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Ausbruch des Vesuv vor 2000 Jahren: So wurde das Gehirn eines Mannes zu Glas

Fragmente aus dem Gehirn eines Mannes, der beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 getötet wurde, erscheinen glitzernd wie Glas. Es zeigt sich: Sie enthalten noch sichtbare Neuronen. Der Fund begeistert Forscher:innen.

Von MIT Technology Review Online
5 Min.
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(Symbolbild: Fotos593 / Shutterstock)

Sie sehen aus wie kleine Stücke aus Obsidian, fühlen sich glatt an und glänzen. Doch die Reihe kleiner schwarzer Fragmente, die im Schädel eines Mannes gefunden wurden, der beim Ausbruch des Vesuvs in Süditalien im Jahr 79 n. Chr. ums Leben kam, sind vermutlich Teile seines zu Glas gewordenen Gehirns.

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Wie die Glasfragmente entstanden sind

Die Entdeckung, über die bereits im Jahr 2020 erstmals berichtet wurde, war aufregend, weil noch nie ein menschliches Gehirn in diesem Zustand vorgefunden worden war. Jetzt glauben Wissenschaftler:innen, die die menschlichen Überreste untersuchten, mehr Details darüber herausgefunden zu haben, wie die Glasfragmente überhaupt entstanden sind. Der Mann war offenbar Temperaturen von über 500 Grad Celsius ausgesetzt, gefolgt von einer schnellen Abkühlung. Nur diese Bedingungen ermöglichten die Erhaltung winziger Strukturen inklusive Zellen in seinem Gehirn, die sich nun verglast vorfinden lassen.

„Das ist ein außergewöhnlicher Befund“, sagt Matteo Borrini, forensischer Anthropologe an der Liverpool John Moores University in Großbritannien, der die Studie kennt. „Es zeigt uns, wie die Konservierung [eines Gehirns] funktionieren kann … extreme Bedingungen können solche extremen Ergebnisse hervorbringen.“

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Die römische Stadt Herculaneum ist seit vielen Jahrhunderten mit Asche bedeckt. Bei Ausgrabungen, die es schon seit Langem gibt, wurden erstaunliche Funde von konservierten Körpern, ganzen Gebäuden, Möbeln, Kunstwerken und sogar Lebensmitteln gemacht. Sie haben den Archäolog:innen dabei geholfen, sich ein Bild davon zu machen, wie das Leben der Menschen im alten Rom aussah. Aber die Artefakte bringen immer noch Überraschungen hervor.

Glitzernde Überreste in der Vulkanasche

Vor etwa fünf Jahren untersuchte Pier Paolo Petrone, ein forensischer Archäologe an der Universität Neapel Federico II, die erstmals in den 1960er Jahren ausgegrabenen Überreste eines vermutlich 20-jährigen Mannes. Er wurde in einem Gebäude gefunden, bei dem es sich vermutlich um eine Kultstätte handelte. Die Archäolog:innen glauben, dass er das Gebäude bewacht haben könnte. Er wurde mit dem Gesicht nach unten auf einem Holzbett liegend gefunden.

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Petrone dokumentierte gerade die verkohlten Knochen des Mannes unter einer Lampe, als er etwas Ungewöhnliches bemerkte. „Plötzlich sah ich kleine glasige Überreste in der Vulkanasche, die den Schädel füllte, glitzern“, erzählt er gegenüber MIT Technology Review per E-Mail. „Sie hatten ein schwarzes Aussehen und eine glänzende Oberfläche, ähnlich wie Obsidian.“ Aber, so fügt er hinzu, „im Gegensatz zu Obsidian waren die glasigen Überreste extrem brüchig und leicht zu zerbröckeln“.

Konserviertes Gehirngewebe

Eine Analyse der Proteine in der Probe legte schließlich nahe, dass es sich bei den glasigen Überresten um konserviertes Hirngewebe handelte. Und als Petrone und seine Kolleg:innen Teile des Materials mit Mikroskopen untersuchten, konnten sie sogar Neuronen darin erkennen. „Es war sehr aufregend, weil ich begriff, dass es sich bei dem konservierten Gehirn um etwas Einzigartiges handelte, das noch nie zuvor in einem anderen archäologischen oder forensischen Kontext entdeckt worden war“, sagt er.

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Die nächste Frage war, wie das Gehirn des Mannes überhaupt zu Glas wurde, erläutert Guido Giordano, Vulkanologe an der Universität Roma Tre in Rom, der an dem Forschungsprojekt beteiligt war. Um das herauszufinden, setzten er und seine Kolleg:innen winzige Teile der gläsernen Gehirnfragmente – die nur einen Millimeter breit waren – im Labor extremen Temperaturen aus. Ziel war es, den „Glasübergangszustand“ zu bestimmen – die Temperatur, bei der das Material von spröde zu weich wird.

Diese Experimente legen nahe, dass es sich bei dem Material um ein Glas handelt, das sich bei einem Temperaturabfall von über 510 Grad Celsius auf Raumtemperatur gebildet hat, sagt Giordano. „Die Erhitzungsphase kann nicht lange gedauert haben. Sonst wäre das Material gekocht worden und verschwunden“, sagt er. Dies sei wahrscheinlich auch mit den Gehirnen der anderen Menschen geschehen, deren Überreste in Herculaneum gefunden wurden und die nicht erhalten geblieben sind.

Ein einzigartiger Fall

Die kurzen Perioden mit extrem hohen Temperaturen könnten von superheißen vulkanischen Gasen und einigen Zentimetern Asche herrühren, die die Stadt kurz nach dem Ausbruch umhüllten und sich dabei absetzten. Dichtere pyroklastische Ströme aus dem Vulkan hätten das Gebäude erst Stunden später getroffen, möglicherweise nachdem das Gehirn des Mannes die Chance hatte, schnell abzukühlen.

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„Die Aschewolken können leicht 500 oder 600 Grad heiß sein, [aber] sie können schnell vorbeiziehen und wieder verschwinden“, sagt Giordano, der zusammen mit seinen Kollegen die Ergebnisse in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlichte. „Das würde für die schnelle Abkühlung sorgen, die für die Bildung von Glas erforderlich ist.“ Niemand weiß genau, warum das Gehirn dieses jungen Mannes das einzige war, das solche Glasfragmente bildete. Es könnte daran liegen, dass er in dem Gebäude geschützt war, sagt Giordano. Es wird vermutet, dass die meisten anderen Bewohner:innen von Herculaneum in der Hoffnung auf Rettung an die Ufer der Stadt geströmt sind.

Es ist auch nicht klar, warum der Mann mit dem Gesicht nach unten auf einem Bett liegend gefunden wurde. „Wir wissen nicht, was er da getan hat“, sagt Giordano. Vielleicht hat er das Gebäude gar nicht bewacht, meint Karl Harrison, forensischer Archäologe an der Universität von Exeter in Großbritannien. „Bei einem Brand landen Menschen plötzlich in Räumen, die sie nicht kennen, weil sie durch Rauch rennen müssen“, sagt er. Während des Vulkanausbruchs könnten die Bedingungen ähnlich gewesen sein. „Die Leute landen dann an seltsamen Orten.“

Bereits früher antike Gehirne ausgegraben

Wie auch immer es dazu kam, das Gehirn des Mannes ist ein einzigartiger Fund. Archäolog:innen haben schon früher antike menschliche Gehirne ausgegraben – seit Mitte des 17. Jahrhunderts wurden mehr als 4.400 entdeckt. Diese Proben wurden jedoch in der Regel durch Trocknen, Einfrieren oder einen Prozess namens Verseifung konserviert, bei dem sich das Gehirn „praktisch in Seife verwandelt“, so Harrison. Er war an der Arbeit an einem Fundort in der Türkei beteiligt, an dem ein 8.000 Jahre altes Gehirn gefunden wurde. Dieses Gehirn schien „verkohlt“ zu sein und sich in eine Art Holzkohle verwandelt zu haben, sagt er.

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Einige der glasigen Hirnfragmente verblieben an der Fundstelle in Herculaneum, andere werden an Universitäten aufbewahrt, wo Wissenschaftler:innen weitere Untersuchungen an ihnen durchführen wollen. Petrone möchte die Proteine in seinen Proben weiter untersuchen, um mehr darüber zu erfahren, was in ihnen steckt.

Die Fragmente in der Hand zu halten, sei ein „ganz erstaunliches Gefühl“, sagt Giordano. „Ein paar Mal hielt ich dabei inne und dachte: Ich halte tatsächlich ein Stück des Gehirns eines Menschen in der Hand“, sagt er. Das sei sehr berührend gewesen.

Dieser Artikel stammt von Jessica Hamzelou. Sie ist Senior Reporter bei der US-amerikanischen Ausgabe von MIT Technology Review und schreibt über Biomedizin und Biotechnologie.
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