Keimzelle der KI-Forschung: Wie das DFKI sogar Google überzeugt hat
„Künstliche Intelligenz ist besser als natürliche Dummheit“, hat Wolfgang Wahlster mal in einem Interview gesagt. Einen ähnlichen Gedanken muss er auch vor 30 Jahren gehabt haben, als die Menschen unter moderner Computertechnik noch die tagelange Datenanalyse mit Siemens-Großrechnern verstanden. Also machte sich der damalige Informatikprofessor an der Universität des Saarlandes daran, gleich drei Landesregierungen vom Potenzial künstlicher Intelligenz zu überzeugen – und fand Gehör.
1988 gründen die Bundesländer Rheinland-Pfalz, Bremen und das Saarland zusammen mit mittelständischen Unternehmen das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Ein im Rückblick mutiger Schritt mit märchenhaftem Ausgang: Lernende IT-Systeme sind in der Wirtschaft angekommen und das DFKI hat sich
ohne staatliche Grundfinanzierung – also durch reine Auftragsarbeit – zur weltweit größten Forschungseinrichtung auf dem Gebiet etabliert. Ob in der Medizintechnik, beim Einsatz von autonomen Fahrzeugen, der Pflege oder Computersicherheit: 800 Wissenschaftler aus 60 Nationen forschen heute unter der Leitung von Wolfgang Wahlster an konkreten Anwendungsfällen für künstliche Intelligenz.
Dabei muss sich das Institut nicht nur gegen andere Forschungseinrichtungen behaupten, sondern auch gegen Konkurrenz aus der Konzernwelt. Apple und Google beispielsweise leisten sich längst eigene Forschungsabteilungen mit Milliardenbudgets. Hinzu kommt das Problem der Abwanderung von Talenten ins Ausland: „Ein KI-Forscher bekommt im Silicon Valley 300.000 Euro oder mehr“, sagt Investor und KI-Experte Fabian Westerheide. In Deutschland werde im Vergleich einfach zu schlecht bezahlt. „Sei es, weil die Budgets zu gering sind oder die Hierachien an den Forschungseinrichtungen es so wollen“, sagt Westerheide.
Der Branchenkenner sieht in Deutschland trotzdem den wichtigsten Zukunftsmarkt für künstliche Intelligenz. Die an Hochschulen vermittelten Grundlagen seien gut, überall werde Informatik gelehrt und die Förderbereitschaft von Bund und Ländern nehme kontinuierlich zu. Auch die Bereitschaft zur Gründung von Unternehmen wachse. „Der größte Vorteil ist jedoch die starke industrielle Kundenbasis“, so Westerheide. Unternehmen vom Anlagen- bis zum Fahrzeugbau könnten KI nämlich gut gebrauchen. Die Chance liege nun darin, „all diese Maschinen ‚made in Germany‘ mit Intelligenz ‚made in Germany‘ anzureichern“.
Auch deshalb hat sich das DFKI in den vergangenen Jahren zu einem Jobmotor in der deutschen Forschungslandschaft entwickelt. Über 100 Professoren aus den eigenen Reihen wurden ausgebildet sowie mehr als 80 Startup-Ausgründungen mit rund 2.500 Arbeitsplätzen realisiert. Dazu gehört etwa die Kaiserslauterer Sevenre GmbH: Das Startup arbeitet an einer intelligenten Fahrkarten-App für den Nahverkehr, die Fahrgästen mithilfe von Verkehrsdaten und einer künstlichen Intelligenz automatisch ein Ticket aufs Smartphone schickt. Auch Kiana Systems, das Konzernen wie der Lufthansa bei der Implementierung datengetriebener Geschäftsmodelle berät und erst im Februar von KPMG gekauft wurde, ging ursprünglich aus dem DFKI hervor.
Angesichts dieser Erfolge ist es kein Wunder, dass trotz der Konkurrenzsituation sogar große Techkonzerne aus den USA die Nähe zum DFKI suchen. So hat sich der Chip-Riese Intel genauso mit Millionenbeträgen am DFKI beteiligt wie Microsoft oder SAP. 2015 investierte dann zu allem Überfluss auch noch Google in die Forschungseinrichtung. Davon erhofft sich der Suchkonzern nicht zuletzt auch Zugang zu begehrten Talenten. Mehr als 30 ehemalige Mitarbeiter und Studenten von DFKI-Professoren arbeiten laut einigen Medienberichten schon in den
Google-Büros in München, Zürich und Mountain View. Das DFKI selbst hat aber auch bereits mehrfach Google-Forscher aus den USA abgeworben – und kann auf diese Weise an Projekten arbeiten, die unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert prägen könnten. Beispiele gefällig?
Schützenhilfe für Elon Musk
Die Lavahöhlen auf Teneriffa haben verblüffende Ähnlichkeiten mit dem Mars. Die Vulkaninsel im Atlantik war für Forscher des DFKI daher ein gutes Testpflaster für künftige Erkundungsfahrten auf fremden Planeten. Schließlich könnte eine Höhle unter der Marsoberfläche ein geeigneter Standort sein für eine menschliche Siedlung, wie sie etwa SpaceX-Gründer Elon Musk vorschwebt. Doch wie lässt sich herausfinden, ob die Höhle groß und stabil genug ist? Zu diesem Zweck haben die Forscher eine lernfähige Software entwickelt, die den teil- und vollautonomen Betrieb von Robotern auf schwer zugänglichem Terrain ermöglicht. Als Testfahrzeug diente ein sechsbeiniger Laufroboter, der seine neu erworbenen Fähigkeiten im vergangenen Jahr erfolgreich unter Beweis stellte. Teil des Projekts war auch die Entwicklung eines weltraumtauglichen Kommunikationssystems. Kommt es etwa zu einem Funkloch, wenn der Roboter in eine Höhle vordringt, kann das Bodenpersonal den Roboter über eine bestimmte Kommandosequenz problemlos für längere Zeit autonom agieren lassen.
Fitnesscoach im Trainingsanzug
Führe ich die Sit-ups richtig aus? Ist meine Laufbewegung auch gelenkschonend? Darf es etwas mehr Gewicht an der Hantelbank sein? All diese Fragen müssen sich Sportler bislang von ihrem gut bezahlten Personaltrainer beantworten lassen. Geht es nach dem DFKI, könnte dies aber bald Vergangenheit sein.
Ein Team aus IT-Forschern im Forschungsbereich Eingebettete Intelligenz hat einen neuartigen Trainingsanzug mit eingewebten Sensoren entworfen, der die Bewegungen über Formveränderungen durch Muskelkontraktionen erfasst und präzise Körpermessungen ermöglicht. Der Trainingsanzug misst etwa Atmung, Muskelspannung und den Puls des Trägers und leitet daraus automatisierte Empfehlungen zur richtigen Körperhaltung ab. Dargestellt werden diese Interaktionen in enger Zusammenarbeit mit Carl Zeiss übrigens über eine zum Trainingsoutfit gehörende Datenbrille.
Roboterdame mit Fingerspitzengefühl
Sie ist 1,70 Meter groß, schlank und mit ihrer frechen Frisur das Hausmaskottchen des DFKI: Aila. Die Roboterdame hat einen mobilen Torso mit gelenkigen Armen, die mehr Gewicht heben können, als sie selbst wiegt: „Normalerweise ist das bei Robotern umgekehrt“, sagt Prof. Dr. Frank Kirchner vom Robotics Innovation Center in Bremen, das zum DFKI gehört. Zu verdanken hat Aila dies den vielen Sensoren, die Forscher direkt in die Roboterstruktur integriert haben. „So wie beim Menschen die Sinneszellen ja auch Bestandteil des Körpers sind“, sagt Kirchner. Im nächsten Schritt wollen die Forscher auch Ailas kognitive Fähigkeiten verbessern. Über eine Lernplattform soll die Roboterdame künftig in der Lage sein, menschliche Körperbewegungen nachzuahmen und abzuspeichern. Vor allem die Arbeit in Fabriken könnte dadurch in Zukunft wesentlich vereinfacht werden. Den Zugang zur Grundlagentechnik von Aila haben sich Partner wie Volkswagen schon mal gesichert.
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„Rise of AI“Die einmal jährlich in Berlin stattfindende Konferenz ist der Szenetreffpunkt rund um die Themen KI, Automatisierung und Deep Learning.
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KI-Meetups in ganz Deutschland Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Interessierten, Anwendern & Experten an verschiedenen Orten in Deutschland.
t3n.me/KI-Meetups
AI4U Die „AI for YOU“ ist eine neue Konferenz in München mit dem Ziel, anwendungsorientierte Forschung in den Bereichen künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen zu fördern.
ai4u-konferenz.de
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Reinhard Karger ist Leiter der Unternehmenskommunikation beim DFKI. Auf Twitter äußert er sich zu Themen wie künstliche Intelligenz und Automatisierung.
@ReinhardKarger
Damian Borth ist Direktor des Deep Learning Competence Centers am DFKI und einer der gefragtesten Experten auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz.
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Fabian Westerheide ist Unternehmer, Speaker und Startup-Investor mit Schwerpunkt auf künstliche Intelligenz.
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