Earlybird-Mitgründer im Changerider: „Wir sind durch die Coronakrise effizienter, digitaler und klimafreundlicher unterwegs“
Disclaimer: Das Video wurde bereits 2019, weit vor der Coronakrise, aufgezeichnet. Wir haben mit Hendrik Brandis ganz aktuell noch ein telefonisches Interview geführt, um mit ihm auch über die Auswirkungen der aktuellen Krise zu sprechen.
Die Stimmung unter deutschen Startups könnte kaum schlechter sein. Viele fürchten in der aktuellen Coronakrise um ihre Existenz – wegen wegbrechender Umsätze oder auch, weil Investoren immer vorsichtiger werden. Doch das ist nicht überall so. Dem deutschen Risikoinvestor Earlybird ist mitten in der Coronakrise ein Rekord-Exit gelungen: 2011 hat man in das junge Istanbuler Spieleunternehmen Peak Games investiert. Jetzt im Juni übernahm dann der schnell wachsende US-Spieleanbieter Zynga die türkische Firma für 1,8 Milliarden US-Dollar. Dem Investor Earlybird, der zuletzt rund 30 Prozent an dem Startup gehalten hatte, spült die Transaktion mehr als 520 Millionen Dollar in die Kasse. Ein Rekord für den Investor – und für den Markt insgesamt.
Damit feiert Earlybird den größten Deal der Unternehmensgeschichte – mitten in der Coronakrise. „Grundsätzlich ist die Coronakrise eine besondere Krise“, stellt Changerider-Gast Hendrik Brandis mit Blick auf die aktuelle Situation fest, auch wenn man es beispielsweise mit der Finanz- oder auch mit der Dotcom-Krise vergleichen würde. „Erstmalig kennt diese Krise nicht nur Verlierer, sondern es gibt auch Gewinner.“ Diese seien natürlich vor allem auf der digitalen Seite zu finden, etwa die Distanzservices, selbstverständlich Amazon oder der Videodienstanbieter Zoom. Und zu den Gewinnern zähle auch der Health-Bereich. „Jetzt sind wir dankenswerter Weise genau in diese Bereiche, in digitale Industrien und Health-Startups, investiert. Insofern sind wir in Summe unseres Portfolios neutral oder eher positiv betroffen.“ Hinzu komme mit Peak Games, die, so Brandis, auch ein Profiteur dieser Krise sind, eine echte Leuchtturm-Transaktion.
„Wir haben echt was gelernt in der Krise“
Bei allen verheerenden Auswirkungen, die die Coronakrise aktuell mit Blick auf Gesellschaft und Wirtschaft hat, stellt Brandis aber auch fest: „Wir haben das Gefühl, wir haben echt was gelernt in der Krise. Wenn du heute ein Meeting ausmachst, ist das per Definition digital. Kein Mensch käme heute auf die Idee, dass man sich trifft. Vor vier Monaten war das genau umgekehrt. Der Mindshift, der auch einhergeht mit einer größeren Vertrautheit mit digitalen Medien, ist etwas, was mich beeindruckt und auch freut. Wir sind heute, letztlich getriggert durch die Notwendigkeiten der Coronakrise, effizienter, digitaler, klimafreundlicher unterwegs als vorher und werden das mit Sicherheit auch nicht wieder zurückdrehen.“ Was sich für VC nicht ändern wird, ist die Notwendigkeit des persönlichen, intensiven Kontakts bei Neu-Investitionen. „Wenn man wie wir in der Früh-Phase investiert, investiert man zu einem großen Teil in das Team. Da kommt es unglaublich darauf an, eine gute Beziehung und wechselseitiges Vertrauen aufzubauen. Ein Neu-Investment, ohne dass wir das Gründerteam persönlich und intensiver getroffen haben, ist sehr schwierig.“
Auf seiner Changerider-Fahrt, die bereits letztes Jahr stattfand, berichtet Brandis von einem Startup, in das Earlybird vor sechs Jahren eine Million Euro investiert hat und das bereits letztes Jahr mit sieben Milliarden Dollar bewertet wurde. Heute wird Uipath, ein Unternehmen, welches mit Software Arbeitsprozesse in Unternehmen automatisiert, sogar mit über zehn Milliarden Dollar bewertet und gilt als Europas höchst bewertetes Startup. An diesem Case zeigt Brandis aber vor allem das Finanzierungs-Dilemma zwischen Europa und USA. Earlybird hat die erste Finanzierung gemacht, aber schon bei der Anschlussfinanzierung sei es unglaublich schwierig gewesen, einen Co-Investor zu finden. Der US-Investor Accel ist schließlich mit eingestiegen und es hat sich dann für das Startup in den USA sehr dynamisch entwickelt. „Das weitere relevante Geld ist dann vor allem aus USA und aus Asien gekommen, auch mit der Folge, dass das Headquarter von Uipath heute nicht mehr in Europa ist.“ Die großen Wachstumsfinanzierungen seien in Europa nicht darstellbar, weil es die großen Wachstumsfonds hier nicht gibt. „Für die Volkswirtschaft in Europa ist das beklagenswert. Man kann da auch furchtbar emotional werden, denn es ist verrückt, weil wir in Deutschland eigentlich genug Mittel hätten, das zu betreiben.“
„Ich habe Sorge, dass wir aus dem Innovationspool zu wenig machen“
Laut Brandis stehen heute in der Summe aus privaten und öffentlichen Geldern etwa 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung, die im Jahr in Deutschland in Venture Capital investiert werden. Gleichzeitig würden jedes Jahr 30 Milliarden Euro aus öffentlichen Mitteln in die Förderung von Forschung und Entwicklung gesteckt. Wenn man die privaten Gelder noch hinzunähme, sei man sogar bei 90 Milliarden. Man steckt also 90 Milliarden Euro in die Erforschung von Innovation und Technologie und gerade einmal 1,5 Milliarden Euro in deren Kommerzialisierung. „Durch eine marginale Umschichtung von den 90 zu den 1,5 – man könnte etwa die 1,5 verdoppeln, was man bei den 90 vermutlich gar nicht richtig merken würde – würde dies den Output, im Sinne von erfolgreichen, innovativen Unternehmen, sofort verdoppeln. Ich habe keine Sorge derzeit, was den Pool der Innovationsdichte anbelangt. Ich habe eine Sorge dahingehend, dass wir aus dem Innovationspool zu wenig machen. Das hat zum jetzigen Zeitpunkt leider unheimlich viel mit Geld zu tun.“
Auch die Coronakrise wird hier noch einen deutlichen Impact haben. Wenn man sich die vorangegangenen Krisen anschaue, sei das Finanzierungsvolumen sowohl bei der Finanzkrise als auch bei der Dotcom-Krise um 20 bis 40 Prozent zurückgegangen und es habe damals drei Jahre gebraucht, um das Vorkrisenniveau zu erreichen. Das wird, so die Erwartung von Brandis, dieses Mal nicht anders sein. Brandis erwartet, dass die Rahmenbedingungen für Finanzierungen deutlich herausfordernder werden, Geld werde über Zeit eher knapper, auch wenn der Markt grundsätzlich liquide bleibe. „Das wird über Jahre anhalten.“ Gleichzeitig, „Not macht erfinderisch“, wird die Krise auch ein unglaublicher Innovationsmotor sein.
Das Skillset der Gründerteams („die Menschen machen den Unterschied“), wie sich das Bildungssystem verändern sollte („hat sich zu meiner Zeit von vor über 30 Jahren überhaupt nicht verändert“) sowie über die Flüchtlingsthematik („die Wahrscheinlichkeit, dass ein Immigrant Unternehmer wird ist ungleich höher, weil sich das Chancen-Risiko-Verhältnis für einen Immigranten viel schneller ins Positive dreht – das ist eine tolle Chance für uns“) sind weitere spannende Themen im Changerider-Gespräch.
Als weiteren Changerider-Gast nominiert er Inge Mißmahl. Die Psychoanalytikerin hat 2008 die gemeinnützige Organisation Ipso gegründet und als ein Netzwerk psychosozialer Berater aufgebaut, um traumatisierten Menschen zu helfen – zunächst in Afghanistan, heute auch in Deutschland, um Flüchtlinge zu unterstützen.
Hendrik Brandis Abschlussappell fällt trotz aller Herausforderungen positiv aus: „Ich bin Strukturoptimist, ich glaube an das Gute, was da kommt, und ich bin sicher, dass die Coronakrise bei aller Tragik und furchtbaren Auswirkungen, auch ein starker Katalysator für Innovation ist.“
Ihr kennt ebenfalls Querdenker, Gamechanger und unermüdliche Optimisten, die für den digitalen Wandel einstehen? Nominiert sie als Changerider-Mitfahrer! Diese und alle weiteren Folgen sind als Video und ausführliche Gespräche im Podcast bei Apple Podcast, Soundcloud und Spotify verfügbar oder nachzulesen im Changerider-Buch: „Changerider: Pioniergeister statt Bedenkenträger: Wie mutige Macher aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unsere Zukunft gestalten“ – überall, wo es Bücher gibt und auf changerider.com.