Brauchen Kinder in der Werbung mehr Schutz? Laut einer Petition unbedingt - t3n

Eine Petition soll Hubertus Heil davon überzeugen, Kinder als Models und als Empfänger:innen von Werbung mehr zu schützen. Das ist längst überfällig. Verena Arps-Roelle ist Initiatorin von Act & Protect – einer Organisation gegen sexualisierte Gewalt. Sie hat eine Online-Petition gestartet: Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus, Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger, Bundesminister der Justiz Marco Buschmann und Bernd Nauen vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft werden aufgefordert, Kinder im Werbekontext mehr zu schützen. Dabei geht es einerseits um Kinder, die in der Werbung beispielsweise als Models eingesetzt werden, andererseits aber auch darum, welchen Einflüssen Kinder durch Werbung ausgesetzt sind. Balenciaga: BDSM-Teddys, Kannibalismus und Gerichtsurteil Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat: eine Balenciaga-Kampagne, in der Kinder Teddys mit BDSM-Schmuck in der Hand hielten. Bücher im Hintergrund zeigten sexualisierte und kannibalistische Motive, Papiere zeigten einen Auszug aus einem Gerichtsurteil des US Supreme Courts, das die Strafe für sexuelle Ausbeutung Minderjähriger verschärft. Ein realer Fall von Kindesmissbrauch wurde so als Easter Egg in einer Marketingkampagne benutzt. [twitter 1595071856419262465] Die Kampagne wurde international scharf kritisiert – sie war nicht edgy, sondern grenzüberschreitend. Balenciaga hat sich entschuldigt und ist rechtlich gegen die verantwortliche Agentur North Six vorgegangen. Insgesamt wurde die Schuld fröhlich hin- und hergeschoben. Kritisiert wurde die Marke weiterhin: Irgendjemand bei Balenciaga muss die Motive immerhin freigegeben und verteilt haben. [twitter 1595224602673762306] Verbot von schädlichen Darstellungen Das Ziel der Petition ist ein Verbot von jeglicher Darstellung von Minderjährigen in Werbemitteln, die diskriminierend, herabwürdigend, sexistisch oder sexualisierend, stereotyp oder grenzverletzend ist. Da all diese Begriffe bis zu einem gewissen Grad diskussionsbedürftig sind, werden direkt verbindliche Standards und auch Schutzkonzepte gefordert, die erarbeitet werden müssen. Diese sollen dann für Eltern, aber auch Agenturen, Fotograf:innen, werbende Unternehmen und die werbeverbreitenden Organisationen und Medien gelten. [crosslinks ids="1526541,1427424,1526166"] Neben der Sexualisierung von Kindern durch die Darstellung als „kleine Erwachsene“ durch einen koketten Blick und freizügige Kleidung oder durch Posen, beispielsweise mit gespreizten Beinen, soll auch eine stereotype Darstellung vermieden werden. So sollen keine Eigenschaften mehr zugeordnet werden – Mädchen sollen nicht mehr ausschließlich pinke Prinzessinnen und Jungen Feuerwehrmänner oder blaue Ritter sein. Überhaupt, so die Petition, sollten Kinder nicht mehr zwangsweise in Jungen oder Mädchen kategorisiert werden. Schädliche Auswirkungen von Sexualisierung und Gender-Marketing Kinder zu sexualisieren, ist keine gute Idee. Ich glaube, hier stimmen wir alle überein. Das passiert meist aus einer alten Marketing-„Weisheit“: Sex sells. Weisheit ist hier deswegen in Anführungszeichen gesetzt, weil es gar nicht stimmt – das wurde längst nachgewiesen. Bei sexuellen Inhalten merken sich Menschen den Sex, nicht die Marke oder das Produkt. Wiedererkannt wird höchstens das Model, nicht das Parfüm zwischen ihren Brüsten - oder im Balenciaga-Fall die Kinder, die BDSM-Teddybären in der Hand halten. Gender-Marketing wird unterdessen immer noch als „Naja, funktioniert doch, muss ja also korrekt sein“ eingeordnet. Dabei gibt es auch hier massig Hinweise aus der Wissenschaft, dass das nicht der Fall ist. Zum Beispiel: Gender-Marketing ist performativ, bedingt sich also selbst: Nur weil mal jemand angefangen hat mit Gender-Kategorien, wurde der soziale Druck erhöht, sie auch zu bedienen – und deswegen wird es wiederum gekauft. Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass Kinder je nach Geschlecht bestimmte Farben, Spielzeuge oder Muster bevorzugen. Enge Rollenbilder erhöhen bei Kindern und Jugendlichen das Risiko einer Depression. Indem Geschlechtern in Rollenbildern Aufgaben zugewiesen werden, verfestigt sich strukturelle Diskriminierung – Stichwort Gender-Pay-Gap. Jungen und Mädchen werden auch körperlich an bestimmten Standards und Idealen gemessen, die nicht förderlich für das Körpergefühl sind. Im Zweifel können Störungen des Körperbilds beispielsweise Essstörungen entstehen. Es findet ein Ausschluss all derer statt, die sich nicht mit den gezeigten Rollenbildern oder vor allem Geschlechtern identifizieren. Im schlimmsten Fall nehmen Kinder Stereotype an, obwohl sie sich nicht wohl fühlen – oder sogar eine Sexualisierung. Denn wenn sie in der Werbung häufig sehen, dass solche Posen, Kleidung oder Handlungen in Ordnung sind – warum sollte es im realen Leben nicht so sein? Almut Schnerring und Sascha Verlan sind als @rosahellblaufalle auf Instagram aktiv. Sie versuchen dafür zu sensibilisieren, dass selbst Farben und Muster mittlerweile gegendert werden und Kinder in ihrer Entfaltung damit eingeschränkt werden: [instagram url="https://www.instagram.com/p/ChdXZtwMUJN/"] Ein großes Problem, über das zu selten im Marketing gesprochen wird: Darstellungen von Kindern in der Werbung können sehr schnell für pädokriminelle Zwecke missbraucht werden. Immer wieder gibt es Berichte von entsetzten Eltern, die erzählen, wie „ganz normale“ Kinderfotos in pädokriminellen Foren auftauchen. Werbemittel, in denen Kinder sexualisiert werden, machen es Täter:innen umso einfacher. Strg_F hat dazu beispielsweise recherchiert: [youtube kq7FFAf94X8] Wie kann ein sinnvoller Schutz von Kindern aussehen? Aktuell ist es eben der Fall, dass Eltern nach Mode „für Jungen“ oder „für Mädchen“ suchen. Solang es ein Interesse gibt, wird sich der (Werbe-)Markt danach richten. Es ist also nicht wahrscheinlich, dass ab morgen die Kategorisierung von Kindern und Kinderkleidung in Modegeschäften und ihrer Werbung aufhört. Vor allem betreffen Stereotypen und Sexualisierung mehr als nur die Marketing-Abteilung von Unternehmen. Die gesamte Strategie müsste angepasst und das Produktdesign erneuert werden. Die Süddeutsche Zeitung beispielsweise untersuchte vor einer Weile Schnittmuster von Kinderkleidung und stellte fest: Kurze Hosen für Mädchen waren im Schnitt ganze sechs Zentimeter kürzer. An den Hosen kann das Marketing allein nichts ändern. Dennoch könnte der Ansatz bei der Werbung eine Wirkung ins Innere der Unternehmen haben.