Wie Konsum unser Leben beeinflusst – und was wir daraus lernen können - t3n

Eine Gesellschaft, die weniger auf Luxus und Konsum fixiert ist: Schaffen wir das? Im Prinzip ja, meint der Historiker und Konsumforscher Frank Trentmann. Frank Trentmann lehrt und forscht an der University of London und am Centre for Consumer Society Research, Helsinki. Einer breiteren Öffentlichkeit ist er bekannt geworden als Autor des Buches Herrschaft der Dinge: Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute. Darin diskutiert Trentmann die historischen, psychologischen, philosophischen und politischen Dimensionen des Habenwollens. Das Interview haben wir 2023 geführt. Es ist zuerst in der Ausgabe 1/2023 von MIT Technology Review erschienen. MIT Technology Review (TR): Die aktuelle Inflation und die Energiekrise zwingen uns, uns einzuschränken. Das wird durch die Klimakrise nicht besser werden. Aber eigentlich ist Luxus doch eine gute Sache, oder? Frank Trentmann: Man sieht, dass Sie ein Mann der Moderne sind. Das, was Sie beschreiben, ist eine Schlussfolgerung, die Zeitgenossen in der Moderne über Luxus ziehen. Und die wendet sich ganz stark ab von einer älteren, kritischen Reaktion auf Luxus, in der Luxus etwas Negatives war. Etwas, das eingeschränkt werden muss, insbesondere bei Frauen und bei unteren Gesellschaftsschichten. Frauen zum Beispiel, die einst Lust auf modische Baumwollstoffe hatten, wurden mit Strafen belegt, weil die Politik, die Kirchen und die Zünfte der Meinung waren, solch ein Konsum würde die gesellschaftliche Ordnung untergraben. Etwa seit dem 17. und 18. Jahrhundert gibt es eine positivere Ausleuchtung von Konsum. David Hume, der berühmte schottische Philosoph, weist etwa darauf hin, dass Luxus letztlich historisch relativ ist. Also was gestern Luxus war, kann heute schon normaler Teil des Lebens sein. Und er wies darauf hin, dass der Drang nach einem besseren Leben Arbeitsplätze schafft, die Menschen in Städten zusammenbringt, also Geselligkeit fördert, die Verfeinerung des Lebens mit sich führt. Denken Sie an bessere Kleidung, interessantere Konzerte, verfeinerte Speisen und Ähnliches. Und dass Konsum durch Wirtschaftswachstum eben auch die Nation stärkt. "Die Steigerung des Konsums im größeren Zusammenhang" TR: Für viele ist ein gewisses Konsumniveau mit Freiheit und Demokratie verbunden. Würden Einschränkungen bedeuten, dass die Gesellschaft dann weniger freiheitlich und demokratisch ist? Frank Trentmann: Das ist historisch vollkommen falsch. Der Zuwachs an Konsum geht in der Geschichte nicht unbedingt auf den einzelnen Bürger zurück. Die Steigerung des Konsums geschieht in einem größeren Zusammenhang, der von Staat, Imperien, Städten und Gemeinden und auch Unternehmen geschaffen wird. Also die Güter, wie Autos, Waschmaschinen, die Idee, dass die Wohnung nicht kleiner als 75 Quadratmeter sein kann – das alles ist nicht einfach der Fantasie des einzelnen Bürgers entwachsen. Sondern die gibt es, weil es auch Autobahnen gibt, Städtebau, Kredite – und auch den Sozialstaat, der eben eine Bühne schafft, auf der selbst schlechter bemittelte Klassen Zugang zu diesen Gütern finden. [crosslinks ids=1657770,1657769,1659466] TR: Was bedeutet das konkret? Frank Trentmann: Die Art, wie wir leben und konsumieren, ist nicht natürlich entstanden, sondern das Resultat spezifischer Interventionen. Wenn heute Regierungen sagen, dass sie sich in bestimmte Dinge nicht einmischen können, weil sie sonst den Konsumenten auf die Füße treten würden, muss ich als Historiker widersprechen. Was haben sie denn vor 100 Jahren gemacht? Sie haben Städteplanung betrieben. Straßen sind gebaut worden, Bibliotheken, Sportplätze. TR: Können wir diese Form der Konsumsteigerung denn überhaupt als Fortschritt werten? Frank Trentmann: Die Idee des Fortschritts ist mit dem Ausweiten des Konsums verbunden, mit einem höheren Lebensstandard. Es gab aber eine Reihe von Liberalen in der Vergangenheit, die argumentierten, Konsum ist gut, aber er darf nicht auf Kosten der anderen gehen. Aktuell ist es aber so. Das fällt uns leicht, weil es hauptsächlich andere sind, die gar nicht zu unserer Gesellschaft gehören, sondern in Teilen Afrikas, Lateinamerika oder auch Russlands leben, wo etwa seltene Metalle herkommen. Da leben wir ein bisschen eine Selbstlüge, weil wir die Schäden des Konsums meist nicht unmittelbar erfahren, sondern externalisieren. Das Grundproblem ist, dass wir uns in einer liberalen Gesellschaft schwertun, Steuerungsmechanismen einzusetzen, die möglicherweise gut für das Allgemeinwohl sind, aber dem Einzelnen in die Quere kommen. Wir gehen davon aus, dass Konsum das eigene Ich und die eigene Identität erweitert. "Weil wir Teil einer Gruppe sein wollen" TR: Wäre es dann nicht legitim, wenn der globale Süden davon träumt, diesen Luxus nachzuholen? Frank Trentmann: Ich glaube, das wird überschätzt. Dieser psychologische Eifer, den Sie beschreiben, also den Neid auf bessergestellte Gruppen und die Idee, dass man auch so leben will, geht bis in die Antike zurück. Ich weiß aber nicht, ob das empirisch haltbar ist. Die meisten von uns konsumieren nicht, weil wir wie Millionäre leben wollen. Es gibt guten Grund anzunehmen, dass wir häufig so konsumieren, weil wir eher Teil einer Gruppe sein wollen, die wie wir ist. Man will also gar nicht immer besser als der Nachbar sein, sondern vielleicht will man genauso wie der Nachbar sein. Das heißt, dass möglicherweise die Dynamik des Konsums viel schwieriger ist. TR: Warum? Frank Trentmann: Weil wir dann sehen müssen, dass viel unseres Konsums Teil einer gesellschaftlichen Normalität ist, die eine Art Sog auf uns ausübt. Wir leben in stark verstädterten Gesellschaften, die auf grundsätzlichen Ideen über das gute Leben und Normen beruht. Also man fliegt im Sommer in den Urlaub. Das ist ja nicht nur, weil die Eliten in den Urlaub fliegen, sondern ist Teil einer Routine geworden. Noch bis in die frühen 80er-Jahre sind die meisten Bundesbürger nicht in den Urlaub geflogen. Österreich war das beliebteste Urlaubsland. Innerhalb von 40 Jahren hat sich das radikal verändert, und jetzt sind wir alle irgendwie dabei. Das heißt aber, wenn ich mich ausklinke, falle ich da raus. Alle meine Bekannten sagen, sie hätten wieder eine exotische Reise nach Thailand gemacht, und ich bin der Einzige, der nichts zu erzählen hat. Diese Normalisierung des Konsums, die in die Alltagsgewohnheiten eingeht, ist viel, viel schwerer, als mit dem Finger auf eine globale Elite zu zeigen. Psychologisches, soziales und materielles Selbst TR: Also eine Art Perpetuum mobile – wir leben, wie wir leben, und konsumieren, wie wir konsumieren, weil wir so leben, wie wir leben? Frank Trentmann: Es ist komplexer. Es gibt Konsumformen, die hauptsächlich Gewohnheitskonsum sind. Das Autofahren zum Beispiel. Die Urlaubsreise. Die Tatsache, dass eine Wohnung 21 Grad haben muss. Das halten wir für selbstverständlich, weil die Gesellschaft um uns herum so formiert ist, wie sie ist. Und dann gibt es andere Teile, wie das, was der Philosoph William James im späten 19. Jahrhundert das materielle Selbst genannt hat. Also, dass wir nicht nur ein psychologisches Selbst haben oder ein soziales oder geselliges Selbst, sondern auch ein materielles. Das bedeutet, dass Dinge, wie bestimmte Kleidungsstücke, Erbstücke der Großeltern bis zum Lieblingssessel oder einem bestimmten Füller, Teile unseres Selbst sind und wir uns dadurch auch definieren. Und diese Dimensionen des Konsums sind natürlich miteinander verzahnt. TR: Wie kommen wir dann zu einer neuen gesellschaftlichen Normalität? Frank Trentmann: Der erste Punkt ist, dass wir andauernd verzichten. Verzicht ist mit eingebaut im Konsum. Es ist ja nicht so, dass Sie und ich wie Dagobert Duck in einem riesigen Goldspeicher säßen und einfach alles machen können, was wir nur wollen. Wenn wir uns für eine Sache entscheiden, heißt das, dass wir eine andere nicht machen können. Eine bestimmte Art von Lebensstil bedeutet, dass andere Dinge dann eben nicht gehen – zum Beispiel Muße. Dabei gibt es ja bis ins frühe 20. Jahrhundert noch Mentalitäten, die so etwas wie Muße positiv denken. Wir denken heute, wenn jemand einfach so dasitzt und in den Himmel schaut und irgendwelche Gedanken spinnt oder einfach nur so langsam um den Teich geht, was macht der da? Hat er nichts zu tun? Freizeit muss produktiv sein. Aber die Geschichte zeigt uns, das muss gar nicht so sein. Es gibt in der Vergangenheit viele Kulturen, in denen Muße positiv bewertet wird. Auch für die Gesellschaft ist Muße eine wirklich wichtige Ressource, weil sie Fantasie freisetzen kann. TR: Was können wir noch lernen? Frank Trentmann: Wir können aus der Geschichte lernen, dass die Städte und unser Alltag nicht immer schon so gewesen sind wie heute. Es gibt ein sehr schönes Beispiel aus Japan von der Lebensreform-Bewegung in der Zwischenkriegszeit. Da hat sich ganz gezielt das japanische Innenministerium mit Architekten, Städteplanern und einer Hausfrauen-Bewegung zusammengetan, um modernes Leben einzurichten. Traditionelle Lebensformen in den Haushalten, in der Kleidung, im Kochen, im Heizen, in der Freizeit sollten reformiert werden. Und sie haben eine riesige Kampagne gestartet, um ganz neue Lebensgewohnheiten zu schaffen. TR: Könnte das ein Beispiel für den notwendigen Wandel sein? Frank Trentmann: Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wir mit vereinten Kräften auch heute unser Konsumverhalten radikal ändern können, auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Aber dazu braucht es mehr, als nur auf den einzelnen Verbraucher und seinen Lebensstil zu schauen. Das muss wirklich eine verzahnte staatliche und gesellschaftliche Kooperation sein. Nachhaltigen Konsum neu entwerfen TR: Dafür brauchen wir natürlich auch erst mal einen gesellschaftlichen Konsens darüber, in welche Richtung es gehen soll. Frank Trentmann: Das würde ich verneinen. Die meisten Interventionen in der Vergangenheit sind nicht das Resultat von Konsens gewesen. Man muss sich nur damit abfinden, dass das zwar ein gesellschaftlicher Prozess ist, es aber Gewinner und Verlierer geben wird. Eindeutig. Aber schauen wir uns die Klimakrise an – da gibt es doch schon irrsinnig viele Verlierer. TR: Wenn hier der Konsum nicht reguliert wird, kommen wir wahrscheinlich zu einer Situation, in der nach wie vor eine kleine gesellschaftliche Elite viel konsumiert und der Rest einfach radikal zurückgestuft wird, oder? Frank Trentmann: Das sehe ich ähnlich. Aber man könnte sich durchaus vorstellen, wie nachhaltiger Konsum mit anderen Teilen der Gesellschaftspolitik gemeinsam gedacht und neu entworfen werden kann. Nehmen wir das Wohnen. Es ist eigentlich ein Unding, dass mittlerweile etwa 42 Prozent aller Haushalte Singlehaushalte sind. Gut, von denen gibt es einige, die das ganz gezielt so haben wollen. Aber es gibt auch eine große Anzahl, für die das mit Einsamkeit, Ausgrenzung und Verarmung verbunden ist. Es gibt keinen Grund, warum man nicht mit Lebensmodellen auf den Plan tritt, in denen mehr gemeinschaftlicher Konsum – wie hier im Beispiel über gemeinsames Wohnen – wieder positiv belegt wird. Und es ist gar nicht so lange her, dass viel gemeinschaftlicher Konsum die Norm war. Nehmen wir die Privatisierung des Sports zum Beispiel. Die Leute schimpfen auf den Vereinsmeier. Aber wenn die Alternative ist, dass ich allein abgegrenzt in meiner eigenen Einzelzelle Sport treibe, ist das vielleicht was Gutes? Wir haben so ein bisschen die Fantasie verloren. Und damit meine ich nicht die technologische Fantasie. "Ich versuche immer Optimist zu sein" TR: Welche Fantasie meinen Sie denn? Frank Trentmann: Wir müssen uns viel mehr damit beschäftigen, wie Menschen Technologie tatsächlich benutzen. Ein sehr schönes Beispiel ist der Beginn der Zentralheizung in England, wo wir aufgrund von Fallstudien wissen, dass es Haushalte gab, in denen die Menschen Textilien in die Rohre und in die Schächte gestopft haben, um die Zentralheizung zu stoppen. Warum? Weil sie heiße Luft in ihre Schlafzimmer brachte, aber die Menschen gewohnt waren, in einem kalten Raum zu schlafen. TR: Als jemand, der sich mit Jahrhunderten von Konsumgeschichte beschäftigt hat: Sind Sie eher optimistisch oder pessimistisch, dass wir dieses Problem lösen können? Frank Trentmann: Ich versuche immer Optimist zu sein, weil die Geschichte zeigt, dass es immer wieder große Veränderungsmöglichkeiten gibt, die zu bestimmten Zeiten von Staat und gesellschaftlichen Gruppen auch wirklich erkannt und ausgeschöpft werden. Ich bin Pessimist, weil das Problem ja auch mit Zeitlichkeit zu tun hat und wir jetzt sehen, dass alles, was wir gemacht haben, zu spät und zu wenig war. Uns läuft die Zeit davon.