- Tour-Guide durchs Valley
- Der Ökosystematiker
- Wurzeln in Schweinfurt
- Digitale Revolution in Form von AOL-CDs
- Vernetzen als Gabe: „ein echtes Unikat“
- „Ich bin Unternehmer, ich muss nicht studieren“
- „Internetkultur ist die neue Popkultur“
- „Deutschland ist für amerikanische Geldgeber interessant“
- „Leben wie eine Achterbahnfahrt“
Hy!-Gründer Aydo Schosswald im Porträt: Springer aufgemischt
Aydogan Ali Schosswald wäre der perfekter Reiseführer für die Startupmetropole Berlin. Für jene Stadt, die Schosswald als „Dreh- und Angelpunkt der europäischen Gründerszene“ bezeichnet. Schosswald weiß, wer gerade was startet und wer in welche Idee investiert. Deswegen hat sich im vergangenen Jahr sogar BILD-Chefredakteur Kai Diekmann von Schosswald durch Berlin leiten lassen – zusammen mit Peter Würtenberger, dem Marketing-Chef beim Verlagshaus Axel Springer, und Martin Sinner, Gründer von Idealo, das mehrheitlich Axel Springer gehört.
Tour-Guide durchs Valley
Das Trio stand kurz vor einem längeren Aufenthalt im kalifornischen Silicon Valley, um dort nach neuen digitalen Geschäftsideen zu suchen. Schosswald bereitete sie vor: Er fuhr mit ihnen in den Coworking Space Betahaus, zur Spieleschmiede Wooga und zum Musikdienst Soundcloud; anschließend auf einen Kaffee ins legendäre Café Sankt Oberholz, einen der beliebtesten Treffpunkte in Mitte. „Wir sind durch den ganzen Hometurf“, sagt Schosswald, „Grassroots-Startupszene eben, ganz down-to-earth, viele Handshakes mit Gründern auf Augenhöhe“.
Der Ökosystematiker
Hometurf: Das ist jener Berliner Nährboden, auf dem sich Gründer und Geldgeber gegenseitig beim Wachsen helfen. Jenes Ökosystem, in dem Entrepreneure kleine Ideen aussähen und große Unternehmen daraus züchten. Wo manches besser gedeiht und anderes schlechter, wo jeden Tag etwas Neues aufblüht und etwas Altes eingeht, wo der Dschungel immer dichter wird. Hier, mittendrin, lebt, arbeitet und netzwerkt Aydo Schosswald, der eine besondere Rolle für sich beansprucht, wie er immer wieder betont: eine „ökosystematische Rolle“.
Zusammen mit Hans Raffauf hat Schosswald das Startup Hyvent gegründet, das so etwas ist wie ein Mini-Biotop im großen Berliner Ökosystem. Das junge Unternehmen sitzt selbst im Berliner Betahaus und veranstaltet ein Event, das „Hy!“ heißt und für das Schosswald und Raffauf Internet-Unternehmer aus der ganzen Welt nach Berlin holen. Sie wollen Europa auf kreative Weise digitalisieren, eine Brücke zwischen Ideen und Kapital bauen, quirligschnelle Startups mit dickschiffigen Konzernen zusammenbringen. Das funktioniert so gut, dass das Verlagshaus Axel Springer zu Jahresanfang 2013 in Hyvent investiert und sich 49 Prozent gesichert hat – vielleicht auch, weil Schosswald die Springertroika um Kai Diekmann als Reiseführer so sehr überzeugt hat. Im Frühjahr 2014 soll die „Hy!“ erneut stattfinden – dann schon zum vierten Mal. Ein Erfolg für den 22-jährigen Schosswald, der neun feste Mitarbeiter beschäftigt.
Wurzeln in Schweinfurt
Aydo Schosswald verkörpert den typischen Mitte-Geek-Gründer-Rebell: Er trägt einen Dreitagebart, wie ihn sich auch Kai Diekmann im Silicon Valley zugelegt hat, die Haare verwuschelt, außerdem Hemd und Hoodie. Dass er so jung schon so viel bewegt, hat mehrere Ursachen. Wenn er davon erzählt, dann reist er in Gedanken zurück in seine Kindheit, nach Franken, wo Aydogan Ali Schosswald als Sohn einer Deutschen und eines Türken aufgewachsen ist. „Fast alles in meinem Leben“, sagt Schosswald, „hat in Schweinfurt seine Wurzeln.“
In Schweinfurt entdeckt er als Junge sein Interesse für Technologie – seinem Großvater sei Dank. Helmut Schosswald ist damals Vorsitzender des Naturwissenschaftlichen Vereins und nimmt seinen Enkel Aydo auf Erkundungstouren in Steinbrüche und Bibliotheken mit. Und Aydo kommt früh mit Unternehmertum in Kontakt – durch seinen Vater Erdoğan. Der ist in der Türkei Schuldirektor gewesen, muss sich aber nach seinem Umzug nach Deutschland eine neue Existenz aufbauen. Er gründet ein Reisebüro und betreibt einen Zeitschriftenladen. Sein Sohn Aydo hilft im Laden aus, verkauft Zeitungen, stellt Fragen zu Kosten und Gewinnen, entwickelt Interesse an Medien und lässt sich vom Unternehmergeist seines Vaters anstecken.
Digitale Revolution in Form von AOL-CDs
Und dann kommt die digitale Revolution. Sie kommt in Form von AOL-CDs, die Aydogan Schosswald reihenweise zerschleißt, um sich aus dem beschaulichen Schweinfurt in die unendlichen Weiten des Internet einzuwählen. Sie kommt in Form von Events wie der Computermesse CeBIT, für die sich Aydo älter macht, als er ist, damit er auf jeden Fall hineinkommt. Und sie kommt in Form von Online-Spielen, die Aydogan stundenlang mit Freunden zockt. Aber nur spielen, das genügt Aydogan Schosswald schon damals nicht – er erkennt, dass sich mit Computerspielen auf unternehmerische Weise sogar Geld verdienen lässt.
Schosswald wird Profizocker und Profizocker-Coach. Mit einem Team von World-of-Warcraft-Spielern tritt er unter dem Nicknamen „Archie“ bei Turnieren in aller Welt an und jagt Preisgelder. In den USA, Kanada oder Südkorea – meistens mit einem roten Trikot, auf dem in großen Lettern „GeIL“ steht, die Kurzform des Speichermodulherstellers „Golden Emporer Int’l Ltd.“.
Noch heute, ein halbes Jahrzehnt später, kann man die Bilder von Archie und seinen Gamern im Netz finden. Genauso wie kleine Artikel, in denen Archie erklärt, wie er das Team umgebaut hat, damit es erfolgreicher wird. Schon als Archie ist Aydogan Schosswald derjenige, der die Entscheidungen trifft und den Überblick behält. Die Preisgelder seien allerdings klein gewesen im Vergleich zu den Summen, mit denen er sich inzwischen beschäftige, erzählt Schosswald heute. Aber er habe so früh gelernt, dass „Jungsein plus Internet gleich unternehmerische Opportunität“ ist. Eine einfache Formel, die Schosswalds Kalkül ganz gut auf den Punkt bringt. Sie erklärt auch, warum er dann schneller nach Berlin ging als ursprünglich geplant.
Vernetzen als Gabe: „ein echtes Unikat“
Eigentlich will Schosswald nach dem Abi an die Uni. Er schreibt sich an der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel und später auch an der University of London ein, wo er Computing studieren will. Management plus Informatik – das passt zu Aydogan Schosswalds Formel und es soll ihm den Weg in die Startup-Welt ebnen. Im Jahr 2011 organisiert er an der EBS das „EBSpreneurship Forum“ – ein großes Gründerevent.
Dabei tut er das, was er besonders gut kann: Er vernetzt Gründer untereinander und mit Geldgebern. Moritz Luck ist einer von denen, die das bestätigen können. Luck hat in Karlsruhe Inreal Technologies gegründet, ein Startup, das Software entwickelt, mit deren Hilfe man Bauprojekte virtuell begehen kann, bevor auch nur der Grundstein gelegt ist. Schosswald erkennt das Potenzial der Idee und bringt Luck mit einem Business Angel in Kontakt, der etwas später tatsächlich der erste Investor von Inreal Technologies wird. „Aydo ist ein echtes Unikat“, sagt Luck, „ein echter Netzwerker, der gute Ideen erkennt und Leute zusammenbringt.“ Manchmal habe er in Gesprächen mit Schosswald allerdings den Eindruck gehabt, er sei geistig etwas abwesend – „weil der so unheimlich viele Ideen im Kopf hat.“
„Ich bin Unternehmer, ich muss nicht studieren“
Und was Schosswald im Kopf hat, das macht er auch. Nicht immer kommt das gut an. So wird das EBSpreneurship Forum 2011 zwar ein Erfolg, allerdings läuft nicht alles harmonisch, wie Leute berichten, die dabei waren. „Aydo hat sich da nicht nur Freunde gemacht, weil er seinen Kopf durchsetzen wollte und dafür andere übergangen hat“, erzählt ein Teilnehmer. So habe es auf der Konferenz nur veganes Essen gegeben, weil Schosswald Hardcore-Veganer sei. „Das war ziemlich gewöhnungsbedürftig.“
Schosswald gibt gerne zu, dass er bei der EBS manchen Leuten „auf die Füße getreten“ habe. Es passt zu seiner rebellischen Art, ohne die er nie so weit gekommen wäre. Man habe ihm dann klar gemacht, dass er an der EBS nichts verloren habe. „Also bin ich da weg“, sagt Schosswald, „ich bin Unternehmer, ich muss nicht studieren.“
„Internetkultur ist die neue Popkultur“
Schosswald schmeißt die Uni und zieht von Oestrich-Winkel nach Berlin – jener Stadt, die ihn wie ein Magnet angezogen hat und erst einmal nicht mehr loslassen wird. Er lernt Hans Raffauf kennen, der ebenfalls schon mehrere Gründerevents wie den Betapitch im Berliner Betahaus aufgebaut hat. Zusammen entwickeln die beiden in der Haupstadt die „Hy!“– als „maximal relevantes Event, mit den besten Startups aus Europa“, wie Schosswald sagt. Konstant 150 Gründer und CEOs nehmen an der Veranstaltung teil, die nur für geladene Gäste ist. Unter ihnen sind die Gründer international bekannter Internet-Unternehmen wie YouTube. Und natürlich ist das Catering bei der Konferenz vegan – „da bin ich ziemlich prinzipienorientiert“, sagt Schosswald, der sich in seinem Twitter-Profil selbst als „Vegan Geek and Mint-Tea-Junkie“ bezeichnet.
Wer allerdings deswegen auf die Hy! verzichtet, der verpasst etwas. Die Konferenz soll Gründern helfen, Zugang zu Infrastruktur und Kapital zu bekommen, und beim Aufbau von Reichweite helfen. Außerdem wollen Schosswald und Raffauf die Startup-Szene mit Konzernen sowie US-amerikanischen Investoren zusammenbringen – „weil es da bisher viel zu wenige Verbindungen gibt.“ Wenn es gelingen würde, junge Unternehmen mit etablierten Playern zu vernetzen, dann würde das enorm bei der Digitalisierung der Wirtschaft helfen, ist Schosswald überzeugt.
„Deutschland ist für amerikanische Geldgeber interessant“
Dazu gehört für die beiden ein Wettbewerb, der innerhalb der Hy! stattfindet und bei dem die besten Gründer ein Preisgeld gewinnen können und eine Reise ins kalifornische Silicon Valley, die Geburtsstätte von Konzernen wie Google und Apple und das Tech-Mekka schlechthin für die junge Berliner Startupszene. Das soll den Entrepreneuren helfen, ihre Startups nach vorne zu bringen und Geld einzusammeln. „Deutschland ist für amerikanische Geldgeber eigentlich sehr interessant“, sagt Schosswald. „Die können hier später im Unternehmenszyklus zu deutlich besseren Bewertungen einsteigen, das minimiert das Produktrisiko deutlich.“
„Leben wie eine Achterbahnfahrt“
Innerhalb kurzer Zeit gelingt es Schosswald und Raffauf, die „Hy!“ fest zu etablieren. Aber Aydogan Schosswald wäre nicht Aydogan Schosswald, wenn er sich damit zufriedengeben würde – er nimmt schnell weitere Projekte in Angriff. Er berät Startups wie Inreal Technologies oder hilft der Telekom dabei, ihren Inkubator und Accelerator hub:raum aufzubauen. Seit diesem Sommer belebt Schosswald außerdem als CEO und Herausgeber mit einem kleinen Team das englischsprachige Internet-Magazin „The Kernel“ in London wieder. „Mein Baby“, so nennt Schosswald das neue Projekt. „Dahinter steht die Überzeugung, dass die Internetkultur die neue Popkultur ist.“
Dementsprechend eng getaktet ist sein Kalender: „Viel Netzwerkarbeit, viele Gespräche mit Gründern und Investoren“, sagt Schosswald; außerdem regelmäßige Reisen ins Silicon Valley, die anderen Startup-Hotspots in Europa und besonders oft nach London; gleich übermorgen muss er wieder hin, um eine Konferenz zu besuchen und ein paar Termine rund um das Kernel-Projekt wahrzunehmen. Weil dazwischen kaum Lücken sind, er aber dringend mal zum Friseur müsste, hat er den kurzerhand ins Büro bestellt – zwischen dem letzten Gesprächstermin des Tages und der Fahrt zum Flughafen.
Wenn man Aydogan Ali Schosswald fragt, ob er irgendwann einmal Zeit verschenkt hat, dann verneint er das. „Mein Denken lässt das nicht zu“, sagt er. „Mein Leben fühlt sich an wie eine Achterbahnfahrt, unheimlich viele Kurven in extrem kurzer Zeit.“ Seine Jugend in Schweinfurt, die Zeit im Zeitschriftenladen seines Vaters, die Gamer-Turniere in aller Welt – all das scheint Ewigkeiten her zu sein, obwohl Schosswald gerade einmal 22 ist. Was er in zehn Jahren machen wird, kann Aydogan Ali Schosswald deswegen nicht sagen. „In unseren Projekten denke ich eigentlich gerne ziemlich weit“, sagt der Ökosystematiker, „aber was mich selbst angeht, da bin ich ergebnisoffen.“