Android Automotive bei VW und BMW: Die Brandmauer zu Google fällt

Moderne Autos gleichen rollenden Smartphones, das Betriebssystem ist einer der wichtigsten Bestandteile. Lange weigerten sich Automobilhersteller, auf Plattformen wie Android Automotive zu setzen. Die Geschichte beginnt mit einem roten Sportwagen. Genauer gesagt einem Maserati Ghibli auf Googles I/O Conference 2016. Das Besondere an dem Fahrzeug: Im Innenraum war die serienmäßig verbaute Technik aus- und stattdessen ein 15-Zoll-Monitor und ein kleineres Tacho-Display eingebaut. Auf beiden lief eine erste für Fahrzeuge angepasste Android-Version. Eine damals noch kleine Gruppe von Google-Entwickler:innen wollte mit dieser Studie zeigen, wie das ursprünglich für Smartphones entwickelte Betriebssystem im Auto aussehen könnte – noch sehr rudimentär und weit entfernt von einem produktiven Einsatz. [youtube i9KnjJDAjrg] Sieben Jahre nach dieser ersten Präsentation setzen bereits 12 der 15 größten Automobilhersteller auf Android Automotive oder planen den Einsatz, wie Marius Mailat, CTO beim Beratungsunternehmen P3 Digital Service, berichtet: „Nur zwei große Hersteller, Toyota und Hyundai, nutzen die Plattform bisher nicht. Anders als zum Beispiel Volvo, Polestar, Renault, Ford, Nissan oder Chrysler.“ Auch deutsche Autokonzerne wie Volkswagen, BMW – und in gewisser Weise auch Mercedes – arbeiten bereits daran, Googles System in ihre Fahrzeuge zu holen. Das war nicht immer so. Lange hatten besonders deutsche Hersteller Vorbehalte und wollten zum Beispiel Fahrzeugdaten nicht mit dem weltgrößten Suchmaschinenbetreiber teilen, um ihre Datenhoheit nicht zu verlieren. Das hat sich gewandelt: Wer in Zukunft einen Neuwagen kauft, nutzt mit hoher Wahrscheinlichkeit Android Automotive, ohne unbedingt davon zu wissen. Denn nicht immer steht Google drauf, wo Google drin ist – doch warum ist das so? Google entwickelt Software in Autos für zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze: Android Auto und Android Automotive. Android Auto kann als Googles Version von Apples Carplay verstanden werden: Die Software ist Teil des Android-Betriebssystems von Smartphones. Wird dieses per USB oder kabellos mit einem kompatiblen Fahrzeug verbunden, erscheint die Android-Auto-Nutzeroberfläche im Infotainmentsystem. Auf dem Display können speziell für das Fahrzeug entwickelte Apps ausgeführt werden. Der Umfang ist dabei absichtlich gering gehalten, damit sich die Fahrer:innen auf die Straße und nicht auf das Infotainmentsystem konzentrieren, wie Guemmy Kim, Direktorin für Produkt- und Benutzererfahrung von Android Auto, bestätigt. Alles, was die Fahrer:innen sehen, passiert auf dem Smartphone. Dieses wiederum hat kaum Zugriff auf die Daten des Fahrzeugs. Deutsche Hersteller hatten lange Vorbehalte. Jetzt sind alle dabei. „Ich erinnere mich“, erzählt Kim, „dass ich vor etwa 15 Jahren die Wegbeschreibung von Google Maps auf einem Blatt Papier ausgedruckt habe.“ Praktisch sei das nicht gewesen. Ein paar Jahre später ist dann die mobile Version von Google Maps erschienen. „Zwar gab es damals noch keine Abbiegehinweise, aber ich konnte wenigstens mein Handy hochhalten, um mir die Wegbeschreibung anzusehen, ohne sie ausdrucken zu müssen.“ Die Navigation per Google Maps auf das Infotainmentdisplay zu projizieren, sei der bessere Weg. „Die Idee war, dass wir wirklich diese vernetzte, sichere Erfahrung in Autos bringen wollten. Und der schnellste Weg, das zu erreichen, war damals die Projektion per Smartphone.“ [caption id="attachment_1536642" align="alignnone" width="620"] (Quelle: t3n, Google)[/caption] Android Automotive geht tiefer Während Android Auto das Smartphone nur spiegelt, verfolgt Android Automotive einen tiefergehenden Ansatz. Es ist ein eigenes Betriebssystem und eine Plattform, die direkt auf der bordeigenen Hardware des Autos installiert ist. Die Software ist für das komplette Infotainmentsystem verantwortlich und kann bei Bedarf auch Daten des Fahrzeugs nutzen, zum Beispiel für die Planung von Ladestopps bei E-Autos. Google bezeichnet Android Automotive als „eine vollständige, quelloffene und anpassbare Plattform“. Für Autobauer:innen interessant: Sie können die Nutzeroberfläche an ihr eigenes Design anpassen, ähnlich wie Hersteller wie Samsung oder Xiaomi es bei Smartphones bereits seit Jahren tun. Das System unterstützt im Unterschied zu Android Auto zudem sowohl für Android entwickelte Apps, als auch solche, die speziell für Android Automotive entwickelt wurden. Das funktioniert, weil die Plattform letzten Endes auf dem gleichen Code wie die Android-Version basiert, die auf Smartphones und Tablets läuft. Android Automotive ist daher genauso umfangreich anpassbar wie auf Smartphones, das System wurde allerdings um Funktionen erweitert, die in ein Infotainmentsystem für Autos gehören. Setzen Autobauer:innen auf Android Automotive, steht ihnen bei Bedarf also ein komplettes Infotainmentsystem zur Verfügung, allerdings mit einer entscheidenden Besonderheit. Google verfährt mit Android Automotive letztlich genauso wie mit seiner Android-Version für Smartphones: Das Betriebssystem selbst ist Open Source und damit frei verwendbar. Für Branchenexperte Mailat einer der großen Vorteile des Systems: „Die Hersteller entwickeln ihre Software damit auf einer Open-Source-Plattform und profitieren zum Beispiel automatisch von allen Neuerungen, die bei Android Automotive entwickelt werden.“ Gleichzeitig haben alle am System Beteiligten – nicht nur die Automobilhersteller:innen, sondern auch Sicherheitsexpert:innen – durch den Open-Source-Ansatz die Möglichkeit, den Quellcode einzusehen. „Noch vor ein paar Jahren war ein Betriebssystem in diesem Bereich eine Blackbox.“ Neben der Open-Source-Version bietet Google Android Automotive auch mit einer kostenpflichtigen Lizenz an. Die ist dann nötig, wenn Autobauer:innen proprietäre Google-Dienste wie den Play-Store, Google Maps und weitere Services verwenden wollen. Intern nennt das Unternehmen diese Dienste Google Automotive Services (GAS) – nach außen heißt es einfach „Google-Built-in“. Eingesetzt wird diese lizenzierte Version unter anderem von Volvo und Renault. Fahrzeuge dieser Hersteller navigieren zum Beispiel mit Google Maps und können Apps aus dem Play-Store herunterladen. Zahlreiche andere Autohersteller:innen verwenden lieber die freie Android-Automotive-Version. Sie ersetzen die Google-Dienste durch ihre selbst entwickelten Lösungen oder durch jene von Dritten. „So können die Hersteller:innen die Oberfläche weiterhin so bauen, wie sie das wollen, und sie müssen keine Daten an Google abgeben“, erklärt Mailat. Bei Google-Built-in wandern nämlich Daten an den Android-Entwickler. Google selbst gibt dazu an, dass die Daten nicht für Werbezwecke oder Ähnliches eingesetzt werden, sondern um Dienste wie Google Maps zu optimieren. [caption id="attachment_1536635" align="alignnone" width="620"] Volkswagen arbeitet gerade noch an einer Implementierung von Android Automotive in das System, nutzt hierfür aber die Open-Source-Variante und behält auch das eigene Design bei. (Abbildung: VW)[/caption] Android Automotive als Baustein für eine einheitliche Plattform Auch BMW arbeitet an der Integration eines Tech-Stacks und setzt dabei auf die Open-Source-Variante. Stephan Durach, Senior Vice President, Connected Company Development bei der BMW Group, erklärt, dass die Entscheidung dafür vor allem zwei Gründe habe: Schnelligkeit und Einfachheit. Mit der Software, die erstmals in BMW OS 9 zum Einsatz kommen soll, sei es möglich, beliebige Browser und eine Vielzahl an Apps zu verwenden, die auch für Android bereitstehen. Als Alternative zu Google Maps setzt BMW auf ein Software-Development-Kit (SDK) von Mapbox, das recht schnell in das eigene System integriert werden könne. BMW betont, dass der auf dem Android-Open-Source-Projekt basierende Tech-Stack letztlich nur einer von mehreren Bausteinen des Autobetriebssystems sei. Komponenten für autonomes oder assistiertes Fahren (Adas) und weitere Dienste seien davon abgekoppelt. Diese einzelnen Bausteine sind auf dem sogenannten Shared-Service-Layer in Containern untergebracht, die auf Linux basieren. Durach zufolge kann mit der Plattform auch eine schnelle länderspezifische Anpassung realisiert werden – angefangen bei lokalen Radiosendern über Navigationssoftware sowie dem Mapping von Ladestationen bis hin zu verschiedenen Audio- und Videocontentangeboten. Für die Bereitstellung von Apps hat BMW sich den alternativen App-Store Aptoide anstelle des Google-Play-Stores ins Boot geholt. Wie flexibel das System ist, zeigt sich auch an den Sprachassistent:innen. BMW nutzt derzeit unter Version 8 seines Systems einen eigenen Sprachassistenten, bietet parallel dazu aber auch eine Alexa-Integration. Beide Assistent:innen setzen dabei künftig auf die Alexa-KI und nicht auf den Google Assistant, für den wiederum eine Lizenz von Google nötig wäre. Im Infotainmentbereich bietet die Open-Source-Plattform einen Vorteil für Automobilhersteller:innen und App-Entwickler:innen gleichermaßen. „Nehmen wir nur Spotify als Beispiel. Bei einem einheitlichen Standard muss nur eine App entwickelt werden“, erklärt Marius Mailat. Die Entwicklungsabteilung von Spotify müsse nur die eigene Smartphone-App anpassen, ohne „für jeden Hersteller eine eigene App zu schreiben, was nicht zu leisten wäre“. Die Hersteller:innen wiederum müssen keine eigene Infotainmentplattform entwickeln, sondern können die bereits bestehende Android-Automotive-Oberfläche an ihr Design anpassen. Mit der Verteilung des neuen Systems will BMW zunächst bei den Automodellen der unteren Klassen beginnen, deren Interface primär auf Touchbedienung basiert. Die Fahrzeuge der Oberklasse belässt der Hersteller zunächst auf seiner eigenen Linux-basierten Software. „Perspektivisch könnten diese aber auch auf dem Android-Open-Source-Projekt laufen“, so Durach. [caption id="attachment_1293263" align="alignnone" width="620"] Volkswagens VW OS wird einen modularen Aufbau besitzen und beim Infotainment auf Android Automotive setzen. (Screenshot: t3n; VW)[/caption] Eine ähnliche Strategie verfolgt auch Volkswagen. Allerdings will der Wolfsburger Autokonzern die Plattform nicht nur für eine bestimmte Fahrzeugklasse nutzen, sondern in Autos der gesamten Volkswagengruppe, also auch in Porsches und Audis einsetzen. Die Benutzeroberfläche soll dabei nicht vereinheitlicht werden: In einem Porsche soll sie auch weiterhin anders aussehen als in einem VW ID oder einem Skoda. Durch einen vereinheitlichten Infotainment-Stack will VW den Entwicklungsaufwand reduzieren. Den Start für die neue Plattform bei VW machen dabei die Premium-Elektrofahrzeuge auf Basis der PPE-Plattform der beiden Marken Audi und Porsche. Für die MEB-Plattform, also zum Beispiel die ID-Fahrzeuge von VW, soll Android Automotive dann aber auch zügig bereitgestellt werden. Android-Konkurrent Apple macht es mit Carplay anders Im Bereich der Smartphonebetriebssysteme gibt es für Google mit Android nur noch eine:n echten Konkurrent:in, nämlich Apple. Bei den Betriebssystemen für Fahrzeuge sieht der Markt anders aus. Es gibt kleinere Projekte, wie zum Beispiel Automotive Grade Linux, eine für Fahrzeuge angepasste Linux-Version. Allerdings kann kein System eine ähnliche Verbreitung wie Android Automotive vorweisen. Apple bietet bisher nur Carplay an, das allerdings komplett auf dem Smartphone stattfindet und somit kein Betriebssystem für Fahrzeuge ist. Im Herbst 2022 kündigte der iPhone-Hersteller zwar Carplay 2.0 an, das System soll aber erst 2024 auf den Markt kommen – und viele Details sind noch unklar. Das neue Carplay soll dann auf wichtige Fahrzeugdaten zugreifen können, zum Beispiel Tacho, Akkustand oder die Steuerung der Klimaanlage. Bei der bisherigen Carplay-Version geben die Automobilhersteller:innen diese Daten noch nicht weiter. Dennoch wird auch Carplay 2.0 kein Teil des Betriebssystems des Fahrzeugs; die komplette Kontrolle über das Infotainmentsystem übernimmt das iPhone. Auch wenn Apple bei der Präsentation schon die Zusammenarbeit mit Herstellern wie Mercedes, Audi, Porsche oder Ford ankündigte, haben Autobauer wie BMW und auch VW Apple bei Carplay 2.0 bereits eine Absage erteilt. In einem Podcast von The Verge auf Carplay 2.0 angesprochen, äußert sich Mercedes-CEO Ola Källenius noch sehr zurückhaltend: „Wir werden sehen, was wir mit ihnen machen. […] Unser Ziel ist eine Mercedes-Erfahrung durch und durch.“ „Noch vor ein paar Jahren war ein Betriebssystem eine Blackbox.“ Mercedes setzt bei Infotainment auf Linux [caption id="attachment_1536453" align="alignnone" width="620"] Mercedes-Benz hat im Februar eine Vorschau auf das Auto-Betriebssystem MB OS gegeben. (Bild: Mercedes-Benz)[/caption] Mercedes-Benz hat schließlich im Februar 2023 mit dem proprietären Betriebssystem MB OS gezeigt, wohin die Reise geht: Der Premiumautobauer setzt im Unterschied zu VW und BMW nicht auf Android Automotive, sondern weiterhin auf Linux. Allerdings haben Mercedes-Benz und Google eine langjährige Partnerschaft geschlossen, die dem Autobauer die Möglichkeit gibt, Bestandteile des Google-Kosmos zu nutzen. Unter anderem soll eine neue Navigationslösung entstehen, die fahrzeuginterne Geodaten und Navigationsfunktionen der Google-Maps-Platform vereint. Aus Googles Geodatenangebot kann Mercedes Echtzeit- und vorausschauende Verkehrsinformationen, automatische Umleitung und mehr nutzen. Für Fahrpausen – etwa beim Laden des E-Autos – zieht außerdem die Youtube-App ins Infotainmentsystem ein. Auch Android-Apps lassen sich im Mercedes-Benz-Infotainment-System nutzen. Hierfür nutzt der Autobauer eine Android-Schnittstelle; als App-Store wird wie bei BMW auf Aptoide von Faurecia gesetzt. Viele Autohersteller:innen zeigen sich also weiterhin zögerlich, zu viele Daten mit anderen Unternehmen zu teilen. Es geht um Kontrollverlust – bei Apple und bei Google. „Die Kontrolle über die Plattform liegt bei Android Automotive natürlich weiterhin bei Google und die Hersteller verlieren ein bisschen die Kontrolle“, räumt auch Branchenexperte Mailat ein. Doch die Vorteile scheinen zu überwiegen. Die früheren Bedenken, Daten an Google abgeben zu müssen, sind mit der Open-Source-Version ausgeräumt. Und so setzen sich Betriebssysteme wie VW OS, BMW OS und MB OS inzwischen aus vielen Puzzlestücken zusammen – mit Android Automotive als Herzstück für das Infotainment im Kostüm des jeweiligen Autobauers. [author ssoId="da258519-fd28-4449-8d09-1680ba4aeee7"]Andreas Floemer beschäftigt sich seit über einem Jahrzehnt mit Android und iOS. Der Weg dieser Plattformen ins Auto bildet für ihn die ideale Brücke zwischen seinen Ressorts „Hardware & Gadgets“ und „Mobilität“. [/author] [author ssoId="d6f0e1a7-a0a1-41a5-a71e-73ff9e5466be"]Caspar von Allwoerden fährt ein Fahrzeug von 1978, das fast komplett analog funktioniert. Es ist ausgeschlossen, dass Android jemals den Weg in dieses Auto findet – spannend findet er die Entwicklung mit Blick auf die Elektromobilität dennoch. [/author]