E-Commerce: Was ist eigentlich Social Discovery?
Einer der spannendsten Börsengänge des letzten Jahres an der New York Stock Exchange ging an Deutschland weitgehend unbemerkt vorbei. Im Vorfeld des Börsengangs hatte man zwar die ehrgeizigen Pläne von Pinduoduo kommentiert, aber als das Unternehmen 1,6 Milliarden US-Dollar eingesammelt und damit laut Wall Street Journal eine Gesamtbewertung von fast 24 Milliarden Dollar erreicht hatte, blieben die deutschen Gazetten weitgehend stumm. Vermutlich haben die Marktbeobachter selbst investiert und das war richtig so: Heute sind die Aktien von Pinduoduo doppelt so viel wert wie im Juli 2018.
Und wer ist Pinduoduo? Um es einfach zu sagen: Groupon auf Speed. Es geht um Gruppenkauf und die dadurch mögliche Rabattierung. So war Groupon seinerzeit ja mal gestartet, bevor das Angebot zum allgemeinen Gutscheinportal verwässerte. Neu an Pinduoduo ist vor allem der Ort des Geschehens: Der Gruppenkauf wird nämlich vor allem über Wechat gestartet. Das „Lebens-Betriebssystem“ der Chinesen, mit dem nicht nur gechattet werden, sondern auch Autos gemietet, Filme geschaut, Konzerte besucht und Essen bestellt werden kann, bietet seinen Nutzern die Möglichkeit, sich zusammenzutun und gemeinsam von mitunter starken Rabatten der Marken zu profitieren. Und Wechat macht das gerne, denn die Umsätze beider Unternehmen fließen ins gleiche Mutterschiff: Auch Pinduoduo gehört zum Tencent-Universum. Gemeinsam lehrt man gerade Alibaba das Fürchten.
Pinduoduo hat auch seine eigene App, über die gekauft werden kann. Diese hat aber nicht ansatzweise die Bedeutung, die die Konversationen in Wechat haben. Der Messenger ist ein Instrument, mit dem sich Freunde untereinander inspirieren und auf neue Produkte aufmerksam machen. Das geschieht in jedem Messenger. Pinduoduo veredelt nun diese Kommunikation mit konkret dazu passenden Angeboten.
Social Commerce neu denken
An Facebook, Instagram, Pinterest oder Snapchat ist das rasend schnelle Wachstum der Chinesen natürlich nicht vorübergegangen. Doch richtig reagiert haben sie nicht. Sie verharren in der Idee, das Social Commerce ein Einzelkauf bleibt, aber über Social Networks angeleiert wird. Vor allem die unterschiedlichen Story-Formate und natürlich Influencer-Marketing jeder Couleur treiben den Shops Traffic zu. Instagram zählt 130 Millionen Klicks auf Shopping-Ads pro Monat.
Am anderen Ende des Spektrums in Sachen Social Commerce wartet der traurige „Tell a friend“-Button darauf, dass er geklickt wird. Er wohnt in der Regel auf der „Danke-Seite“. Das ist die Seite, die erscheint, wenn ein Kauf abgeschlossen ist. Wenn der Käufer mit seiner Neuerwerbung angeben will, klickt er jetzt – es sei denn, er ist froh mit dem Prozess fertig zu sein oder er wird von anderen Angeboten der Website abgelenkt: der Newsletter-Bewerbung oder dem unvermeidlichen Gutschein aus dem Sovendus-Netzwerk.
Bei Groupify meint man, dass das doch auch anders gehen muss. Das Zusammentrommeln von Freunden kann doch auch zu Beginn eines Kaufprozesses geschehen und es kann dort passieren, wo eingekauft wird, nämlich im Onlineshop und nicht im sozialen Netzwerk. Von letzterem gehen zwar viele Kaufimpulse aus – 44 Prozent aller Internetnutzer haben schon mal ein Produkt gekauft, auf das sie auf Social Networks gestoßen sind –, aber rund 50 Prozent führen den Kaufprozess trotz eines Erstimpulses aus Social Media nicht zu Ende, so eine Studie von Kleiner Perkins.
Was wäre also, wenn man den gemeinschaftlichen Kauf gleich an den Anfang der Customer Journey im eigenen Onlineshop setzt? Hess Natur macht das in der Schweiz. Die Wuppertaler Lebensmittelhändlerin Katharina Geib testet das gerade für ihren Shop Vegan-Box.de und Anfang des nächsten Jahres werden auch diverse Otto-Shops den Ansatz testen, darunter zum Beispiel Bauer.de.
Wenig Anpassungsbedarf
Es gibt eine Reihe guter Gründe, warum diese neue Idee von Social Commerce funktionieren könnte. Einer davon ist, dass die Shop-Betreiber nicht viel tun müssen, um das Tool in ihre Prozesse zu integrieren:
- Groupify setzt auf dem klassischen Gutschein-Code auf, der in allen gängigen Shop-Systemen verfügbar ist. Wer seine Freunde zum gemeinsamen Kauf einlädt, verschickt letztlich einen Voucher, der eben an die Bedingung geknüpft ist, dass nur alle drei gleichzeitig eingelöst werden können.
- Die Händler kennen ihre Akquise-Kosten für Neukunden. Insofern ist es ein reines Rechenspiel, welche Rabattierung man auslobt, wenn ein User seine Freunde wirbt.
- Die User haben sich daran gewöhnt, Links zu Produkten via Social Media zu teilen. Warum sollte man das nicht aktiv fördern?
- Anders als bei Social Media fließen die Daten aus den Interaktionen an den Händler zurück und der kann sie als CRM-Instrument nutzen.
- Das Interface von Groupify ist denkbar simpel. Bei der Integration in die Seite muss man allerdings Vorsicht walten lassen. Auf Vegan-Box.de überlagert der Button beispielsweise die Cookie-Einwilligung.
Freilich gibt es auch Fragezeichen bei der Idee:
- Wie viele User tauschen sich wirklich über ein solches System miteinander aus? Die Idee von Groupify-Gründer Alex von Harsdorf ist, dass sich Freundinnen gegenseitig bei der Mode- und Kosmetikwahl beraten. Das wird erst zu beweisen sein.
- Die Reichweite des einzelnen Shops ist natürlich begrenzt. Die direkten Umsatzeffekte halten sich vermutlich in Grenzen.
- Es wird vor allem bei größeren Shops Mitnahme-Effekte geben – bei Kunden, die auch zum Originalpreis gekauft hätten. Aber das ist bei jeder Rabattaktion so.
Unterm Strich hat die Idee des kollektiven Einkaufs Charme, vor allem, wenn sie einfach gemacht ist. User werden fürs Weiterleiten ihrer „Entdeckungen“ belohnt und das Prinzip hat ja schon bei der Tupper-Party funktioniert.
Es kommt auf einen Versuch an.