Recht auf Abschalten: Warum es mehr braucht als das australische Gesetz
Ach Sommerurlaub. Sonne, Strand, leckeres Essen – und dann vielleicht doch wieder ein Anruf aus dem Unternehmen? Ein australisches Gesetz legt seit Neuestem fest, dass Angestellte in genau so einer Situation die Kontaktaufnahme vom Unternehmen getrost ignorieren können. Braucht es das in Deutschland auch?
Right to disconnect? Zwei Drittel sind im Urlaub erreichbar
Mit Blick auf den Status quo scheint es zumindest, als würde ein „right to disconnect“ auch deutschen Arbeitnehmer:innen guttun. Bei einer kürzlich veröffentlichten Bitkom-Umfrage gaben zwei Drittel der befragten Deutschen an, sie seien auch im Sommerurlaub für die Arbeit erreichbar.
Für 15 Prozent war eigenes Interesse der Grund für die Erreichbarkeit. Beim Rest standen die vermuteten oder tatsächlichen Erwartungen von Vorgesetzten, Kund:innen und Kollegium im Fokus.
Was aus der Bitkom-Umfrage nicht klar wird: Gibt es für den Druck, den Menschen offensichtlich bezüglich der Erreichbarkeit verspüren, auch wirklich schriftlich festgelegte Grundlagen, oder handelt es sich schlicht um unausgesprochene Standards und althergebrachte Erwartungen?
Kontaktaufnahme durch den Arbeitgeber: Was ist angemessen?
Das australische „Right to disconnect“ soll Arbeitnehmer:innen künftig den Rücken stärken, wenn die sich gegen die Erwartungen ihres Arbeitgebers wehren wollen. Unternehmen dürfen ihre Beschäftigten zwar weiterhin kontaktieren, die können die Kontaktaufnahme künftig aber unter Berufung auf das allgemein geltende Gesetz ignorieren.
Eine Einschränkung gibt es dabei allerdings: Kommt es zum Konflikt zwischen den beiden Parteien, muss das australische Arbeitsgericht (FWC) entscheiden, ob das Ablehnen der Kontaktaufnahme „unangemessen“ war oder nicht. Dafür werden Faktoren wie die Rolle des Arbeitnehmers, der Grund für die Kontaktaufnahme und die Art der Kontaktaufnahme einbezogen.
Die Nachrichtenagentur Reuters schreibt dazu: „Die FWC kann ein Unternehmen anweisen, den Kontakt zu einem Arbeitnehmer einzustellen, oder es kann ihm untersagen, Disziplinarmaßnahmen gegen Arbeitnehmer zu ergreifen, die den Kontakt verweigern (…). Sie kann jedoch auch anordnen, dass ein Arbeitnehmer einem Arbeitgeber antwortet, wenn die Weigerung nicht angemessen ist.“
„Recht auf Abschalten”: Ohne Kulturwandel wird das nichts
Gerichtsverfahren, die klären sollten, ob eine Kontaktaufnahme und die daran geknüpften Erwartungen angemessen waren, wurden derweil in der Vergangenheit auch schon in Deutschland abgewickelt.
Ein allgemeines „Recht zum Abschalten“ gibt es hier zwar nicht. Kommt es zum Rechtsstreit, wird aber mit Blick auf die gesetzlich geregelten Ruhezeiten und das Mindesturlaubsgesetz abgewogen, inwiefern eine Unterbrechung abseits der Arbeitszeit verhältnismäßig war. Zusätzlich wird untersucht, inwiefern die Kontaktaufnahme und die daran geknüpften Erwartungen durch unternehmensinterne Richtlinien von vornherein abgesteckt waren.
Stichwort unternehmensinterne Richtlinien: Genau da könnte ein „Recht zum Abschalten“ dafür sorgen, dass Beschäftigte gerade hinsichtlich der internen Regelungen mehr Sicherheit bekommen, was vom Unternehmen verlangt werden darf und was nicht. Dafür müsste das entsprechende Gesetz aber sehr detailliert ausformuliert werden und eine Vielzahl Szenarien berücksichtigen.
Ob mit oder ohne Gesetz – auf lange Sicht braucht es für einen Urlaub ohne Standby-Modus einen Kulturwandel in Unternehmen.
Denn nur wenn unter Kolleg:innen, Kund:innen und Führungskräften Konsens herrscht, dass ein Urlaub oder Feierabend ohne Unterbrechung kein Luxusgut, sondern essenziell für die Regeneration und damit auch wichtig fürs Unternehmen ist, können entsprechende Prozesse und Strukturen entstehen. Die sollten letztlich dafür sorgen, dass eine Kontaktaufnahme abseits der Arbeitszeit weder angenommen noch abgelehnt werden muss – sondern gar nicht mehr passiert.