Recruiting: Warum wir ältere Menschen für die Arbeit von morgen brauchen

Obwohl unsere Gesellschaft immer älter wird, suchen Personaler doch vor allem „junge und dynamische“ Menschen. Da muss sich was ändern. Ab wann ist man eigentlich alt oder zumindest „älter“? Diese Frage ist sonst individuell zu beantworten. Es heißt, das Alter sei nur eine Zahl, wichtiger sei, wie alt man sich fühle. Im Arbeitsmarkt aber lässt sich das genauer sagen. „Ab etwa 55 Jahren spricht man von einem höheren Alter“, sagt Filiz Koneberg, Researcherin für Berufliche Qualifizierung und Fachkräfte am Institut der deutschen Wirtschaft. Denn das Rentendurchschnittsalter liege bei 64 Jahren, „so kann man davon ausgehen, dass die 55-Jährigen in zehn Jahren in Rente gehen und Unternehmen sich frühzeitig um die Nachfolgeplanung kümmern“, sagt sie. Volkswirte würden jedoch beobachten, dass ein großer Teil dieser Nachfolge wegbrechen wird. Wenn die Babyboomer in Rente gehen, werden viele Stellen frei bleiben. Eine Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung von Anfang 2022 zeigt, dass „die Zahl der Beschäftigten ab 55 Jahren seit dem Jahr 2013 um 2,5 Millionen gestiegen ist“. Gleichzeitig arbeiten die Menschen aber auch immer länger. „2011 arbeiteten die 65- bis 69-Jährigen noch zu zehn Prozent. Im Jahr 2021 lag der Anteil bei 17 Prozent“, zeigt eine Erhebung des Statistischen Bundesamts aus diesem Jahr. Dem steht eine Umfrage der Arbeitsplattform Personalwirtschaft von September 2022 gegenüber, nach der mehr als ein Viertel der Personaler Bewerber über 60 Jahren ablehnt. Viele Zahlen, die ein Dilemma anschaulich machen: Die Gesellschaft wird älter. Und trotzdem suchen Unternehmen vor allem nach jungen, agilen Mitarbeitern. Häufige Vorurteile sind, dass ältere Menschen weniger flexibel und häufiger krank seien und mit neuen Technologien nicht umgehen könnten. „Wir können uns diese Diskriminierung bei unserem Fachkräftemangel aber nicht mehr leisten“, sagt Filiz Koneberg. Es mutet jedoch ein wenig paradox an: Die Arbeit von morgen sollen Menschen machen, die den Großteil ihres Arbeitslebens schon hinter sich haben? Die Antwort ist „Ja“ – wenn Unternehmen und Vermittlungsstellen beginnen, anders über Arbeitsverhältnisse nachzudenken. „Auch ältere Menschen müssen verstärkt als begehrenswerte Fachkräfte wahrgenommen werden, selbst wenn sie im höheren Alter arbeitslos werden“, so Koneberg. Natürlich ließe sich mit Menschen, die in fünf Jahren in Rente gehen, nicht der demografische Wandel aufhalten. „Aber wir brauchen alle Potenziale.“ Ein Umdenken ist möglich Kaum jemand hat heute noch für Jahrzehnte den gleichen Arbeitgeber, wie es vor dreißig Jahren noch der Fall war. Ein häufiger Arbeitsplatzwechsel ist unter jungen Menschen nahezu selbstverständlich. Dennoch scheinen Personaler Probleme damit zu haben, ältere Menschen mit dem Wissen einzustellen, dass sie nur fünf Jahre im Betrieb bleiben werden. Hier ist ein Umdenken möglich. Ebenso bei der Art der Beschäftigung. Ein älterer Mensch könnte etwa in Teilzeit arbeiten. „Da lassen sich Arbeitspakete schnüren. Jemand, den es gruselt, gar nicht mehr zu arbeiten, kann auch über das Rentenalter hinaus noch eingesetzt werden“, sagt Filiz Koneberg. Da braucht es die Flexibilität bei Arbeitgebern, die älteren Menschen oft abgesprochen wird. Auch Weiterbildungen können ein wichtiges Tool sein. Wer etwa einen körperlich anstrengenden Beruf nicht mehr ausüben kann, kann mit einer Schulung zum Ausbilder werden und sein Wissen weitergeben. Oder es kann nach Anschlussfähigkeiten gesucht werden: wer in einem Beruf qualifiziert ist, der weniger gefragt wird, aber in dem es Schnittmengen zu Berufen gibt, in denen Fachkräftemangel herrscht. „Vorausgesetzt natürlich immer, dass die Person diesen Karriereschritt auch möchte. Es bringt nichts, jemanden gegen den Willen aus dem Beruf rausbewegen zu wollen.“ Ob sich ein älterer Mensch von einem Unternehmen überhaupt angesprochen fühlt und dann den Schritt macht, sich zu bewerben, hängt oft schon mit dem Wording der Stellenanzeigen zusammen. „Sie kommen in ein junges, dynamisches Team“, heißt es oft. „Aber kann ich nicht auch alt und dynamisch sein?“, fragt Filiz Koneberg. Das geht bei den Benefits weiter, die viele Unternehmen anbieten. Yoga ist hipper als ergonomisches Sitzen. All das sind kleine, aber nicht unwichtige Stellschrauben, um älteren Menschen das Gefühl zu geben, dass sie gebraucht und gesucht werden. Egal, ob in einem alteingesessenen Unternehmen oder in einem modernen Startup.