Erinnerungsvermögen für KI: Wie Microsoft das Web neu erfinden will

Der Softwarekonzern Microsoft aus Redmond im US-Bundesstaat Washington kündigt eine grundlegende Weiterentwicklung aktueller KI-Systeme an. Kurz vor dem Start seiner jährlichen Entwickler:innenkonferenz „Build“ am heutigen 19. Mai 2025 in Seattle skizzierte Technikchef Kevin Scott eine Zukunft, in der KI-Agenten verschiedener Hersteller nahtlos kooperieren und sich an Interaktionen erinnern können.
Das „agentische Web“: Eine neue Infrastruktur für KI
Im Kern von Microsofts Vision steht die Schaffung eines sogenannten „agentischen Webs“. Scott erklärte gegenüber Reporter:innen und Analyst:innen am Firmensitz in Redmond, dass Microsoft die branchenweite Einführung von Standards vorantreiben wolle. Diese Standards sollen es KI-Agenten – also Systemen, die eigenständig spezifische Aufgaben wie etwa das Beheben eines Softwarefehlers erledigen können – ermöglichen, herstellerübergreifend zusammenzuarbeiten.
Ein zentraler Baustein hierfür sei das „Model Context Protocol“ (MCP). Dieses Open-Source-Protokoll wurde ursprünglich vom Unternehmen Anthropic, in das unter anderem der Google-Mutterkonzern Alphabet investiert ist, eingeführt. Laut Scott habe MCP das Potenzial, eine ähnliche Rolle für KI-Agenten zu spielen wie einst Hypertext-Protokolle für die Verbreitung des Internets in den 1990er-Jahren.
„Es bedeutet, dass Ihre Vorstellungskraft bestimmen kann, was das agentische Web wird – und nicht nur eine Handvoll Unternehmen, die zufällig einige dieser Probleme zuerst erkannt haben“, wird Scott von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert.
Mehr als nur „transaktional“: KI-Agenten mit Erinnerungsvermögen
Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Verbesserung des „Gedächtnisses“ von KI-Agenten. Bisher seien die meisten Interaktionen „sehr transaktional“ – die KI bearbeitet eine Anfrage und vergisst den Kontext danach weitgehend. Zukünftige Interaktionen sollen jedoch breiter und offener gestaltet sein, was ein persistentes Erinnerungsvermögen voraussetzt.
Da ein verbessertes Gedächtnis rechenintensiv und teuer ist, setzt Microsoft auf einen neuen Ansatz namens „Structured Retrieval Augmentation“. Bei dieser Methode extrahiert ein Agent aus jeder Konversationsrunde mit eine:r Nutzer:in kurze, relevante Ausschnitte. Diese Schnipsel bilden eine Art „Fahrplan“ des Gesprächsverlaufs, auf den die KI später zurückgreifen kann.
Scott zog einen Vergleich zur Funktionsweise des menschlichen Gehirns: „Das ist ein zentraler Bestandteil, wie man ein biologisches Gehirn trainiert – man zwingt nicht jedes Mal alles mit Gewalt erneut ins Gedächtnis, wenn man ein bestimmtes Problem lösen muss.“ Diese strukturierte Informationsablage soll es den KI-Agenten ermöglichen, kontextbezogener und über längere Zeiträume hinweg kohärenter zu agieren.
Ausblick auf die Microsoft Build
Die nun bekannt gewordenen Pläne dürften einen Vorgeschmack auf die Themen geben, die Microsoft auf der heute beginnenden Build-Konferenz vertiefen wird. Analyst:innen erwarten, dass das Unternehmen dort neue Werkzeuge und Plattform-Updates für Entwickler:innen vorstellen wird, die auf diesen Konzepten aufbauen.
Die Vision eines kollaborativen und erinnerungsfähigen KI-Netzwerks könnte die Art und Weise, wie wir mit Software interagieren und wie sie für uns arbeitet, nachhaltig verändern. Es bleibt abzuwarten, welche konkreten Implementierungen und Tools Microsoft den Entwickler:innen an die Hand geben wird, um dieses „agentische Web“ Realität werden zu lassen.