Krisenkommunikation: Was sagen, wenn’s brennt?

Ob Cyberangriff, Pandemie oder Umweltkatastrophe – die Geschäftsrisiken für Unternehmen steigen rasant. Doch viele Firmen sind in ihrer Kommunikation darauf nicht vorbereitet. Jina Anne erhielt das nüchterne Stück Krisenkommunikation von Google über zwei Ecken. „Ich bin aufgewacht, und mein Handy teilte mir mit, dass mein Telefonservice bald ausläuft“, twitterte die Google-Mitarbeiterin Ende Januar. „Dann merkte ich, dass der Zugriff auf meine Worktools gesperrt war. Erst danach habe ich die E-Mail mit meiner Entlassung entdeckt.“ Ähnlich erging es ihrem Kollegen Jeremy Joslin. Die wenig einfühlsame Kündigung per E-Mail nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit kam für ihn aus dem Nichts. Doch sie traf zeitgleich einige Tausend Kollegen in den USA. Google begründete diese schroffe Vorgehensweise mit seiner Unternehmensgröße. Weltweit stehen bei Google 12.000 Mitarbeiter vor dem Aus. Softwareentwickler Joslin empfand die Art der Kündigung als „Schlag ins Gesicht“, und die mehr als 3.000 Nutzer, die seinen Eintrag retweeteten, stimmten ihm zu. Googles Reputation ist beschädigt. So sehen es 90 Prozent der Nutzer auf der US-Jobplattform Teamblind.com. Das hat dort eine Abstimmung ergeben. „Gelungene Krisenkommunikationist immer auch Teamarbeit.“ Google dürfte mit seinen Schwierigkeiten bei der Krisenkommunikation nicht allein bleiben. Denn, ob wegen eines drohenden Shitstorms, der Wahl des passenden Mediums oder wegen der Notwendigkeit, möglichst rasch Spekulationen vorzubeugen: Die Anforderungen an Unternehmen in puncto Krisenkommunikation wachsen mit fortschreitender Digitalisierung. „Dabei sind schon jetzt viele Unternehmen in der Kommunikation nicht ausreichend aufgestellt“, sagt Carsten Böhme, Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Instinctif Partners. Genau das könnte sich künftig häufiger rächen: Die Wahrscheinlichkeit, in eine Krise zu geraten, steigt. „Dafür sorgen das erhöhte Risiko, Opfer eines Cyberangriffs zu werden, und das verstärkte Bewusstsein von Kunden und Verbrauchern für Nachhaltigkeit“, sagt Böhme. Vorbereiten auf den Krisenfall Es hapert vor allem schon bei der Vorbereitung. Tatsächlich haben laut einer Untersuchung der Kommunikationsagentur Staffbase zwei von drei Unternehmen (67 Prozent) keinen schriftlichen Plan zur Bewältigung einer Krise. „Unsere Erfahrung zeigt, dass sich im ersten Schritt viele Unternehmen erst einmal Kenntnis darüber verschaffen müssen, inwiefern sie kommunikativ auf eine Krise vorbereitet sind“. Ein Plan, der zum Beispiel bei einem Cyberangriff in der gebotenen Eile verschiedene Experten wie zum Beispiel IT-Fachleute, Polizei und Juristen an einen Tisch holt, fehlt in den meisten Fällen. „Dabei ist gelungene Krisenkommunikation immer auch Teamarbeit“, sagt Böhme. Im zweiten Schritt müsse daher geklärt werden, welches Teammitglied welche Rolle einnimmt. „Wer darf was an wen kommunizieren? Das ist in Konzernen meist geregelt, aber der Mittelstand hat hier Nachholbedarf“, sagt Böhme. Wichtig ist die Reihenfolge der Kommunikation. Eine Grundregel lautet: erst die eigenen Mitarbeiter, dann Partner und Kunden, schließlich die Öffentlichkeit. Haribo im Auge des Shitstorms [caption id="attachment_252104" align="alignnone" width="1200"] (Foto: Team Lewis)[/caption] Der Fall: In seinen FAQ nimmt der Gummibärchen-Gigant Haribo den Mund recht voll: „Wir verlangen von unseren Lieferanten verbindliche Tierschutzstandards. Zu deren Einhaltung haben sich sämtliche unserer Vertragspartner verpflichtet. Dieser Kodex beinhaltet, diese Standards in der Lieferkette bei Zulieferern der 2. und 3. Reihe einzufordern“, heißt es da. Doch dann kam im Herbst heraus: Haribo verwendet Gelatine von Westfleisch. Ausgerechnet – das Unternehmen selbst steht wegen angeblich schlechter Arbeitsbedingungen und fragwürdiger Tierhaltung in der Kritik. Im Shitstorm der sozialen Medien wurde Haribo daraufhin mehrfach aufgefordert, die Geschäftsbeziehung zu Westfleisch zu beenden. Geht aber nicht, befand Haribo: Man habe zu Westfleisch direkt gar keine Vertragsbeziehungen. Das Unternehmen sei nur der Zulieferer eines Lieferanten, schrieb Haribo auf Facebook. „Gleichwohl sind wir uns unserer Verantwortung bewusst und tun alles im Rahmen unserer Möglichkeiten, um Missstände zu beseitigen.“ Das Expertenurteil: Um die Reputation der eigenen Marke in der Krise zu schützen, braucht es Transparenz, Aufklärung, das Eingestehen von Versäumnissen sowie die Zusage, künftig anders zu handeln. Beurteilt man die Kommunikation von Haribo allein aus dieser Perspektive, erscheint die Aussage, man habe zum Skandalunternehmen Westfleisch keine direkten Geschäftsbeziehungen, nicht überzeugend – gerade vor dem Hintergrund der selbst gesetzten Standards. Meine Empfehlung für eine Kommunikation: die Vorwürfe ernst nehmen, Konsequenzen einleiten und Vertragspartner mit in die Verantwortung nehmen. Idealerweise betrachtet man die Angelegenheit auch nach Abklingen des öffentlichen Interesses nicht als erledigt, sondern nutzt die Ergebnisse aus den in der Krise eingeleiteten Maßnahmen, um kommunikativ wieder in die Offensive zu kommen. Sebastian Düring, Lewis PR, München Unternehmen sollten den Ernstfall simulieren. „Peinlich wird es, wenn schlechte Nachrichten bereits Kunden erreicht haben, die dann im Callcenter des betroffenen Unternehmens anrufen, aber dort noch niemand auf dem Stand der Dinge ist und keine abgestimmte Sprachregelung vorliegt“, sagt Böhme. Diese ersten beiden Schritte sollten im Rahmen eines regelmäßig aktualisierten Krisenkommunikationsplans vorbereitet werden. Im dritten Schritt empfiehlt der Experte, den Ernstfall im Unternehmen zu simulieren. Dabei helfen Dienstleister. Prevency aus Wuppertal ist einer von ihnen. Das Unternehmen bespricht mit seinem Kunden, über welche Kanäle kommuniziert werden soll, und vereinbart einen Termin, an dem das Krisenteam auf Kundenseite verfügbar ist. Dann bricht eine eigens für diesen Zweck entwickelte Software in einem geschützten Netzwerk zum Beispiel einen Shitstorm los – etwa mit der Nachricht über einen Chemieunfall beim Unternehmen. Doch auch eine Cyberattacke oder ein Blackout sind mögliche Szenarien. Die Software stellt in einem geschlossenen Netzwerk Social-Media-Kanäle wie Facebook, Twitter und Instagram nach. Sie postet die Empörung von Usern, bildet die Presselandschaft ab und generiert TV-Einspieler. Die Krise nimmt automatisiert ihren Lauf. Diese Situation muss das Krisenteam jetzt meistern. „Es ist im Grunde wie bei einer Feuerwehrübung, nur dass nicht das Verhalten bei einem Brand eingeübt wird, sondern die angemessene Kommunikation auf die Krise“, sagt Prevency-Geschäftsführer Lars Niggemann. Waffle-House-PR ist hellwach [caption id="attachment_252106" align="alignnone" width="1200"] (Abbildung: Saskia Uppenkamp)[/caption] Der Fall: 24/7 ist ein vollmundiges Versprechen. Unternehmen signalisieren ihren Kunden damit: „Wir sind jederzeit für dich da.“ Dumm nur, wenn ein Mitarbeiter zwar anwesend ist, aber schläft. So geschehen in einem Diner der US-Kette Waffle House in South Carolina. Partygänger Alex Bowen kehrte dort um drei Uhr nachts ein. Und er fand gähnende Leere: Kein weiterer Gast, keine Bedienung, nur ein Koch war da – aber der schlief. Bowen mochte ihn nicht wecken. Stattdessen briet er sich sein „Texas Cheesesteak Melt“ selbst. Dann postete er das Ganze noch in sozialen Medien und ging damit viral. Die Krisenkommunikation nahm die peinliche Anekdote auf die leichte Art. Das Unternehmen lud Alex zum Essen ein und bot ihm öffentlich einen Job an, schließlich habe er bewiesen, dass er kochen kann. Das Expertenurteil: Alles richtig gemacht! Es gibt eigentlich keine Alternative dazu, auf diese Situation mit Humor und Selbstironie zu reagieren. Waffle House hat die ungewollte Aufmerksamkeit mit einem Augenzwinkern ins Positive gewendet. Wenn man noch einen Schritt weitergehen wollte, wäre es auch eine Überlegung wert, diese Krise nicht nur auf der Ebene der Kundenkommunikation zu erwidern, sondern auch in Hinblick aufs Employer-Branding. So könnte die Marke zum Beispiel eine Corporate-Wellbeing-Initiative ins Leben rufen, damit zukünftig alle Mitarbeitenden stets ausgeruht und wach sind. Miriam Rupp, Mashup Communications, Berlin Ähnlich wie bei einem Brand ist auch bei der Krisenkommunikation Geschwindigkeit ein Gebot der Stunde. „Je länger die Reaktion des Teams auf sich warten lässt, desto länger existiert ein Informationsvakuum. Gerade in dieser Zeit entstehen öffentlich Spekulationen und Gerüchte, die die Reputation des betroffenen Unternehmens weiter schädigen“, sagt Niggemann. Vor allem bei einem Cyberangriff geht oft wertvolle Zeit verloren. Der Kardinalfehler: Zwar mag für diesen Fall ein Krisenteam benannt sein, doch wenn bei einer Attacke Informationssysteme lahm liegen, gelingt es nicht, es zusammenzutrommeln. Es zeige sich in einer Simulation recht bald, ob ein Team funktioniert, sagt Niggemann. Denn selbst wenn Rollen klar definiert sind, weiß man nie, wie Menschen in der Praxis reagieren. Häufig kennen sich die Mitglieder eines Krisenstabs kaum, weil sich in ihrer täglichen Arbeit keine Berührungspunkte ergeben, etwa zwischen IT-lern und Juristen. „Sie müssen aber dann in kurzer Zeit gemeinsam wichtige Entscheidungen fällen, zum Beispiel darüber, bei welchem Kenntnisstand des simulierten Chemieunfalls sich das Unternehmen an die Presse wendet“, sagt Niggemann. Aktion statt Reaktion Experte Böhme rät in dieser Frage grundsätzlich: „Aktion statt Reaktion: Neue Erkenntnisse müssen so schnell wie möglich kommuniziert werden. Wenn Dritte im Rahmen einer Krise als Erstes einen neuen Kenntnisstand verkünden, gerät man in die Defensive.“ Kaufhof ist klamm [caption id="attachment_252107" align="alignnone" width="1200"] (Abbildung: Faceland.com)[/caption] Der Fall: Wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen und eine Insolvenz droht, wollen die Worte wohl gewählt sein. Miguel Müllenbach, Geschäftsführer der angeschlagenen Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof, gab im vergangenen Herbst der FAZ ein Interview, um eine Hiobsbotschaft zu überbringen. „Mindestens ein Drittel“ der 131 Filialen müssten geschlossen werden. Es werde betriebsbedingte Kündigungen geben. Die Gründe für die Schieflage: Corona, Ukraine, gestiegene Energiekosten und Nachfragerückgänge im Zuge der Inflation. Aber: Alles das gab es 2020 noch nicht. Doch damals stand die Warenhauskette schon einmal vor dem Aus, entließ 4.000 Beschäftigte und kassierte seither 680 Millionen Euro an Staatshilfen. Das Expertenurteil: Die Öffentlichkeit spürt nicht, dass die Topmanager von Galeria Karstadt Kaufhof um die Zukunft der Kaufhäuser und erst recht nicht um die Zukunft der Arbeitsplätze kämpfen. Sie rufen nach Millionen von Steuergeldern – und jeder spürt, dass die genannten Ursachen – Corona, Ukraine-Krieg und steigende Energiekosten – nicht die ganze Wahrheit sind. Das ist die denkbar schlechteste Voraussetzung, um in der öffentlichen Diskussion die Unterstützung dafür zu bekommen, dass Politiker dem Hilferuf nach Geld folgen. Das hätten die Kommunikatoren deutlich besser vorbereiten können. Mit möglichst vielen Verbündeten vom Betriebsrat bis hin zur Lokalpolitik hätten sie einen Zehn-Stufen-Plan präsentieren können, der allen etwas abverlangt: dem Investor Signa ebenso wie der Belegschaft. Hätte es dann trotz aller Anstrengungen nicht gereicht, wäre ein weiter Hilferuf an Vater Staat denkbar gewesen. Diese Chance ist vertan. Jörg Forthmann, Faktenkontor, Hamburg Das musste der Autobauer Ford im vergangenen Jahr erfahren. Tausende Beschäftigte warteten in Saarlouis ängstlich auf den Auftritt von Martin Sander. Der Deutschland-Chef von Ford hatte eine wichtige Entscheidung zu verkünden: Saarlouis oder das spanische Valencia? Nur einer der beiden Standorte sollte angesichts mangelnder Auslastung langfristig überleben. Doch als der Manager vors Mikro trat, tobte die Belegschaft bereits. Sanders Worte gingen im wüsten Pfeifkonzert unter. „Je länger die Reaktion auf sich warten lässt, desto länger existiert ein Informationsvakuum.“ Was war geschehen? Die Kundgebung in Saarlouis hinkte der Parallelveranstaltung in Valencia zeitlich hinterher. Über das Internet verbreitete sich die Kunde über den Zuschlag für die spanische Fabrik blitzschnell. Und so erfuhren viele der 4.500 Beschäftigten in Saarlouis vom baldigen Produktionsende ihres Werks aus Presse und Social Media statt aus dem Munde der Verantwortlichen. „Der Krankenstand ist nach der Kundgebung in die Höhe geschnellt“, erzählt Lars Desgranges, Bevollmächtigter der IG Metall. „Der Arbeitgeber hat damals das letzte Vertrauen verspielt. Bis heute glaubt der Geschäftsführung niemand mehr ein Wort.“ Für Experte Böhme ist dies nichts Neues: „Der größere Reputationsschaden kann durch den unangemessenen Umgang mit der Krise entstehen.

Krisenkommunikation: Was ­sagen, wenn’s brennt?

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