Durchblick im TYPO3-Versionsdschungel: Nach 4 kommt 6
Im Jahr 2006, auf den ersten TYPO3 Developer Days (T3DD06), wurde der Entschluss gefasst, TYPO3 komplett neu zu schreiben [1]. Als eine Konsequenz aus dieser Entscheidung gründete die Community das TYPO3-5.0-Development-Team mit dem Vorsitzenden Robert Lemke. Ein Wechsel auf Java lehnten die Besucher der Veranstaltung damals ab. Vielmehr einigten sie sich darauf, ein komplett neues Content-Management-System auf PHP-Basis zu schreiben. Die Entwicklung sollte unter anderem in kleinen Schritten voran gehen und mit häufigen Releases verbunden sein, die Architektur komplett auf PHP 5.0 basieren und den Namen Phoenix tragen.
Die Kernentwickler – zuerst Robert Lemke und später auch Karsten
Dambekalns – gingen Vollzeit in den Dienst der TYPO-Association. Dieser
eher unübliche Entschluss sollte zu einer schnellen Fertigstellung und
Veröffentlichung des neuen Produkts führen.
Sackgasse TYPO3: Version 4 versus Version 5
Bereits kurz nach dem Beginn der Entwicklungsarbeiten kam es allerdings zu Unsicherheiten innerhalb der Community und bei den Kunden. So war nicht klar, ob es sich noch lohnt, auf TYPO3 4.x zu setzen oder es nicht besser wäre, direkt auf TYPO3 5.x zu warten.
Als Antwort veröffentlichten ranghohe Mitglieder der TYPO3-Community im Oktober 2008 das so genannte Berlin-Manifesto [2], das unter anderem folgende Punkte vorsah: TYPO3 Version 4.0 wird weiterhin aktiv entwickelt, auch nach der Veröffentlichung der Version 5.0. Zukünftige Releases von Version 4.0 werden ähnliche Features bieten, die auch in 5.0 Eingang finden. Inhalte sollen ohne Probleme von Version 4.0 auf Version 5.0 übertragbar sein.
Auch wenn jedem klar war, dass die neue Version nicht innerhalb von ein bis zwei Jahren fertig sein würde, fehlte jedoch der Mut, eine zeitlich fixierte Roadmap zu veröffentlichen. Schnell merkten die Entwickler, dass es auf dem Weg zum neuen CMS immer wieder Elemente gab, die auch außerhalb eines CMS sinnvoll wären: MVC, Templating oder auch Session-Handling. Auf dieser Basis entwickelten sie das FLOW3-Framework als Fundament, das im Juni 2009 veröffentlicht wurde und inzwischen in der Version 1.1.0-rc2 vorliegt. Insgesamt dauerte es mehr als zwei Jahre, bis die Version fertig war. Die Liste der Features zeigt, dass dieser Status eigentlich erst mit FLOW3 1.1, beziehungsweise sogar FLOW3 1.2 vollständig gerechtfertigt ist.
Die Entscheidung der Entwickler, sich erstmal auf FLOW3 zu konzentrieren, führte jedoch wieder zu Verunsicherungen, wann TYPO3 5.x erscheinen würde. Im Juni 2010 erschien dann der erste Phoenix Sprint Release – was noch sehr weit entfernt war von einer Alpha, Beta oder gar einer finalen Version.
Dieser „Umweg“ über FLOW3 ist in der Community natürlich auch nicht unkommentiert geblieben. Schließlich warteten viele bereits seit mehr als fünf Jahren auf ein verwertbares Ergebnis. Dem Druck der Community beugend, ließ das TYPO3-5.x-Team dann im vergangenen Jahr unter großem Marketing-Aufwand verlauten, dass die Website zur TYPO3-Conference 2011 (T3CON11 Frankfurt) die erste komplett mit TYPO3 5.0 erstellte Website sein werde.

Insider wussten, dass diese noch nahezu keine Backend-Fähigkeiten hatte: Der Inhalt der Website wurde über ein XML-File ausgeliefert. Weniger eingeweihte Community-Mitglieder und vor allem Kunden setzten trotzdem große Hoffnung in das nahezu fertige System. Denn wenn es möglich sei, eine Website mit den dortigen Funktionen abzubilden, dann sollte einem richtigen Einsatz nichts mehr im Weg stehen.
Es gab also ein 5er-System, dass mehr oder weniger im Pre-Alpha-Zustand war. Zeitgleich erhöhte sich die Versionsnummer des 4er-Zweigs: Im Herbst 2011 lag TYPO3 4.6 vor. Die Entwickler standen unter Druck, schneller zu arbeiten, weil die 4er-Versionsnummer sich langsam aber sicher der Versionsnummer 5 näherte – auch wenn es sicher möglich gewesen wäre, mit Versionsnummern wie 4.10 oder 4.11 zu arbeiten.
Die Befreiung vom Dilemma
Die Diskussion wurde zunehmend unentspannter: TYPO3 mache keine Fortschritte, bemängelten Kritiker. Auch wenn Entwickler und Kundenberater genau wussten, wie intensiv an der neuen Version gearbeitet wurde. Es gab nur einen Ausweg aus dem Dilemma: die Version 5.x offiziell zu beerdigen.
Das Core-Team verkündete auf der T3BOARD12 [3] folgende Entscheidungen: TYPO3 Version 5.x wird es nie geben; die nächste Version von TYPO3 4.x werde im Oktober 2012 als TYPO3 6.0 veröffentlicht; die bisherige TYPO3 Version 5.0 heißt temporär TYPO3 Phoenix 1.0 und erhält im Verlauf des Jahres einen neuen Namen; TYPO3 Phoenix ist nicht mehr als Nachfolger von TYPO3 4.x geplant, sondern als eigenständiges Produkt. TYPO3 4.x könne fortan Breaking Changes zulassen.

Diese Meldung zog einen nie vorher gekannten Sturm der Entrüstung innerhalb der Communtiy mit sich. Dass es nach sechs Jahren teurer Entwicklung immer noch kein verwendbares Ergebnis in Form eines neuen CMS geben sollte, wollten einige Kritiker nicht akzeptieren.
Für die Entwickler war es jedoch eine Befreiung: Endlich konnten sie ihre gesamte Energie in Breaking Changes wie dem neuen File Abstraction Layer (FAL) stecken. Die Motivation war wieder da. Schnell gab es wieder die Hoffnung, dass TYPO3 6.0 zum besten Release der TYPO3-Geschichte werden würde.
Das neue TYPO3-Universum
Die TYPO3-Welt besteht also zukünftig aus drei unterschiedlichen Produkten: TYPO3 x.y – momentan in der Version 4.5 LTS (Support bis 2014 garantiert), 4.6 (Support bis April 2013), 4.7 (Support bis Oktober 2013) und ab Oktober 2012 in der Version 6.0; FLOW3 1.x und TYPO3 Phoenix 1.x, für das noch ein neuer Name gesucht wird.
Phoenix und TYPO3 gelten dabei als zwei unterschiedliche CMS-Produkte. Der Wunsch der Kern-Entwickler ist, irgendwann einmal ein wie auch immer geartetes Migrations-Tools zu entwickeln, das den Datenaustausch zwischen beiden Systemen erlaubt. Ein Migrationspfad gibt es bis jetzt noch nicht. Immerhin hat man 2009 mit den Systemextensions Extbase und Fluid Möglichkeiten geschaffen, innerhalb von TYPO3 4.x Extensions zu entwickeln, die sich technisch gar nicht so sehr von für FLOW3 entwickelte Packages unterscheiden.
War es vor einigen Jahren noch recht einfach, sich für TYPO3 zu zertifizieren, ist dies nun etwas komplizierter geworden. Reichte früher ein Hinweis „Das Zertifikat ist für TYPO3 4.x gültig“, bringt dies einige Probleme mit sich, wenn im Herbst die Version 6.0 erscheint. Daher hat sich das Zertifizierungsteam zu einem neuen Modus durchgerungen [4] : Die Zertifizierung wird nicht mehr an eine TYPO3-Version gebunden. Ein Zertifikat ist 36 Monate gültig. Und Zertifikate, die vor dieser Regel ausgestellt wurden, können entweder für 25 Euro in die neuen Zertifikate umgewandelt werden oder bleiben ausschließlich für die Version 4.x gültig.
Wie TYPO3 richtig nutzen
Nutzer und Interessenten von TYPO3 sollten in Zukunft folgendes beachten:
- Wer jetzt ein Webprojekt angeht, sollte – abhängig vom Launch-Termin – ausschließlich auf TYPO3 4.x beziehungsweise 6.x setzen.
- Phoenix wird, wenn es auch für Oktober 2012 als finale Version geplant ist, für geschäftskritische Anwendungen noch lange keine grössere Rolle spielen können. Schon alleine, weil viele Enterprise-Features fehlen und auch die Anzahl an Packages um den Faktor 100 kleiner ist als bei TYPO3. Kenner gehen von einer produktiv nutzbaren Version für mittelgroße Enterprise-Websites nicht vor 2014 aus.
- TYPO3-Nutzer, die eine private Website betreiben oder experimentieren möchten, können Phoenix ausprobieren.
- FLOW3 kommt immer dann zum Einsatz, wenn entweder kein klassisches Content-Management, sondern ein Web-Applikation-Framework nötig ist oder das Backend sowieso selbst geschrieben werden muss.
Die Zukunft
Letztlich war der Richtungswechsel im TYPO3-Projekt notwendig und längst überfällig. Die Probleme mit der richtigen Kommunikation zeigten, dass eine technische Führung unter der Einbeziehung der Community fehlt. In Firmen ist dafür die klassische Position eines CTO (Chief Technology Officer) zuständig. Bei TYPO3 könnte dies ein Council oder ein Produkt-Team übernehmen. Es gibt bereits Überlegungen dazu und es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis auch die Strategie-Entwicklung des TYPO3-Projekts professionalisiert wird.
Freuen kann sich die TYPO3-Community jedenfalls auf den kommenden Herbst – mit TYPO3 6.0 und Phoenix 1.0 steht der Release von zwei spannenden Produkte bevor, die die Vormachtstellung von TYPO3 im Open-Source-CMS-Markt wieder einmal deutlich unterstreichen könnten.