Haben Sie Angst vor Amazon, Frau Nemat?
Säße Claudia Nemat nicht im Vorstandszimmer der Deutschen Telekom, sie hätte wohl auch Karriere als Quantenphysikerin gemacht. Die 48-Jährige, die schon als Kind einen Experimentierkasten besaß, hat einen Sinn für das Unerklärbare: „Mein Vater war selbst Physiker und hat mal gesagt: Wenn man eine Trillion mal vor die Wand läuft, kommt man irgendwann durch. Den Gedanken fand ich spannend“, sagt Nemat rückblickend. Folgerichtig schrieb sie sich nach ihrem Abitur als einzige Frau am Institut für theoretische Physik der Kölner Universität ein. Doch dann kam ein Kennenlern-Camp von McKinsey dazwischen.
Claudia Nemat soll die Telekom neu erfinden
Der ungeplante Beginn einer beachtlichen Manager-Karriere: Bei der Unternehmensberatung stieg Nemat schnell zur Leiterin des Europageschäfts mit High-Tech-Firmen auf. Nach 17 Jahren wechselte sie zur Telekom und übernahm dort jüngst das neugeschaffene Vorstandsressort Technologie und Innovation.
Damit verantwortet Nemat ein Milliarden-Geschäft. Schließlich geht es um nicht weniger als die Digitalisierung eines ehemaligen Staatskonzerns, dem der Innovationsgeist schon länger abhanden gekommen zu sein scheint. Ob Musicload oder der Aufbau eines Whatsapp-Konkurrenten – immer war das Silicon Valley schneller als die Telekom. Im Gespräch mit t3n erklärt Claudia Nemat, wie sie das ändern will. Könnte ihr ein bisher kaum im Telekommunikationsgeschäft in Erscheinung getretener Internetkonzern aus den USA dazwischenfunken?
t3n Magazin: Frau Nemat, haben Sie Angst vor Amazon?
Claudia Nemat: Ich habe vor vielen Organisationen sicher Respekt, aber Angst vor Amazon? Nein, dazu neige ich nicht. Wenn ich in Deutschland für den Einzelhandel verantwortlich wäre, würde ich mir gewiss mehr Sorgen um die Zukunft meiner Branche machen.
t3n Magazin: Finden Sie nicht, dass Amazon auch der Telekom zunehmend das Wasser abgräbt, Stichwort: „Cloudgeschäft“?
Claudia Nemat: Die Cloud ist für uns eines der wichtigsten Themen in den nächsten Jahren. Spätestens wenn wir zu 5G-Netzen kommen und Echtzeit-Anwendungen im Alltag erleben wollen, wird es notwendig sein, die Cloud-Infrastruktur direkt ins eigene Netz integriert zu haben. Und da sehe ich die Telekom klar im Vorteil.
t3n Magazin: Was macht Sie da so sicher?
Claudia Nemat: Nehmen Sie zum Beispiel eine Brille wie Ihre: Wenn Sie möchten, dass darauf bald Informationen in Echtzeit passend zum aktuellen Kontext eingeblendet werden, dann sollte die Brille leicht sein und nicht so schnell heiß werden. Sie müssen auch vermeiden, dass die Daten erst um den halben Erdball zu zentralen Serverfarmen geschickt werden, von denen dann eine Antwort zurückkommt. Es geht um möglichst kurze Reaktionszeiten. Ein Großteil der Rechenleistung muss also aus der Cloud kommen. Im Mobilfunknetz beispielsweise direkt an den Basisstationen.
t3n Magazin: Die Telekom-Cloud ist also schneller als die von Amazon?
Claudia Nemat: Nicht die Cloud ist schneller, sondern der Weg von der Cloud zum Kunden ist kürzer. Bei Glasfaser rauschen die Daten mit zwei Drittel der Lichtgeschwindigkeit durchs Netz, das sind 200 Kilometer pro Millisekunde. Für Anwendungen, die eine Reaktionszeit von wenigen Millisekunden benötigen – zum Beispiel autonom fahrende Fahrzeuge – darf der Server aber höchstens 80 Kilometer entfernt sein. Die Lichtgeschwindigkeit ist also meine beste Freundin, auch wenn es um Amazon geht.
t3n Magazin: Angeblich plant Amazon aber auch den Einstieg in den deutschen Mobilfunkmarkt, beunruhigt Sie das?
Claudia Nemat: Wissen Sie, das kommt immer auf das Geschäftsmodell an.
t3n Magazin: Auf welches Geschäftsmodell?
Claudia Nemat: Wir werden natürlich keine Netzkapazitäten für ’nen Appel und ’n Ei an jemanden abgeben, der dann anfängt, gegen uns zu arbeiten. Grundsätzlich sind wir aber für Kooperationen mit großen wie kleinen Partnern offen. Dass wir zum Beispiel für Amazons smarten Lautsprecher bereits eigene Befehle anbieten, zeigt ja, dass wir keine Berührungsängste mit dem Konzern haben.
t3n Magazin: Sie erwähnen Amazon Echo. Noch in der ersten Jahreshälfte will die Telekom einen eigenen smarten Lautsprecher auf den Markt bringen. Gehen Sie jetzt zum Angriff über?
Claudia Nemat: Ein Angriff auf Amazon ist nicht unsere Motivation dahinter. Der Schwerpunkt liegt auf einer bestmöglichen Sprachsteuerung der Telekom-Dienste, die wir beispielsweise mit Amazon Alexa ergänzen. Die Kunden wollen ihre Informationen nicht immer in ein Tablet oder Smartphone tippen. Sprache ist die natürlichste Art, mit unseren Geräten und Services zu kommunizieren. Mit unserem Sprachassistenten wollen wir das ermöglichen.
t3n Magazin: An welche Anwendungsfälle denken Sie da konkret?
Claudia Nemat: Zum Beispiel die klassische Sprachtelefonie oder Steuerung der Unterhaltungsangebote. Auch alles rundum Smart-Home ist sicher ein naheliegender Anwendungsfall. Wir wollen unseren Kunden unsere eigenen Services anbieten und als Ergänzung Produkte unserer Kooperationspartner wie der Tagesschau. Langfristig kann ich mir sogar vorstellen, dem Lautsprecher meine Bestellung vom Supermarkt um die Ecke mitzuteilen. Das fände ich toll. Mit ersten Handelspartnern sind wir schon im Gespräch.
t3n Magazin: Vieles davon kann das Amazon-Gerät bereits. Wie wollen Sie sich da durchsetzen? Immerhin hat Amazon bei smarten Lautsprechern einen Marktanteil von 70 Prozent.
Claudia Nemat: Ich denke auch an den Datenschutz. Vor allem beim Thema Sprache spielt das eine Rolle. Man erzählt zu Hause ja alles Mögliche und oft auch sensible Dinge. Das berücksichtigen wir bei der Datenspeicherung und bieten Sicherheit nach deutschen und europäischen Vorgaben. Ich bin überzeugt, dass wir damit bei vielen Kunden Erfolg haben werden, für die das wichtig ist.
t3n Magazin: Die Innovationsbilanz der Telekom fällt bisher aber sehr gemischt aus. Erinnern Sie sich noch an Joyn?
Claudia Nemat: Natürlich. Sie meinen den Whatsapp-Konkurrenten.
t3n Magazin: Genau. Oder Musicload, die Antwort der Telekom auf iTunes. Beide Projekte waren ziemlich erfolglos.
Claudia Nemat: Die Innovationsbilanz der Telekom ist gut. Sie ist bloß nicht so sexy wie die anderer Konzerne.
t3n Magazin: Wie meinen Sie das?
Claudia Nemat: Die Telekom steht vor allem für Technologie-Innovationen, die sich nicht vor den Chinesen und Amerikanern verstecken müssen. Wir waren 2016 beispielsweise die ersten, die eine Reaktionszeit von einer Millisekunde in einem 5G-Pilotnetz getestet haben. Auch waren wir der erste Netzbetreiber in Europa, der 5G-Antennen im Live-Netz installiert hat. Aber Sie haben durchaus recht: Bei den großen Innovationen im Privatkundenbereich waren die Amerikaner oft schneller als wir.
t3n Magazin: Haben Sie eine Erklärung dafür?
Claudia Nemat: Nehmen wir den Angriff auf die SMS durch Whatsapp. Vor sieben Jahren waren sich alle großen Netzbetreiber noch sicher: Whatsapp wird sich nicht durchsetzen. Zum einen war die SMS damals die „Cashcow“ schlechthin. Kein Netzbetreiber wäre je auf die Idee gekommen, sein eigenes Geschäft zu kannibalisieren. Zum anderen hielten die Manager die SMS für deutlich sicherer. Was sie allerdings übersehen haben: Die Menschen nutzten Whatsapp trotzdem, weil es kostenlos ist und einfacher zu bedienen.
t3n Magazin: Und dann war es für Joyn schon zu spät.
Claudia Nemat: Ja. Aber wir haben aus der Geschichte auch gelernt.
t3n Magazin: Was denn?
Claudia Nemat: Die wichtigste Lehre war sicherlich, nicht länger zu glauben, alle Probleme immer innerhalb der Telekom lösen zu müssen. Wir mussten uns für Partner mehr öffnen. Das können Startups sein, aber auch andere größere Unternehmen.
t3n Magazin: Apple erfindet doch auch alles selbst und ist so zum wertvollsten Unternehmen der Welt geworden.
Claudia Nemat: Apple ist es gelungen, ein riesiges Ökosystem von Entwicklern zu erschaffen, die es cool finden, Apps für die Kunden des Konzerns zu bauen. Wissen Sie, die intelligentesten Menschen arbeiten in der Mehrheit nicht für das eigene Unternehmen.
t3n Magazin: Das müssen Sie erklären.
Claudia Nemat: Ich meine das nicht despektierlich gegenüber den eigenen Mitarbeitern. Aber wenn man sich anschaut, wie viele Menschen es auf der Welt gibt und wie viele Ideen da theoretisch in den Köpfen schlummern, tut man als Unternehmen gut daran, sich Zugang zu ihnen zu verschaffen. Sie brauchen eine starke Community. Dafür müssen die Leute es natürlich cool finden, mit der Telekom zusammenzuarbeiten – und nicht mühselig.
„Das Smartphone wird bald im Museum stehen.“
t3n Magazin: Erste Pläne scheint es ja schon zu geben. Mit Zeiss wollen Sie eine eigene Datenbrille auf den Markt bringen.
Claudia Nemat: Daran arbeiten wir, ja. Wenn man nämlich die Vorteile der 5G-Technologie sowie der Spracherkennung zusammennimmt, ergeben sich viele Möglichkeiten für neue Produkte, die außer für einen Telekommunikationsanbieter nur schwer zu kopieren sind.
t3n Magazin: Datenbrillen haben sich bisher aber nie durchgesetzt. Google Glass ist hier ja ein berühmtes Beispiel.
Claudia Nemat: Wir gehen davon aus, dass sich das bald ändert. Vor allem bei Menschen, die komplexe Aufgaben mit ihren Händen ausführen müssen, werden Datenbrillen an Relevanz gewinnen – beispielsweise bei Technikern im Vertrieb oder Ärzten. So können ihnen direkt Informationen zur Verfügung gestellt werden. Auch im Privatkundenbereich sehe ich noch viel Potenzial. Etwa beim Thema „Gaming“ für ein noch cooleres Pokémon Go.
Glauben Sie überhaupt noch an das Smartphone?
Claudia Nemat: Smartphones werden bald im Museum stehen.
t3n Magazin: Gewagte These.
Claudia Nemat: Die ich mit Überzeugung vertrete. Wir sollten davon wegkommen, unser Verhalten nach diesen kleinen Bildschirmen in der Hand auszurichten. Benutzeroberflächen werden in den nächsten Jahren natürlicher werden. Viele Funktionen des Smartphones werden in Zukunft von anderen Medien übernommen. Nicht nur von Brillen, sondern auch von smarten Ohrstöpseln oder Kleidungsstücken.
t3n Magazin: Von Kleidungsstücken?
Claudia Nemat: Kleidung schützt und umgibt Menschen seit Jahrtausenden. Warum sollten also nicht auch Textilien smarter werden?
t3n Magazin: Wie stellen Sie sich das vor?
Claudia Nemat: Wir sind da noch in der Experimentierphase. Aber ein Team aus unserem „Fashion-Fusion-Wettbewerb“ hat beispielsweise ein T-Shirt entwickelt mit eingewebten Sensoren, die Sportlern mitteilen, ob sie ihre Sit-ups richtig ausführen. Damit sparen sie sich quasi den Personal Trainer. Ein anderes Entwicklerteam arbeitet mit der Lufthansa an smarten Uniformen für Flugbegleiter.
t3n Magazin: Was können diese Uniformen?
Claudia Nemat: Kleine Displays in den Uniform-Manschetten geben den Flugbegleitern Informationen zur Passagierversorgung, etwa Tipps gegen Flugangst. Passagiere können für mehr Reisekomfort außerdem ein Cape mit integriertem Nackenkissen umlegen, das je nach Wunsch mehr oder weniger wärmt. Durch Vibrationen im Nackenkissen können Reisende sich auch behutsam aufwecken lassen.
t3n Magazin: Würden Sie denn smarte Kleidung im Büro tragen?
Claudia Nemat: Absolut, das kann ich mir durchaus vorstellen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist bei der Telekom aber noch nichts in der Planung. Wir sind kein Modeunternehmen, sondern technologischer Türöffner.
t3n Magazin: Wofür es ständig neue Ideen braucht. Wie kommen Sie auf die?
Claudia Nemat: Viel läuft über unsere Scouting-Teams in Berlin, Palo Alto und Tel Aviv und durch unsere Research-Labs, die Kooperationen mit Universitäten in der ganzen Welt haben. Persönlich versuche ich immer wieder zu verstehen, was gerade in anderen Disziplinen gedacht wird, etwa in der Medizin, Soziologie oder auch Philosophie. Also welche Wechselwirkung zu Technologieinnovationen bestehen könnte. Ich höre aber auch meinen Kindern zu.
t3n Magazin: Neue Ideen versickern allerdings häufig im Treibsand der Konzernstrukturen.
Claudia Nemat: Je größer ein Unternehmen ist, desto härter muss man für Innovationen kämpfen. Das gilt auch für die Telekom.
t3n Magazin: Und was tun Sie dagegen?
Claudia Nemat: Drei Dinge, erstens: „Fail fast“. Es ist wichtig, dass man nicht lange versucht, eine falsche Idee zu verteidigen. Sonst verliert man wertvolle Zeit. Zweitens: Wie ein Venture-Capital-Unternehmen arbeiten. Hat ein Telekom-Mitarbeiter beispielsweise eine vielversprechende Idee, kann er sie präsentieren und bekommt im besten Fall die Möglichkeit, die Idee mit Startkapital und einem klaren Meilenstein weiterzuentwickeln. Wenn es gut läuft, schießen wir weiteres Geld nach. Und drittens: Fokus hilft auch.
t3n Magazin: Den Fokus in einem Konzern mit mehr als 200.000 Mitarbeitern zu bewahren, ist sicher leichter gesagt als getan.
Claudia Nemat: Stimmt, aber gerade in großen Unternehmen ist er wichtig. Wenn Sie nämlich versuchen, 295 Dinge gleichzeitig zu machen, wird keines davon gut. Sie müssen sich auf wenige Themen konzentrieren und dort gezielt Geld und Ressourcen hineinstecken. Das erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit.
t3n Magazin: Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Claudia Nemat: Da müssten Sie meine Mitarbeiter fragen. Aber wenn Sie so wollen: Hart, aber herzlich.
t3n Magazin: Hart bedeutet jetzt was genau?
Claudia Nemat: Wenn ich erkenne, dass etwas nicht funktioniert, dann ziehe ich daraus die Konsequenzen. Manchmal ist es besser, eine Sache früh zu beenden, statt zu warten, bis es zu spät ist.
t3n Magazin: Klingt nicht so, als hätten Sie eine hohe Fehlertoleranz.
Claudia Nemat: Doch. Auch ich habe in meiner Karriere schon viele Fehler gemacht. Das Wichtigste dabei ist nur, dass man Fehler frühzeitig erkennt und entsprechend korrigiert. „Fail fast“ eben. Insofern habe ich durchaus eine hohe Fehlertoleranz, nur keine so große Toleranz für das permanente Verschleppen von Problemen.
t3n Magazin: Kollegen beschreiben Sie als „energiegeladenes Kraftpferd, das durch hohes Tempo, Temperament und überdurchschnittliche Intelligenz auffällt.“ Ecken Sie damit nicht auch an?
Claudia Nemat: Immer weniger. Und wissen Sie: Dadurch, dass ich extrem gut mit den Unterschiedlichkeiten anderer Menschen leben kann, führt das auch nicht unbedingt zum Anecken.
t3n Magazin: Gerüchte besagen aber, Sie hätten sich schon öfter mit Telekom-Chef Tim Höttges gezofft. Angeblich stand deswegen sogar mal ein Abschied aus dem Konzern zur Debatte. Stimmt das?
Claudia Nemat: Nein, da ist nichts dran. Tim und ich pflegen einen sehr offenen Umgang miteinander, sind beide Überzeugungstäter und mit Leidenschaft bei der Sache. Natürlich gibt es auch zwischen uns mal Meinungsverschiedenheiten. In Anlehnung an die griechische Philosophie hat Tim aber mal treffend gesagt: „Aus einer These und der Antithese entsteht eine fantastische Synthese.“
t3n Magazin: Vor zwei Jahren hat Tim Höttges die Idee geäußert, eine Umsatzbeteiligung von Startups zu verlangen, die auf eine gute Übertragungsqualität ihrer Daten bestehen. Finden Sie das sinnvoll?
Claudia Nemat: Nein. Ich denke, wir konnten das Missverständnis von damals inzwischen auch aufklären. Die Telekom versteht sich als Partner und Förderer von Startups. Kooperationen sind ja schon allein deshalb sinnvoll, weil die Telekom unter anderem eine große Kundenbasis und eine starke Marke bietet. Was geben Gründer dafür? Neue Ideen, innovative Ansätze. Wir können eine Menge voneinander lernen. Deshalb ist der Austausch wichtig.
t3n Magazin: Ist Ihnen Netzneutralität auch wichtig?
Claudia Nemat: Ein offenes, faires Internet ist mir absolut wichtig.
t3n Magazin: Was verstehen Sie unter einem offenen, fairen Internet?
Claudia Nemat: Dass kein Unternehmen fürchten muss, dass man die eigene Website nur langsam aufrufen kann. Im Grunde muss alles erreichbar sein und kein Datenanbieter darf diskriminiert werden.
t3n Magazin: Sieht das auch die Telekom so?
Claudia Nemat: Selbstverständlich auch die Telekom. Wir halten uns als Unternehmen an die bestehenden Regeln.
Die Netzgemeinde sieht das anders. Sie fürchtet, die Telekom könnte ihre Partner bald für die Teilnahme am Stream-On-Tarif zur Kasse bitten. Mit der Folge, dass Nutzer für bestimmte Datendienste extra zahlen müssen.
Claudia Nemat: Sehen Sie, in der derzeitigen Ausgestaltung des Stream-On-Tarifs wird kein Anbieter diskriminiert. Jedem steht der Zugang zum
Tarif kostenlos offen. Bei 700.000 bisher registrierten Kunden werden wir auch nicht hingehen und plötzlich bestimmte Anbieter von der Teilnahme ausschließen. Als Startup oder Nutzer würde ich mir deswegen also keine Sorgen machen.
Sie können also ausschließen, dass die Stream-On-Option den Nutzer irgendwann zusätzliches Geld kostet?
Claudia Nemat: Über künftige Geschäftsmodelle mag ich jetzt noch nicht sprechen. Aber eines ist klar: Kein Anbieter wird jemals diskriminiert oder bestimmte Datenpakete unterschiedlich behandelt werden. Das ist für mich ein offenes und faires Internet. Trotzdem müssen wir uns bewusst darüber sein, dass sich das Internet künftig auch technologisch weiterentwickeln muss.
t3n Magazin: Wie meinen Sie das?
Claudia Nemat: Bisher sind unsere Netze ja nach dem Best-Effort-Prinzip ausgerichtet. Jedes Datenpaket wird also der Reihe nach ohne Vorzugsbehandlung verarbeitet und bestmöglich weitergeleitet. Das Netz der Zukunft wird aber tief durchzogen sein mit Sensoren und Minigehirnen in Form von Clouds, die Echtzeit-Informationen überall auf der Welt bereitstellen sollen. Da reicht eine einheitliche Konnektivität, wie wir sie heute haben, nicht mehr aus. Für manche Dinge muss es dann Ausnahmen geben.
t3n Magazin: Zum Beispiel?
Claudia Nemat: Stellen Sie sich vor, Sie sind Rettungssanitäter und müssen in Echtzeit Informationen darüber erhalten, wie Sie das Leben des Unfallopfers retten können. Dann benötigt der Krankenwagen eine garantierte Reaktionszeit. Oder denken Sie an Industrieroboter, die aus der Ferne bedient werden müssen. Damit das reibungslos funktioniert, brauchen Sie garantierte Reaktionszeiten. Dasselbe gilt für autonome Fahrzeuge oder Drohnen, die Blutkonserven liefern. Wenn Sie allerdings nur einen Sensor in der Kanalisation haben, der Ihnen die Konzentration einer bestimmten Chemikalie in der Abwasserleitung herüberfunkt, genügt auch eine geringe Datenrate und langsamere Reaktionszeit.
t3n Magazin: Die Netzneutralität, wie wir sie heute kennen, wäre in diesem Szenario dann aber tatsächlich Geschichte.
Claudia Nemat: Was wir uns heute unter dem Internet vorstellen, hat technisch jedenfalls nicht mehr viel gemein mit dem, wohin sich die Netzinfrastruktur in Zukunft entwickeln wird. Ich vergleiche das gerne mit den unzähligen Nervenzellen im menschlichen Körper: Jede davon hat unterschiedliche Aufgaben, je nachdem, ob das Auge, die Hand, das Schmerzempfinden oder das Gehirn bedient werden soll. So wird das auch bei den Echtzeit-Netzen sein. Wie man dort dann wieder faire Bedingungen für alle Anbieter schafft, müssen wir uns gesellschaftlich überlegen.
t3n Magazin: Das hört sich ja alles vielversprechend an. Nur hat es die Telekom beim Netzausbau nicht immer eilig gehabt.
Claudia Nemat: Kein anderer Netzanbieter treibt den Infrastrukturausbau in Deutschland so intensiv voran wie wir. Die Telekom sorgt dafür, dass auch die Menschen in ländlichen Gebieten zügig schnellere Anschlüsse bekommen. Und auch den kommerziellen Rollout von 5G planen wir ab 2020.
t3n Magazin: Das wird dann sicher einige Jahre dauern, oder?
Claudia Nemat: Wie schnell das dann passieren wird und wo wir anfangen, wird auch stark von den Vergabepreisen für die Lizenzen abhängen. Das Ziel der Telekom ist aber klar: Wir wollen bei 5G eine Führungsrolle einnehmen. Und zwar in Deutschland und Europa.
t3n Magazin: Wann rechnen Sie mit einem flächendeckenden 5G-Netz?
Claudia Nemat: Die Frage ist schwer zu beantworten. Es gibt ja nie ein für alle Zeiten fertiges Netz. Derzeit haben Sie im Mobilfunk eine Kombination aus 2G, 3G und 4G. 5G ist aber nicht einfach die Fortschreibung, sondern eine neue Netzarchitektur aus Mobilfunk und Festnetz. Darin hat 2G, vor allem aber 4G, weiterhin eine Aufgabe. Irgendwann wird dann 3G abgeschaltet, sodass es neben dem Festnetz für lange Zeit eine Kombination aus 4G und 5G geben wird.
t3n Magazin: Der Netzausbau kostet viel Geld. Was investieren Sie?
Claudia Nemat: Wir investieren jährlich rund fünf Milliarden Euro allein in Deutschland. 75 Prozent der Kabeltiefbaukapazität arbeitet nur für die Telekom. Im letzten Jahr haben wir 40.000 Kilometer Glasfaser verlegt. Genauere Zahlen zu den geplanten Investitionen kommunizieren wir nicht.
t3n Magazin: Wie stehen Sie zu der Idee, dass die Bundesregierung ihre Telekom-Anteile verkauft? Das Geld könnte doch sofort in den Ausbau der Netzinfrastruktur investiert werden.
Claudia Nemat: Der Bund kann mit seinen Anteilen wie jeder Eigner machen was er will. Ich könnte jetzt noch darauf verweisen, dass die Telekom eine extrem sicherheitskritische Infrastruktur in der Bundesrepublik Deutschland betreibt. Ein sicheres Netz sollte daher eher nicht komplett in privaten Händen liegen.
t3n Magazin: Womit wir wieder bei Amazon wären.
Claudia Nemat: Wie gesagt: Amazon ist nicht mein Feindbild.