aber nur schwer weiterentwickeln.
E-Commerce ermöglicht es auf einfache Art und Weise, die Kundenkommunikation technisch und inhaltlich zu steuern und zu nutzen. Prinzipiell sind alle Leistungen, die ein Kunde bezieht und zu der er Fragen hat, gekoppelt an ein Produkt. Kunde, erstandenes Produkt und ergänzende Leistungen lassen sich über die jeweilige ID immer zweifelsfrei zuordnen und transparent darstellen. Ergänzt werden diese Transaktionsdaten durch Recommendations und Bewegungsprofile, die etwas über generelle Interessen aussagen.
Auf einer hohen Abstraktionseben versorgt der E-Commerce Industrieunternehmen also mit den relevanten, transaktionsbezogenen und vor allem mehrheitlich strukturierten Daten, um eine valide Kundensicht zu erhalten. Dies ist die Basis für eine weitere, zielgerichtete Vertikalisierung und Horizontalisierung des Geschäfts.
Fazit
E-Commerce ist nicht gleichzusetzen mit Onlinehandel im klassischen Sinne. Es geht um smarte Transaktionsprozesse im Digitalen. Und diese sind essentiell, will man neue Leistungen aus einem Vertical schnell in den Markt bringen und skalieren. Das dabei auch nutzerspezifische, vertriebsrelevante Daten generiert werden, die einen zielgerichteteren Auf- und Ausbau des Verticals ermöglichen, ist nur ein weiterer Vorteil.