In Videospielen hat man so viele Dinge zu tun: Man baut, erntet, vermittelt, entdeckt oder entscheidet. Manchmal können diese Tätigkeiten Menschen zu ihrem Job führen – weil sie im Spiel entdecken, woran sie Freude haben und wofür sie sich interessieren. Wir haben durch einen Aufruf Gamer gefunden, bei denen genau das passiert ist.
Schon in den 90ern gehörte der Flight Simulator von Microsoft zu den anspruchsvollsten Simulationen. Das Spiel versucht die Abläufe in einem Cockpit so authentisch wie nur möglich abzubilden. Inzwischen ist zu diesen Mechaniken noch eine detailreiche Spielwelt hinzugekommen, die ganze Landstriche und Städte nahezu realistisch überfliegbar macht. Kein Wunder also, dass ein solches Spiel durchaus auch Gedanken über mögliche Berufswege beeinflusst. So war es bei Daniel:
„Seitdem ich denken kann, war ich luftfahrtbegeistert, und habe deshalb als Jugendlicher alle möglichen Flugsimulatoren rauf und runter gespielt, weil das für mich – mangels finanzieller Mittel und handwerklicher Skills, um Flugzeugmodellbau zu betreiben – die Möglichkeit war, meine Begeisterung auszuleben. Mit 14 habe ich dann die Ausbildung zum Segelflugpiloten begonnen und später meinen Privatpilotenschein gemacht, bevor ich Luft- und Raumfahrttechnik studiert habe. Heute arbeite ich als Aerodynamiker in Forschung und Entwicklung eines Unternehmens in der Luftfahrtbranche.“
Wirtschaftssimulationen sind besonders in Deutschland ein sehr beliebtes Videospiel-Genre. In ihnen können, je nach Spiel, diverse Wirtschaftsabläufe, mal mehr mal weniger realistisch, nachgespielt werden. In Railroad Tycoon etwa gilt es, eine Eisenbahngesellschaft aufzubauen und zu führen. Da diese Simulationen teils mit sehr viel Rechercheaufwand entwickelt werden, können sie durchaus Einblick geben in die Mechanismen und Vorgänge bestimmter Wirtschaftszweige. Jay haben diese Spiele auf dem Weg zur Berufsfindung geholfen.
Er sagt, dass er bereits seit seinem fünften Lebensjahr am PC gespielt und gebastelt hat. Je älter er wurde, desto mehr wurden Wirtschaftssimulationen zu seinem Hobby. „So richtig auf den Job bin ich durch den zweiten Bildungsweg gekommen, als man uns im Berufskolleg Wirtschaftsinformatik beigebracht hat“, sagt er. ERP-Systeme seien ein Teil der Ausbildung gewesen. Das ist die effiziente Planung betrieblicher Produktionsfaktoren. „Da habe ich festgestellt, dass das ähnlich ist wie das, was ich vorher in Wirtschaftssimulationen gemacht habe“, sagt Jay. So habe er sich entschieden, Fachinformatiker zu werden. Seit mehreren Jahren arbeitet er nun schon als Entwickler im E-Commerce.
Neben Wirtschaftssimulationen bieten auch Aufbausimulationen die Möglichkeit, sich in einem Spiel akribisch mit den Mechanismen etwa des Funktionierens einer Stadt auseinanderzusetzen. Wie wird der Verkehr gelenkt? Wohin gehören die Grünanlagen? Und haben alle Zugang zur Bildung? Das sind einige der Fragen, die sich Spieler:innen stellen müssen, wenn sie in einem Spiel wie Sim City Erfolg haben wollen. Einer davon war Benjamin, der durch Sim City zur Geographie-Promotion kam:
„Ich habe immer versucht, in Sim City lebensechte, schöne Städte zu bauen, die insgesamt funktionieren, aber auch mal einige realistische Ecken haben, an denen es Umweltverschmutzung oder Armut gibt. Sim City zeigt schön die Zusammenhänge auf zwischen Wirtschaftsentwicklung, Innovationen und Demographie. Tja, und jetzt forsche ich genau zu diesen Themen an einem Fraunhofer-Institut! Rückblickend betrachtet ist Sim City etwas zu autolastig und fortschrittsoptimistisch, aber wer weiß, vielleicht löst das Fusionskraftwerk irgendwann wirklich all unsere Probleme.“
Es müssen nicht immer nur die Inhalte eines Spiels sein, nicht die Mechaniken und Aufgaben, die Menschen auf die Idee bringen, einen bestimmten Beruf auszuüben. Manchmal kann es auch schlicht die Optik sein. Bei Jasmin war das der Fall, die unter dem Künstlernamen Pewy als Comiczeichnerin freiberuflich arbeitet. Besonders die Spiele des Studios Daedalic seien es gewesen, die sie maßgeblich dazu gebracht haben.
„Deren cartoonig-wilder Stil und Humor waren so perfekt für mich und dann dachte ich mir, dass ich auch genau sowas machen möchte. Mein Stil ist auch stark daran angelehnt und gerne würde ich mal bei einem Spiel mit 2D-Artworks aushelfen, wenn sich die Möglichkeit bietet“, sagt sie.
Für viele war Doom der erste Kontakt zu Videospielen. Der erste Teil der Reihe erschien 1993 und begründete das Shooter-Genre mit. Die 3D-Grafik war damals noch brandneu und versprach eine rosige Zukunft für die Videospiel-Branche. Sebastian hat das Spiel allerdings nicht so direkt auf einen Berufsweg gebracht, wie etwa ein Wirtschaftssimulator jemanden zur Wirtschaft führt – das wäre auch bedenklich. Vielmehr hat er durch den Shooter ein Interesse an Leveldesign gewonnen, was ihn wiederum in die Modding-Szene brachte. Dadurch kam er in Kontakt mit Programmierung und 3D-Umgebungen, die ihn wiederum zu einem Architekturstudium führten.
Heute arbeitet er als KI- und Datenforscher im Bauwesen. „Wir wenden unter anderem Methoden wie Photogrammetrie oder Laserscanning an, um anschließend mit Computer-Vision- und KI-Algorithmen Elemente von Bauwerken zu erkennen und in digitalen Modellen und Datenbanken zu erfassen“, beschreibt er einen Teil seines Berufs. Ebenso berät er die öffentliche Hand zur Digitalisierung des Bauwesens. „Ich entwickle und begleite Forschungsprojekte, die in der Schnittmenge zwischen Digitalisierung, Tech und Bauwesen liegen“.
Immer mehr Gamer betreiben ihr Hobby inzwischen professionell, etwa indem sie im E-Sport tätig werden. Die Call-of-Duty-Reihe spielt in dieser Szene auch eine wichtige Rolle. Für Tim waren das Spiel und der E-Sport aber ein Umweg zu seinem Beruf. Er ist heute IT-Consultant. „Ich hab als Student, damals Maschinenbau, ziemlich viel Call of Duty‘gespielt. So viel, dass ich irgendwann in der semi-professionellen E-Sport-Szene gelandet bin und zu Turnieren quer durch Europa gefahren bin“, sagt er.
Dabei sei ihm aufgefallen, dass es kaum gute Online-Turniere gegeben habe. Darum fing er an, selbst welche zu organisieren. „Das wurde immer professioneller, inklusive einer Website-Twitch-Übertragungen der Spiele.“ Durch diese Tätigkeit habe er seine Begeisterung für das Bauen von Websites gefunden, sein Maschinenbau-Studium abgebrochen und ist schließlich IT-Consultant geworden.
Giants Software, das Studio hinter dem Landwirtschaft-Simulator, ist stolz darauf, dass viele Landwirte und Landwirtinnen ihr Spiel spielen. Nach Feierabend setzen sie sich an den PC und spielen nochmal das nach, was sie am Tag erlebt haben. In den Simulatoren sind detailgetreue Abbildungen von Mähdreschern oder Traktoren enthalten. Der Kreislauf von Saat, Ernte und Produktion soll in den Spielen möglichst realistisch nachspielbar sein.
Doch es geht auch andersrum: Durch solche Simulatoren können Menschen bemerken, dass sie selbst gerne in der Landwirtschaft arbeiten möchten. Fabian kennt das noch von früher: „Wir haben am Feldrand gewohnt, immer, wenn was auf dem Feld los war, bin ich hin gelaufen und habe gefragt, ob ich mitfahren kann“, sagt er. So konnte er etwa den Traktor selbst fahren oder dabei helfen, Geräte zu reparieren. Heute holt er sich diese Erinnerungen durch den Landwirtschaft-Simulator wieder hoch. „Ich habe die Geräte von damals als Mods gebaut, um damit virtuell ein bisschen Zeitreise spielen zu können“, sagt er.
Fabian arbeitet heute in der IT. Er sagt aber, dass das Spielen des Landwirtschaft-Simulators ihn auf die Idee gebracht hat, selbst nebenberuflich in dem Bereich zu arbeiten. Er hat inzwischen seinen großen Traktoren-Führerschein gemacht. Sein nächster Plan ist, als Aushilfe in der Landwirtschaft tätig zu werden. „Der Beruf in der IT ist sehr theoretisch, viel Business und Politik. Da kam mir die Idee, etwas Handfestes als Ausgleich zu machen.“
Game Dev Story ist ein Simulationsspiel, in dem die Spieler:innen ein Videospiel-Studio aufbauen müssen. Sie kümmern sich um die Finanzen, organisieren die Workflows und sorgen dafür, dass das richtige Personal eingestellt wird. Es ist fraglich, ob ausgerechnet dieses Spiel schon dafür gesorgt hat, dass Gamer:innen selbst zu Spiel-Entwickler:innen werden wollten.
Fest steht aber, dass sich sehr viele Menschen auf unseren Aufruf gemeldet haben, die das Gamen dazu gebracht hat, selbst Videospiele zu entwickeln. Mando etwa hat durch das Zocken festgestellt, dass Videospiele als solche seine Leidenschaft sind. Heute arbeitet er als Game-Designer beim Berliner Studio Yager. Aranel hat Jahre lang World of Warcraft gespielt und heute ist sie 3D-Artist in der Spieleentwicklung. Oder Maria, die durchs Gamen entdeckt hat, dass sie selbst Spiele entwickeln möchte. Heute arbeitet sie beim Studio Mi'pu'mi Games.
Dadurch, dass Videospiele den Spieler:innen oft viele Freiheiten geben, sie zum Experimentieren einladen, können sie wohl mehr als andere Medien zu der Idee bringen, selbst aktiver Teil der Entwicklung zu werden. Auch rekrutieren viele Gaming-Studios aus ihren Communitys heraus, stellen etwa QA-Tester ein, die sich in Online-Games als besonders kenntnisreich und fair gezeigt haben.
In vielen Videospielen wird Geschichte rekreiert. In Assassin's Creed: Odyssey etwa, in dem das antike Griechenland spielbar wird. Freilich handelt es sich dabei nie um eine „authentische“ Darstellung von Geschichte. Sowas ist kaum möglich. Doch können Spieler:innen hier erleben, auf was für interaktive Arten die Geschichtsschreibung lebendig gemacht werden kann.
Niclas haben Videospiele dazu gebracht, Geschichte zu studieren. „Mein Vater war gezwungen, mein unbändiges Verlangen nach Videospielen mit pädagogischem Anspruch auszubalancieren“, sagt er. Und so habe der Vater zu Aufbau-Strategiespielen gegriffen. Ein Spiel davon war Pharao, das, wie der Name schon sagt, im alten Ägypten angesiedelt ist. „Mich faszinierte diese Welt: ägyptische Götter wie Ra und Osiris, die Sphinx, die Pyramiden, die Möglichkeit, die Nilfluten landwirtschaftlich zu nutzen.“ Später habe er mit seinem Vater eine Ägypten-Reise unternommen, so die Schauplätze aus dem Videospiel tatsächlich sehen können.
Nach dem Abitur sei Niclas klar gewesen, dass er Geschichte studieren müsse. Das alte Ägypten sei im Curriculum seiner Universität jedoch nicht vorgekommen, musste er mit Bedauern feststellen. „Aber auch kein Problem: Ein Glück hatte mein Vater damals meine Geschichts-Nerd-Faszination gefördert und mir auch Caesar III und Zeus – Herrscher des Olymp gekauft.“
Spätestens seit Videospiele auf optischen Datenträgern ausgeliefert wurden, spielen Stimmen in den Games eine wichtige Rolle. Statt Textboxen wegzuklicken konnten Spieler:innen fortan den Dialogen lauschen. So bekamen die Charaktere mehr Persönlichkeit, konnten Nuancen viel besser dargestellt werden. Und für einige Gamer wurden diese Stimmen zu ihrem Traumjob.
„Der Satz im Intro von Final Fantasy X: ‚This is my story‘“, sagt Vincent, habe ihn aufhorchen lassen. „Es hat dem Game eine sehr persönliche Note gegeben, die vorher nie dagewesen ist“, sagt er. „Oder auch einige Sätze in Metal Gear Solid V wie ‚Why are we still here? Just to suffer?‘ Da stand mein Entschluss fest. Da wusste ich, dass ich die Leute richtig erreichen und alle meine Stärken ausspielen kann, um den Beruf anzugehen“ sagt Vincent.
Der Beruf ist Synchronsprecher oder Stimm-Schauspieler, den Vincent heute professionell ausübt. Durch die dramatischen Geschichten in Videospielen – und ihre Vertonung durch Schauspieler:innen – hat er entdeckt, dass er selbst seine Stimme nutzen möchte, um Videospielen Leben einzuhauchen.