Anzeige
Anzeige
Kolumne

Warum wir durch KI, Bots und Algorithmen eigentlich gar keine Zeit sparen

Felix Schwenzel glaubt in seiner Kolumne für Irrelevanz nicht, dass wir wirklich Zeit sparen können. Neue Freiräume nutzen wir nur, um wieder etwas anderes zu optimieren. Aber vielleicht ist genau das ja Fortschritt.

Von Felix Schwenzel
3 Min.
Artikel merken
Anzeige
Anzeige

(Shutterstock: D Line)

Automatisierung und Effizienzsteigerung begleiten die Menschheitsgeschichte seit Jahrmillionen. Unter dem Deckmantel der Effizienzsteigerung verbringen Menschen einen Großteil ihres Lebens mit dem Versuch, Zeit zu sparen. Messungen an mir selbst suggerieren, dass wir ungefähr die Hälfte der Zeit, in der wir nicht schlafen, mit der Suche nach Zeitsparpotenzialen verbringen. Fast jedes Werkzeug, das der Mensch erfunden hat, vom Faustkeil zum Messer, vom Rad zum Automobil, vom Pergament zum Smartphone, diente der Hoffnung, mehr Zeit zur Verfügung zu haben, um andere Dinge zu machen.

Anzeige
Anzeige

Das Problem mit Effizienzsteigerungen, Automatisierungen, effektiven Werkzeugen oder bahnbrechenden neuen Technologien ist, dass wir die Mühe, die Aufwände, die wir vor der Erfindung eines neuen Effizienzsteigerungsdings hatten, kurz nach erfolgreicher Implementierung vergessen. Wir gewöhnen uns so schnell an Verbesserungen, dass uns selbst eine Steigerung der Effizienz um 100 Prozent kurze Zeit später stark verbesserungswürdig vorkommt.

Selbst in unseren pfeilschnellen, perfekt gefederten und klimatisierten Automobilen fühlen wir uns nach fünf Stunden Fahrt und anderthalb Stunden Stau wie nach einer zweitägigen, ungefederten Postkutschenfahrt. Wir regen uns über Leute auf, durch die wir auf der Autobahn ein paar Kilometer lang nur 120 statt 160 Kilometer pro Stunde fahren können. Wir vergleichen Effizienz, Komfort oder allgemeine Machbarkeit nie mit dem vorherigen Zustand, sondern stets mit irgendeinem idealisierten Optimalwert.

Anzeige
Anzeige

Statt uns zu freuen, dass wir weder Kohlen schleppen noch anzünden müssen, sondern dass sich die Heizung automatisch zum richtigen Zeitpunkt selbst zündet, sitzen wir, optimal temperiert, auf dem Sofa und überlegen, wie man das effizienter machen könnte: Vielleicht die Heizung per App regeln?

Anzeige
Anzeige

Auch wenn uns moderne Transporttechnologien immer schneller von A nach B bringen, die Nettozeit, die wir mit dem Reisen verbringen, dürfte sich in den vergangenen Jahrhunderten wenig verändert haben. Weil wir schneller reisen, können wir weitere Strecken zurücklegen. Wir haben mehr Zeit, andere Orte zu besuchen, und nutzen die auch. Weil sich immer mehr Menschen Reisen leisten können, reduziert sich die gewonnene Zeit in Staus und Warteschlangen.

Eigentlich können wir gar keine Zeit sparen. Intuitiv, aus Erfahrung, wissen wir das. Irgendwas, irgendwer verbraucht die hinzugewonnene Zeit gleich wieder.

Anzeige
Anzeige

Noch kein t3n-Abo? Dann aber schnell! Wenn du jetzt bestellst, erhältst du die Ausgabe 50 und unser t3n-T-Shirt gratis dazu. Die Aktion läuft noch bis zum 01. März 2018.

Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Fortschrittsdruck, das ­dauernde Hinarbeiten auf Optimierungen und ­Automatisierungen, die permanente Hoffnung auf bessere und schnellere Zustände (auch) ein Grund für unsere allgemeine Unzufriedenheit ist. Möglicherweise spüren wir Überfluss an Zeit und Zufriedenheit erst dann, wenn wir uns mit den ­Unzulänglichkeiten und Umständlich­keiten des Lebens abfinden und aufhören, immer Zeit sparen zu wollen.

Noch besser ist es aber vielleicht, wenn wir diese Ambiguität tolerieren und einfach zugeben, dass es uns Spaß macht, Zeit zu sparen, Routinearbeiten zu automatisieren, Details zu optimieren. Die Vermutung liegt nahe, dass der Drang zum Optimieren und Automatisieren in unserer Natur liegt und einer der Hauptantriebsmotoren für technischen (und gesellschaftlichen) Fortschritt ist. Immerhin erlaubt uns dieser Fortschritt, unsere Zeit so zu verschwenden, wie wir es gerne wollen – und nicht so, wie es die Umstände erzwingen.

Statt in der Heimat im Stau zu stehen, gewinnen wir die Möglichkeit, in New York im Stau zu stehen oder dort im Aldi-Süd-Ableger Trader Joe’s in der Kassenschlange zu stehen. Statt drei Tage mit der Postkutsche von Hamburg nach Berlin zu reisen, können wir uns nach acht Stunden Flughafenanfahrt, Sicherheitskontrollen, Boarding und Unboarding, Bus und Fährenfahrten immer noch anderthalb Tage mit tausenden anderen Touristen durch die Gassen von Venedig zwängen.

Anzeige
Anzeige

Möglicherweise dient der Fortschritt gar nicht dem Fortschritt, sondern lediglich der Umschichtung. Automatisierung spart keine Zeit, sondern verteilt sie einfach anders. Solange wir es aber schaffen, den Weg als das Ziel zu betrachten, ist das vielleicht sogar eine freudige Erkenntnis. Anders gesagt: Seit ich mich intensiver mit Automatisierung beschäftige, verstehe ich diesen Satz von Albert Camus endlich: Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
Kommentare

Community-Richtlinien

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Kommentar abgeben

Melde dich an, um Kommentare schreiben und mit anderen Leser:innen und unseren Autor:innen diskutieren zu können.

Anmelden und kommentieren

Du hast noch keinen t3n-Account? Hier registrieren

Anzeige
Anzeige