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Frauen in China und die Techbranche: „Es gibt eine erkennbare feministische Bewegung“

Während die chinesische Regierung den Aufstieg des Landes zur technischen Supermacht feiert, vollzieht das Land gesellschaftlich eher ein Roll-back. Dagegen regt sich Widerstand, sagt Leta Hong Fincher.

Von Wolfgang Stieler
7 Min.
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Hongkong. (Foto: Shutterstock / Rasto SK)

Leta Hong Fincher hat Asian Studies und Soziologie studiert. International bekannt wurde sie vor zehn Jahren mit ihrem Buch Leftover Women: The Resurgence of Gender Inequality in China. Mithilfe zahlreicher detaillierter Interviews dokumentiert Fincher darin am Beispiel der Frauenrechte in China den Wandel der chinesischen Gesellschaft seit der Ära Xi Jingping. Seit 2019 ist Fincher außerordentliche Professorin der Columbia University New York.

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Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 1/2024 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr die TR 1/2024 als pdf bestellen.

Rolle der Frau in China

MIT Technology Review (TR): Technisch und wissenschaftlich scheint China schnelle und beeindruckende Fortschritte zu machen. Auf der anderen Seite haben wir eine gesellschaftliche Entwicklung, die in eine ganz andere Richtung weist, vor allem, was die Rolle der Frau in der Gesellschaft angeht. Wie passt das zusammen?

Leta Hong Fincher: Wenn man sich den Status der Frauen in China anschaut, stellt man fest, dass sie heute gebildeter sind als je zuvor in der chinesischen Geschichte. Bei den Bachelor-Abschlüssen sind die Frauen in der Überzahl – vielleicht sogar auf der Ebene der Masterabschlüsse. Dies sind äußerst dramatische Verbesserungen im Bildungsniveau der Frauen. Das deckt sich mit den von Ihnen erwähnten wissenschaftlichen und entwicklungspolitischen Verbesserungen.

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Leider hat die chinesische Regierung diese unglaublichen wirtschaftlichen und bildungspolitischen Fortschritte für die Frauen nicht als etwas angesehen, das gefeiert werden sollte. Sondern sie hat sie als Problem als Bedrohung betrachtet. Sie sieht, dass Männer mehr mit Frauen konkurrieren müssen, um die knappen Plätze an den Universitäten zu bekommen oder die knappen Arbeitsplätze.

Die Soziologin Leta Hong Fincher forscht zur Rolle der Frau in der chinesischen Gesellschaft. Sie sieht einen wachsenden Druck vor allem auf gut ausgebildete junge Frauen, sich aus dem Arbeitsleben zurückzuziehen, aber auch einen zunehmenden Widerstand gegen diese Politik. (Foto: AFP / Getty Images)

Die wachsende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wird sehr stark von oben durchgesetzt, weil die Förderung der Frauen als eine Art Bedrohung für die Kommunistische Partei angesehen wird. Eine Idee, die der kommunistischen Geschichte und sogar Mao Zedong, dem Gründer der Kommunistischen Partei Chinas, völlig widerspricht. Maos vielleicht berühmtester Ausspruch war, dass Frauen „die Hälfte des Himmels tragen“. Stattdessen hat sich die Unterordnung der Frauen unter Xi Jinping verschärft. Unter seiner Herrschaft ist der Status der Frauen sogar noch weiter gefährdet.

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TR: Kann solch eine Entwicklung allein von der KP Chinas gesteuert werden oder greifen hier noch andere gesellschaftliche Prozesse?

Fincher: Ein interessanter Weg, um den Einfluss der Kommunistischen Partei auf den Status der Frauen im Vergleich zum inhärenten Sexismus innerhalb der patriarchalen Traditionen in China einzuschätzen, ist meiner Meinung nach der Vergleich der Situation der Frauen in China mit der Situation der Frauen in den Nachbarländern, wie Japan und Südkorea.

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Natürlich gibt es in Chinas patriarchalen Traditionen einen gewissen Sexismus. Auch Japan und Südkorea sind in ihrer Geschichte stark vom Konfuzianismus beeinflusst. Einer der größten Unterschiede besteht jedoch in der Regierungspolitik. Japan und Südkorea haben ebenfalls mit einer geringeren Erwerbsbeteiligung von Frauen zu kämpfen. Aber die führenden Politiker dieser Länder haben diese niedrige Erwerbsbeteiligung der Frauen als Problem für die wirtschaftliche Entwicklung eingeschätzt. Deshalb haben sie versucht, Maßnahmen zu ergreifen, um die Erwerbsbeteiligung der Frauen zu erhöhen.

Wenn man also vergleicht, was in Japan und Südkorea und in China in Bezug auf Frauen passiert ist, ist es ziemlich offensichtlich, dass die Regierung in China absichtlich versucht, die Frauen dazu zu bringen, ins Haus zurückzukehren, in diese sehr traditionelle Rolle der Ehefrau und Mutter. Dazu betreibt die chinesische Regierung vor allem seit 2007 eine Propagandakampagne zu „übrig gebliebenen Frauen“ und traditionellen Geschlechternormen. Erst vor weniger als einer Woche hat Xi Jinping sich darüber geäußert, dass China eine Kultur der Ehe und des Kinderkriegens entwickeln müsse.

„Jedes Jahrzehnt markiert so etwas wie eine Mini-Generation in China“

TR: Gibt es einen Unterschied im Verhalten der älteren Generationen und der jüngeren Menschen?

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Fincher: Auf jeden Fall. Die Unterschiede zwischen den Generationen sind groß. Der Wandel ist sehr schnell. Die Chinesen verwenden den Begriff der Post-90-Generation, der Post-2000-Generation und so weiter. Jedes Jahrzehnt markiert so etwas wie eine Mini-Generation in China.

Eine der auffälligsten Entwicklungen in den letzten zehn Jahren ist die enorme Zunahme gebildeter junger Frauen, die sich gegen Heirat und Kinder entschieden haben. Sie können die Ergebnisse dieses neuen Trends sogar in den Statistiken sehen: Die Geburtenrate in China geht seit 2016 kontinuierlich zurück, die Heiratsrate sinkt seit neun aufeinanderfolgenden Jahren.

TR: Weshalb sind sinkende Geburtenraten in einem so bevölkerungsreichen Land für die Regierung problematisch?

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Fincher: Die Regierung sieht in den sinkenden Heirats- und Geburtenraten unter der Han-Mehrheitsbevölkerung eine große Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch für die politische Stabilität.

Als ich meine ersten Interviews führte, also vor über zehn Jahren, waren die meisten der Frauen, die ich befragte, einem starken Heiratsdruck ausgesetzt. Viele der Frauen, die ich befragte, planten zu heiraten, obwohl sie die Person, die sie heiraten würden, eigentlich gar nicht liebten oder nicht einmal mochten. Sie fühlten sich einfach so unter Druck gesetzt, zum großen Teil von ihren Eltern, aber auch von der gesamten Gesellschaft. Aber in den letzten zehn Jahren hat sich das wirklich geändert. Immer mehr dieser gebildeten jungen Frauen in ihren Zwanzigern und Dreißigern sagen Nein. Das ist für mich ein Lichtblick in einer ansonsten sehr düsteren Zukunft für die Frauenrechte in China.

TR: Es gibt eine Zunahme wilder Streiks in China, illegale Gewerkschaften, eine Tendenz bei den jungen Leuten, Nein zu sagen zu der extremen Arbeitskultur und sich dagegen zu wehren. Gibt es auch eine feministische Bewegung in China?

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Fincher: Ja, es gibt eine erkennbare feministische Bewegung. Da China so autokratisch ist und die Unterdrückung unter Xi Jinping so viel intensiver geworden ist als noch vor einem Jahrzehnt, gibt es allerdings extrem wenig Raum für jede Art von politischem Aktivismus. Nichtsdestotrotz ist er definitiv vorhanden. Aber weil es so gefährlich ist, sich in irgendeiner Form politisch zu engagieren, ist es natürlich für viele dieser jungen Frauen viel realistischer, sich auf individueller Ebene zu wehren, statt das außerordentliche Risiko einzugehen, Jahre im Gefängnis zu verbringen.

Einer der Slogans des Feminismus ist, dass das Persönliche politisch ist. Man kann entscheiden, ob man heiratet oder nicht, ob man ein Kind bekommt oder nicht. Und genau an dieser Front leisten Millionen vor allem junger Frauen, die studiert haben, Widerstand. Das ist sehr wirkungsvoll. Und das wird als große Bedrohung empfunden. Aus diesem Grund rechne ich für die Zukunft mit mehr Repressionen und mehr Zwangsmaßnahmen seitens der Regierung.

Soziale Medien in China: Zwischen Frauenfeindlichkeit und feministischem Diskurs

TR: Welche Rolle spielen soziale Medien und das Internet bei diesem Widerstand?

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Fincher: Natürlich gibt es in China eine sehr aggressive Zensur im gesamten Internet. Die Zensur hat auch ein starkes antifeministisches Element. Es gibt sehr frauenfeindliche Social-Media-Influencer, die in den sozialen Medien viel Aufmerksamkeit bekommen. Nichtsdestotrotz ist es erstaunlich, wie viel feministischen Diskurs es noch gibt. Auch wenn er stark zensiert wird, ist er immer noch vorhanden. Dies ist ein weiterer Bereich, in dem die Regierung nicht alle Spuren der Zivilgesellschaft vollständig ausgelöscht hat.

TR: Glauben Sie, dass die chinesische Regierung in der Lage ist, den Widerstand zu brechen?

Fincher: Es ist sehr schwer für mich, das zu beurteilen. Das könnte durchaus passieren, denn Xi Jinping hat bewiesen, dass er ein brutaler Diktator ist. Aber ich habe immer noch das Gefühl, dass es so viel Widerstand gibt, dass es zu einer echten Revolution kommen könnte, wenn die Repression zu stark wird. Es wäre beispielsweise für die Regierung möglich, Abtreibung zu verbieten. Das wäre sehr einfach. Aber das haben sie nicht getan.

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Ich denke, dass ein solcher Eingriff in das Recht der Frauen in China einen enormen kollektiven Aufschrei auslösen würde, der so viele neue Probleme und Proteste nach sich ziehen würde, dass es sehr unklug von der Regierung wäre, dies zu tun. Aber wissen Sie, was sie bereits getan hat? Sie hat es den Männern bereits sehr viel schwerer gemacht, eine Vasektomie zu bekommen. Das ist etwas, was nicht so offensichtlich ist.

Forschungssituation für Frauen in China

TR: Können Sie weiterhin zur Situation der Frauen in China forschen? Führen Sie noch Interviews?

Fincher: Ich bin in China zu einer Art Zielscheibe für frauenfeindliche Influencer in den sozialen Medien geworden und war seit 2019 nicht mehr auf dem chinesischen Festland. Ich habe Hunderte von Menschen befragt, und die Leute haben mir vertraut, haben mir so viele intime Details über ihr Leben erzählt. Ich wäre heute nicht mehr in der Lage, die gleiche ehrgeizige, breit angelegte Studie durchzuführen wie vor einem Jahrzehnt. Es ist eine schlimme, undurchsichtige Situation.

TR: Liegt das an der chinesischen Regierung oder an den Spannungen zwischen den USA und China?

Fincher: Diese Spannungen sind natürlich von der US-Regierung ausgegangen. Aber diese Beschränkungen, in China zu forschen, gehen alle von der chinesischen Regierung aus.

TR: Haben Sie denn Kontakte zu chinesischen Wissenschaftlern und können von ihnen Daten erhalten?

Fincher: Oh, natürlich können Sie Daten bekommen. Bei der Aktualisierung meines Buches habe ich größtenteils die neuen Forschungsergebnisse anderer Leute einbezogen. Aber Sie können nicht mehr vor Ort forschen. Aber das Problem ist, dass man als chinesischer Staatsbürger sehr verwundbar ist. Die gängigste Form der Bestrafung, wenn man nicht das Richtige tut, besteht darin, dass man seine Karriere an den Nagel hängt oder seinen Job verliert.

Akademiker geraten leider oft in Schwierigkeiten. Es gibt durchaus Leute, die in China Interviews führen. Aber Fragen mit einem sehr kritischen Blick, ohne Angst vor den Konsequenzen für sich selbst – das gibt es einfach nicht mehr.

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