Augmented Reality: Diese großartigen Marketingstrategien gibt es heute schon
Satter Motor-Sound, flotte Videosequenzen und zahlreiche technische Details: Um seine Geschichte erlebbar zu machen, motzte Sportwagenhersteller Porsche kürzlich seine Printwerbung in der Zeitschrift „Auto Motor Sport“ mit Augmented Reality auf. Auf einer ausklappbaren Anzeige konnten die Leser acht verschiedene Sportwagen mit dem Smartphone scannen und digitale Audio-, Video-, Bild- und Textinhalte zum jeweiligen Fahrzeug aufrufen. In der nächsten Ausgabe des Magazins erschienen zwei weitere Printanzeigen von Porsche, die über AR-Funktionalitäten erweitert und sogar miteinander verknüpft waren.
Ein cleverer Brückenschlag zwischen haptischer Erfahrung und digitalem Erlebnis, dessen technische Basis die AR-Plattform von Shazam lieferte: Die bis dato vor allem für ihre Musikerkennung bekannte App, mit der monatlich allein in Deutschland mehr als sieben Millionen Menschen interagieren, hat heute auch Augmented-Reality-Funktionalitäten an Bord. Seit Frühjahr 2017 bietet sie Werbetreibenden damit einen neuen Zugang zu ihrer Nutzerschaft, der mit der Kombination aus potenziell großer Reichweite und geringer Nutzungshürde lockt.
Ob QR-Codes, Shortlinks oder personalisierbare Print-Produkte: Von allen Ansätzen, analoge und digitale Medien miteinander zu verknüpfen, bietet Augmented Reality die „kompletteste“ Lösung. Mit Hilfe von AR-Anwendungen wird die reale Welt auf einem Screen mit digitalen Informationen ergänzt. Als Device eignet sich das Smartphone hervorragend, denn es verfügt neben der nötigen Rechenpower über Kamera und Display – und nahezu jeder besitzt eines. Für Marketer bietet AR damit interessante Möglichkeiten, analoge Botschaften digital zu verlängern und ein medienübergreifendes Nutzererlebnis mit hohem Erinnerungsfaktor zu schaffen.
Neuer Schub für AR im Marketing
Trotzdem ist es in den vergangenen Jahren vergleichsweise ruhig um das Thema gewesen. Nicht nur standen die Verheißungen der Virtual Reality stärker im Vordergrund – auch die technische Reife der Endgeräte stand dem Einstieg in den Massenmarkt noch entgegen. „Man hat mit den eher exotischen technischen Umsetzungen der Vergangenheit nie große Werbe-Reichweiten bespielen können. Das waren lediglich schöne Leuchttürme, um zu zeigen, was technisch möglich ist“, sagt Stephan Enders, Head of Innovation Studio bei Plan.Net. Mit dem Innovation Studio hat die zur Serviceplan-Gruppe gehörende Agentur kürzlich eine eigene Unit gegründet, die sich ausschließlich mit digitalen Zukunftstechnologien in den Bereichen Mobile, AR, VR und dem Internet of Things beschäftigt.
Für Enders ist die Entwicklung jetzt an einem Wendepunkt angelangt: Mit dem Mobile-Game Pokémon Go ist Augmented Reality vor zwei Jahren zu einem Massenphänomen geworden. Und auch die technischen Möglichkeiten sind heute deutlich besser, wie nicht nur Shazam und Porsche zeigen. Experten sind davon überzeugt, dass Augmented Reality insbesondere durch das Apple-Betriebssystem iOS11 und das dort integrierte ARKit einen deutlichen Schub erhalten wird. Laut Enders dürfte daher auch im Marketing spätestens seit der letzten Developer-Konferenz von Apple wieder eifrig getestet und experimentiert werden: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Markt neue Funktionalitäten sehen wird.“
Apples ARKit, Ikea, Google ARCore
Mit dem ARKit hat Apple Augmented-Reality-Fähigkeiten in sein Betriebssystem integriert und sie damit Millionen von Nutzern zugänglich gemacht. Eine Schnittstelle ermöglicht Entwicklern zudem, AR-Apps zu programmieren, die mit den Bordmitteln der Endgeräte auskommen. Über die iPhone- oder iPad-Kamera kann ARKit horizontale Flächen wie Tische oder Böden erfassen und ist in der Lage, virtuelle Objekte maßstabsgerecht und an der richtigen Stelle im Raum zu platzieren. Die Kamerasensoren werden genutzt, um Licht und Schatten auf den projizierten Objekten korrekt darzustellen. Nutzer können die projizierten Objekte umrunden und von allen Seiten sowie aus der Nähe betrachten.
Das Möbelhaus Ikea hat sich diese neuen Möglichkeiten zunutze gemacht. Die Schweden haben ihren Kunden bereits vor vier Jahren ermöglicht, Produkte aus dem Ikea-Printkatalog virtuell in der eigenen Wohnung zu platzieren. Damals war neben der App und einem digitalen Katalog-Download noch ein Marker nötig, damit Tisch, Stuhl oder Sofa im passenden Größenverhältnis und im richtigen Betrachtungswinkel auf dem Smartphone-Display dargestellt werden konnten. Als Marker diente der Katalog, der dort auf den Boden gelegt wurde, wo das Möbelstück später stehen sollte.
Heute kommen Nutzer auch ohne Marker und Katalog-Download aus. Ikeas neue App „Place“ läuft unter iOS11 und greift somit auf Apples AR-Funktionalitäten zu. Aktuell sind mehr als 2.000 Artikel in der Applikation verfügbar. Nachdem die User in wenigen Sekunden den Fußboden gescannt haben, skaliert die Anwendung die gewählten Produkte automatisch, abhängig von den Maßen des Raumes. Nach Angaben von Ikea geschieht dies mit einer Genauigkeit von 98 Prozent. Die AR-Technologie ist so präzise, dass man die Textur der Materialien sowie den Licht- und Schattenfall auf den Möbelstücken erkennen kann.
Auch Apple-Wettbewerber Google widmet sich intensiv dem Thema AR. Seine Augmented-Reality-Plattform Tango hat das Unternehmen im Spätsommer 2017 allerdings erst mal auf Eis gelegt. Stattdessen setzt Google jetzt auf ARCore. Während für Tango noch Sensoren oder zusätzliche Kameras nötig waren, um Räume zu vermessen, kommt ARCore – ebenso wie Apples ARKit – ohne zusätzliche Hardware aus. Entwickler können also jetzt für Android neue Augmented-Reality-Apps programmieren, die ebenfalls mit den Bordmitteln des Endgerätes auskommen.
Derzeit ist ARCore auf dem Samsung Galaxy S8 und den Pixel-Smartphones nutzbar, andere Geräte-Marken sollen schnell folgen.
Tiefkühlpizza via Fingertipp
Die zunehmend flächendeckende Verbreitung entsprechender Funktionalitäten wird auch die AR-Anwendungen im Marketing beflügeln. An Kreativität mangelt es dem Markt schon heute nicht. Bestes Beispiel ist L‘Oréal mit seiner App „Make Up Genius“: Wer diese Anwendung auf seinem Smartphone oder Tablet installiert, kann sich virtuell schminken, wobei das Gerätedisplay als Spiegel dient und Model-Fotos von der Pariser Fashion Week die entsprechende Styling-Inspiration liefern. Mit wenigen Fingertipps kann die Zielgruppe hier einen neuen Look für ihr Gesicht testen. Gefällt die Auswahl, können die Nutzerinnen Mascara, Lippenstift und Co. in einen Warenkorb legen und direkt aus der Anwendung heraus bestellen.
Auch der Tiefkühlspezialist Bofrost nutzt AR, um seinen Kunden den Einkauf so bequem wie möglich zu machen: Mit der Bofrost-App können Konsumenten ihre Tiefkühlprodukte direkt aus dem gedruckten Katalog heraus bestellen. Die Katalogseiten werden mit dem Smartphone gescannt, die App erkennt die Produkte automatisch. Per Fingertipp können Kunden digitale Zusatz-Informationen aufrufen oder die gescannten Produkte in den Warenkorb legen. Darüber hinaus liefert die App Zubereitungsempfehlungen, Nährwertangaben und eine Kalender-Funktion zum Besuchstermin – also zusätzliche Mehrwerte für den Nutzer.
Basis der App ist die von Appear2media entwickelte Schnittstelle Actionlist. Sie kann jedes gedruckte Medium mit einer Offline-Online-Brücke ausstatten. Dazu erscheinen antippbare Buttons im Bildschirm mit jeweils verschiedenen Content-Typen. Dem AR-Anbieter zufolge wird dieses Prinzip von den Nutzern grundsätzlich sehr gut verstanden und genutzt. Auch die Augmented-Reality-App von Printpeter basiert auf der Actionlist: Das Berliner Unternehmen ermöglicht es Studenten, ihre Uni-Skripte kostenfrei auszudrucken. Im Gegenzug wird in den Lernunterlagen studentenbezogene Werbung abgedruckt – eine attraktive Präsentationsmöglichkeit für Unternehmen, da sie ihre Zielgruppe nach Alter, Geschlecht, Hochschule, Studiengang und Semester sehr spitz targeten können. Zudem beschäftigen sich die Nutzer ein ganzes Semester lang sehr intensiv mit dem Skript.
Über die neuen AR-Funktionalitäten können Werbetreibende bei Printpeter etwa Links zu Videos, Gewinnspielen, Stellenangeboten und anderen Inhalten im Kamerabild hinterlegen. Besondere technische Anforderungen werden an die Printanzeigen dabei nicht gestellt. Scannen die Studenten eine der Anzeigen mit der Printpeter-App, erhalten sie Zugriff auf die digitalen Zusatzangebote. Ein Vorteil: Diese lassen sich jederzeit, auch nach dem Druck der Anzeige, ändern oder aktualisieren. Außerdem wird durch die digitale Verknüpfung auch die Conversion messbar. Seit Sommer 2017 vermarktet Printpeter die Lernskripte, über 100 Unternehmen setzen bereits auf die digitale Erweiterung ihrer Anzeigen. „Die Möglichkeit, Printanzeigen digital zu erweitern, hilft uns enorm beim Anzeigenverkauf,“ sagt Geschäftsführer Cecil Croy.
Die genannten Beispiele zeigen: Nicht die aus Plakatwänden springenden Monster haben sich in der AR-Welt durchgesetzt, sondern bodenständige Anwendungen mit einem klaren Mehrwert für Nutzer und Anbieter. Wurde früher der Spieltrieb der Kreativen beflügelt, rückt jetzt der Konsument in den Vordergrund. Mit der fortschreitenden technischen Entwicklung dürfte dieser Aspekt noch wichtiger werden.
Augmented Reality Everywhere
Doch die AR der Zukunft wird nicht nur in den eigenen vier Wänden stattfinden: Sie drängt auch in den öffentlichen Raum. „Schon bald werden wir auch AR-Anwendungen sehen, die mit GPS-Daten verknüpft sind“, ist René Götzenbrugger, Chef der Heidenheimer Agentur Graustich überzeugt. Seine Firma hat den entsprechenden Prototyp schon realisiert. Auf diese Weise könnten Marken beispielsweise ihre Werbebotschaft direkt über einem Gebäude schweben lassen. Die exakte Ausrichtung wird via GPS-Signal sichergestellt. Das angezeigte Objekt kann von allen Seiten unterschiedlich aussehen, weil es dreidimensional im Raum schwebt. Auch eine Animation sei möglich, sagt Götzenbrugger.
Schon heute sind AR-Technologien nicht nur in der Lage, zweidimensionale Objekte als Trigger zu verwenden, bei der das Scannen einer Anzeige oder eines Plakates eine Augmentierung auslöst. Auch dreidimensionale Objekte können als Trigger dienen. Theoretisch könnte mit Hilfe von GPS jeder Gegenstand im Stadtbild mit seiner ganz eigenen virtuellen Werbung oder zusätzlichen Informationen versehen werden.
Marken-App vs. AR-Plattformen
So vielversprechend die Entwicklung momentan anmutet, sie hat einen Nachteil: Applikationen müssen mühevoll und oft kostspielig entwickelt werden. Hinzu kommt die Distribution. Große Kampagnen-Reichweiten mit eigenen Apps wird es, so Stephan Enders von Plan.Net, auch künftig nicht geben. Auch wenn Aufwand einerseits und die Chance auf einen intensiven Kontakt andererseits in einem immer besseren Verhältnis stehen: Enders schätzt, dass auch in Zukunft nur wenige Marken tatsächlich eigene Apps auf den Markt bringen werden. „Vielmehr werden bestehende Apps um entsprechende Funktionalitäten erweitert werden“, so der Experte. Und ist überzeugt: „Wir werden mehr AR-Kampagnen sehen.“
Wer keine eigene Anwendung entwickeln will, kann sich wie Porsche an einen Partner wenden, um auf die Expertise und Reichweite von Apps wie Shazam zurückzugreifen. Bei der Media-Agentur Mediacom sieht man die Zukunft von AR-Werbung sogar gänzlich jenseits der typischen Marken-Apps. „Dass Brands eigene Apps entwickeln lassen, wird die Ausnahme sein. Die Zukunft liegt in den sozialen Netzwerken“, ist Managing Director Norman Wagner überzeugt. Denn seit Kurzem haben sich die sozialen Medien für den kommerziellen Einsatz von AR-Technologien geöffnet.
So hat etwa Snapchat Ende September seine AR-Funktionalitäten für Marken freigegeben: Werbetreibende können jetzt ihre eigenen 3D-World-Lenses kreieren, also Filter für die Hauptkamera am Smartphone, mit denen die reale Welt virtuell mit dreidimensionalen Objekten überlagert wird. Das Medienunternehmen Warner Bros und die US-Brauerei Anheuser Busch waren die ersten, die eine solche AR-Kampagne launchten. Beispielsweise konnten sich Snapchat-Nutzer einen virtuellen Bud-Light-Bierverkäufer ins Kamerabild stellen.
Und auch auf Facebook kommt AR in Schwung. Im Sommer 2017 hat Facebook mit der „Camera Effects Platform“ eine AR-Plattform für 3D-Filter und -Effekte gestartet. Außerdem beinhaltet die Plattform mit „AR Studio“ und „Frame Studio“ zwei Entwickler-Tools. Gucci hat auf Facebook bereits eine Kampagne für seinen Duft „Bloom“ umgesetzt: Bunte Blüten, flatternde Schmetterlinge und Vogelgezwitscher werden bei diesem Filter in Anlehnung an die aktuelle Kampagne augmentiert. Der Eindruck lässt sich als Foto festhalten und kann mit Freunden geteilt werden.
„Für Marken ist es deutlich einfacher, bestehende Infrastrukturen zu nutzen“, erklärt Wagner die Vorteile der Zusammenarbeit mit den großen Netzwerken. Zusätzlich attraktiv für Werbetreibende: Reichweite und Targeting-Möglichkeiten sind auf Plattformen wie Facebook oder Snapchat schon ausgebaut und erprobt.
In Zukunft werden wohl zahlreiche Marken und Unternehmen daher ihre AR-Strategie ins Social Web verlagern. Doch egal ob Standalone-App oder Community-Anwendung: Augmented Reality wird das Marketing der Zukunft spürbar mitgestalten. Das Nutzerverständnis ist vorhanden und die technische Basis ist besser denn je.
Dem wäre noch die App augmen.tv hinzuzufügen… die weltweit erste App, die TV Inhalte framegenau mit Interaktionen in der App verbindet und damit die sog. Second Screen nahtlos mit dem TV verbindet.
Galileo Zuschauern ist die App schon bekannt aus der AR Woche im November 2017.
Mehr dazu inkl. Demo unter http://www.eyecandylab.com