Forschungsteam entdeckt „Weltraum-Tornados“ im Herzen der Milchstraße

Diese „schlanken Filamente“ könnten eine bislang unbekannte Rolle im Materialkreislauf der Galaxie spielen – und werfen neue Fragen zur Dynamik der sogenannten Central Molecular Zone (CMZ) auf, die sich rund um das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße erstreckt.
ALMA-Teleskop liefert entscheidende Beobachtungsdaten
Ein Forschungsteam um Kai Yang von der chinesischen Shanghai Jiao Tong University nutzte dafür das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA). Das ALMA ist ein Verbund aus 66 hochpräzisen Radioteleskopen in der Atacama-Wüste im Norden Chiles. Es zählt zu den leistungsfähigsten Teleskopanlagen weltweit, wenn es darum geht, besonders kalte und feinstrukturierte Regionen des Universums im Millimeter- und Submillimeterbereich zu beobachten – also in Wellenlängen, die zwischen Radio- und Infrarotstrahlung liegen. Daher eignet sich ALMA besonders zur Erforschung von Sternentstehung, Molekülwolken, Galaxienstrukturen und Schwarzen Löchern.
Ursprünglich wollten die Forschenden mithilfe von Siliziumoxid Hinweise auf Stoßwellen finden und deren Dynamik untersuchen. Doch die Beobachtungsdaten zeigten mehr: Darin ließen sich schlanke, hochdynamische Gasfilamente erkennen, die sich deutlich von bekannten Strukturen im galaktischen Zentrum unterscheiden.
Neue Gasfilamente: Schockfronten als Auslöser?
Die CMZ ist ein dichter, komplexer Raum mit enormer Dynamik. Gaswolken rasen hier mit bis zu 100 Kilometern pro Sekunde durchs All, Turbulenzen und Schockfronten sind an der Tagesordnung. Genau diese Schocks könnten auch zur Entstehung der jetzt entdeckten Filamente beitragen – so die Theorie der Forscher:innen.
Neben Siliziumoxid fanden sich in den Filamenten auch komplexe organische Moleküle wie Methanol, Cyanoacetylen oder Acetonitril. Ihre Bewegung wird dabei nicht durch Schwerkraft oder Druckunterschiede, sondern durch reine Turbulenz bestimmt – ein Verhalten, das sonst eher aus der Meteorologie bekannt ist.
„Wir können uns diese Strukturen wie Weltraum-Tornados vorstellen“, erläutert Xing Lu vom Shanghai Astronomical Observatory: „Sie bestehen aus heftigen Gasströmen, lösen sich rasch auf und verteilen Materie sehr effizient in ihrer Umgebung.“
„Tornados“ sorgen für Materialrecycling im All
Sollten diese „Weltraum-Tornados“ in der CMZ tatsächlich weit verbreitet sein, könnten sie einen entscheidenden Anteil am Materialkreislauf im Zentrum der Milchstraße haben. Die Strukturen lösen sich laut der im Fachjournal Astronomy & Astrophysics veröffentlichten Studie des Teams innerhalb von rund 10.000 Jahren auf und setzen dabei Moleküle in ihre Umgebung frei, die anschließend wieder zu Staub kondensieren. So tragen sie zur Erneuerung der interstellaren Materie bei.
Es ist nicht das erste Mal, dass die dynamische Region rund um das supermassereiche Schwarze Loch der Milchstraße mit Überraschungen aufwartet – aber diese Beobachtung fügt dem Puzzle unseres galaktischen Ökosystems ein neues Teil hinzu.
Was diese Entdeckung so besonders macht
Denn bei den neu entdeckten Filamenten handelt es sich nicht einfach um eine weitere Beobachtung interstellarer Gasstrukturen, sondern um einen potenziell neuen Mechanismus innerhalb des Materialkreislaufs der Milchstraße. Sie sind weder gravitativ gebunden noch mit Sternentstehung verknüpft, sondern entstehen und vergehen offenbar rein durch Turbulenz.
Diese kurzlebigen Gaswirbel könnten eine bislang übersehene Rolle bei der Umverteilung organischer Moleküle und Staub im galaktischen Zentrum spielen. Die Studie liefert damit einen wichtigen Impuls, bestehende Modelle zur Struktur der zentralen Molekülzone, deren innere Dynamik nach wie vor als weitgehend rätselhaft gilt, neu zu denken.