Kürzere Texte für das Web
Höher, schneller, weiter. So tickt unsere Gesellschaft heutzutage. Im Digitalen dürfte sich hier vor allem das „Schneller“ durchgesetzt haben. Schnellere Prozessoren, ein schnellerer Internetanschluss und die schnellere Verarbeitung von Informationen gehören zum grundlegenden Bedürfnis der meisten Onliner. Dieses Bedürfnis macht auch vor Online-Texten nicht halt.
Nutzer – oder besser Leser – haben oft nicht die Lust und die Ausdauer, sich langen Texten im Netz zu widmen. Botschaften sollen wenn möglich kurz und präzise formuliert sein. Wer heute veröffentlicht und den Großteil der Leser ansprechen will, der muss auf den Punkt kommen. Viele Autoren reagieren darauf mit einem „tl;dr“ am Artikelende. Das Kürzel bedeutet „to long, didn’t read“ und leitet eine überschaubare Zusammenfassung des vorherigen Artikels ein. Mir erstmalig – in ironischer Form – bewusst begegnet in Thilo Spechts Artikel „Social Media machen dumm – in Echtzeit“ (kleiner Linktipp am Rande). Der Ursprung liegt womöglich jedoch im Trollsprech alter Foren.
tldr.io befriedigt Bedürfnis nach kurzen Texten
Hinter diesem Bedürfnis entsteht also eine Nachfrage – und nun auch ein Angebot, das ausnahmsweise nicht auf automatisierte Textausschnitte setzt. Das französische Startup tldr.io versucht, den Wünschen und Neigungen der Onliner nachzukommen und hat ein Tool entwickelt, das in derzeit so gehypter Crowdsourcing-Manier kollaborativ das Netz – oder vielmehr seine einzelnen Texte – auf maximal 800 Zeichen reduziert. Wie? Im Grunde ganz einfach.
Verkürzt dargestellt geht das so: Angemeldete Nutzer können über ein Browser-Bookmarklet und eine Chrome-Erweiterung zu Texten, die hinter einem konkreten Link stehen, eine Zusammenfassung abrufen. Ob es eine solche gibt, zeigt ein grünes Logo in der Adresszeile. Gibt es keine, kann das Community-Mitglied den Text selbst in maximal fünf Stichpunkten à 160 Zeichen zusammenfassen und anderen zugänglich machen. Das Gute daran: Man muss nicht erst einen Artikel komplett gelesen haben um zu wissen, ob das Thema etwas hergibt oder nicht. Das Schlechte daran: Man läuft Gefahr, viele gute Texte gar nicht erst zu lesen, weil einem die tl;dr-Einleitung nicht gefallen hat. Über den hauseigenen „Discover“-Bereich ist es möglich, „beliebte“ und „neue“ Texte aus verschiedenen Ressorts zu entdecken, beispielsweise zu den Themengebieten Business, Design, Tech News, World News, Internet oder Opinion sowie einigen anderen Bereichen. Auch die Unterteilung in deutsche und englische Sprache ist möglich.
Der Dienst übernimmt somit eine Aufgabe, die zwischen der eines Kurators, eines Aggregators und eines Wikis liegt, und jede einzelne Aufgabe wird in die Hände der Crowd gelegt. Denn Qualitätstests werden noch nicht über die Kurzbeschreibungen gestülpt, was zumindest derzeit noch für einige Unzulänglichkeiten im Textefundus führen könnte.
tldr.io besitzt Potenzial für Onliner
Das Pariser Startup wurde im vergangenen Jahr von den Gründern Louis Chatriot, Stanislas Marion und Charles Miglietti gelauncht und erfreut sich zunehmend einer größeren Beliebtheit im Netz. Auch in Deutschland beginnt der Dienst allmählich Fahrt aufzunehmen. Ob das tldr.io-Tool seinen festen Platz im Browser der Nutzer finden wird, bleibt jedoch abzuwarten. Fest steht, dass die Idee hinter tldr.io grundsätzlich bemerkenswert und auch seiner Zeit angemessen ist. Auch Konflikte mit dem Urheberrecht kann man ausschließen, da die kurzen Stichpunkte nicht maschinell hergestellt werden. Wir werden den Dienst weiter für euch im Auge behalten.
Weiterführende Links
- tldr.io – Webseite
- Dotdotdot.me: Schöner Lesen auf Tablets und Smartphones – t3n News
- WHY I <3 TLDR.IO – dougbelshaw.com
Die Wahrscheinlichkeit, auf eine Zusammenfassung zu treffen, dürfte am Anfang recht gering sein. Und warum sollte ich mir die Arbeit machen, das zusammenzufassen?
Ich weiß ja nicht…
Ich sehe das als sehr interessante Möglichkeit. Schließlich werden wir heutzutage tatsächlich von einer riesigen Informationsflut überschüttet. Schön, wenn sich dagegen Abhilfe schaffen lässt.