Station F: Einblicke in eine der exklusivsten Unicorn-Schmieden der Welt

Frankreich will zur Startup-Nation werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei ein Internetmilliardär und ein Ort namens Station F. Ein Besuch in Paris beim nach eigener Aussage größten Startup-Campus der Welt. Wenn Emmanuel Macron Geburtstagsgrüße schickt, dann weiß man, dass man einiges richtig gemacht hat. Es ist der 28. Juni 2022 und die Station F hat zu ihrem fünften Geburtstag ins 13. Arrondissement in Paris geladen. Der französische Präsident schaltet sich per Videobotschaft zu, der Gründer und Internetmilliardär Xavier Niel und Direktorin Roxanne Varza halten Reden vor Ort. Dazu gibt es Fingerfood und Champagner. Um 22:30 Uhr wird ein gigantischer, rund vier Meter hoher Kuchen eingefahren, danach gibt es Livemusik von Macadam Crocodile. Im großen Empfangsbereich tanzen Startup-Gründer:innen neben Investor:innen, Unternehmer:innen und Besucher:innen bis lange nach Mitternacht. „Die Station F repräsentiert die französische Wirtschaft und steht für das größere Ökosystem“, sagt Varza in ihrer Rede. Und tatsächlich sind sie alle da: Unternehmen wie Google und Microsoft, Universitäten, Investor:innen, die französische Administration und eine Vielzahl motivierter Gründer:innen, die teilweise auf dem Campus wohnen. Auch Menschen, die nicht zur Gründer:innenszene gehören, haben Zugang zur Station F. Sie können in dem öffentlich zugänglichen Food-Court La Felicità Startup-Luft schnuppern. „Wir wollen alle unter einem Dach haben“, sagt Marwan Elfitesse, der die Startup-Programme betreut, später im Videocall. Startup als treibende Kraft Frankreich hat in den vergangenen Jahren die Weichen für die Transformation seiner Wirtschaft gestellt und Startups zur treibenden Kraft erklärt. Trotz Inflation und Rezessionsängsten steht zumindest die Station F nach eigener Aussage gut da. „Bislang haben wir es nicht wirklich zu spüren bekommen“, antwortete Varza im Juni auf der Vivatech, der größten Techmesse Europas, auf die Frage, ob die besten Jahre der Startup-Szene bereits vorbei seien. „Die Finanzierungsrunden unserer Startups haben sich nicht wirklich verlangsamt. Im März dieses Jahres konnten wir 100 Millionen Euro vermelden. Im April war es ein bisschen weniger. Aber im Mai war es ungefähr der gleiche Betrag.“ Neue internationale Fonds würden nach wie vor nach Frankreich kommen und lokale Teams einstellen. „Es wird über die Ängste gesprochen, aber in den Ergebnissen sehen wir das derzeit noch nicht.“ „Es ist eine Community“ Die Station F will viel mehr sein als ein Coworking-Space für Gründer:innen. „Es ist eine Community“, sagt Elfitesse. Neben Arbeitsplätzen gehören zum Konzept Event-Spaces, gastronomische Angebote und Wohnmöglichkeiten. 2019 wurde Flatmates gelauncht, nach eigenen Angaben Europas größter Coliving-Space für bis zu 600 Unternehmer:innen. Das günstigste WG-Zimmer kostet rund 500 Euro im Monat. [crosslinks ids="1490106,1480251,1497663"] Ursprünglich wurde die 1927 entworfene Halle Freyssinet, in der sich die Station F befindet, als Umschlagplatz für Züge und Lastkraftwagen konzipiert. Heute arbeiten hier mehr als 4.600 Startups. Die Fläche teilt sich auf in drei Teile: Die „Share Zone“ im vorderen Bereich steht Gästen und Partner:innen offen, hier befinden sich die Büros von Größen wie Apple, Google, Amazon und L’Oréal. Auch Events wie die Geburtstagsfeier finden hier statt. Die „Create Zone“ ist ein geschlossener Bereich im Mittelteil der Station F, in dem die Startups arbeiten. Dahinter kommt mit dem Restaurant La Felicità die „Chill Zone“. [caption id="attachment_1500868" align="aligncenter" width="1200"] Die Station F von innen. (Bild: Patrick Tourneboeuf)[/caption] Zum Startup-Ökosystem in 5 Jahren Dass das Konzept funktionieren würde, war keine ausgemachte Sache. „Als wir die Station F vor fünf Jahren ins Leben riefen, war das französische Ökosystem noch nicht das, was es heute ist“, schreibt Varza im Unternehmensblog. „Wir hatten keine Ahnung, ob das Modell funktionieren würde. Die Leute bezweifelten, dass es in Frankreich überhaupt 1.000 Startups gibt.“ Heute gilt die Station F als der größte Startup-Hub der Welt. Rund zwei Drittel der Gründer:innen haben französische Wurzeln. Die größte ausländische Gruppe kommt aus den USA. Viele Städte versuchten das Modell weltweit zu kopieren, sagt Startup-Koordinator Elfitesse. Zum Erfolg hätten zu großen Teilen die politische Unterstützung sowie Gründer Xavier Niel beigetragen. Er wird oft als französischer Elon Musk oder Richard Branson bezeichnet und hat 250 Millionen Euro in das Projekt investiert. „Der Mann hinter Station F ist ein Entrepreneur. Deswegen hatten wir von Tag eins an viele Bewerbungen“, sagt Elfitesse, der selbst zum Gründungsteam gehört. Wie kann man dabei sein? Wer einen Schreibtisch in der Station F haben möchte, muss Teil eines der insgesamt 30 Startup-Programme werden. Die laufen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Danach ist Schluss. „Wir wollen damit eine gewisse Dringlichkeit erzeugen“, erklärt Elfitesse. Ein Drittel der Startup-Programme wird von großen internationalen Konzernen wie L’Oréal, LVMH, Google oder Microsoft geleitet, ein Drittel von Schulen und Universitäten wie der privaten Wirtschaftshochschule HEC oder der EDHEC Business School und ein Drittel von Startup-Organisationen wie Entrepreneur First. [caption id="attachment_1500879" align="alignnone" width="1200"] Die Köpfe hinter Station F: Gründer Xavier Niel zählt zu den reichsten Franzosen. Zu seinem Milliardenimperium gehört auch die Tageszeitung Le Monde. Als Direktorin hat er die US-Amerikanerin Roxanne Varza angeheuert. Sie stammt aus dem Silicon Valley und hat zuvor als Techjournalistin und für das französische Startup-Programm von Microsoft gearbeitet. (Fotos: Jean Francois Robert, Wlad Simitch)[/caption] Um ein Programm aufsetzen zu können, müssen die Unternehmen zahlen. Die genauen Summen will Elfitesse nicht nennen. Aber er betont: „Wir wollen keine Gewinne machen.“ Ziel sei es, die Kosten von „ein paar Millionen pro Jahr“ zu decken und schwarze Zahlen zu schreiben. Alles, was darüber hinaus durch die Programmpartner:innen eingenommen wird, werde reinvestiert. Fokus: Diversity Die Station F bietet selbst drei Programme an: das generelle Founders-Programm, eines der größten Programme der Station F, das Fighters-Programm, das sozial benachteiligte Gründer:innen fördert, und das Femtech-Programm, das sich an Startups aus dem Bereich Frauengesundheit richtet. Zwei bis sechs Programme kommen laut Elfitesse jedes Jahr hinzu. Die neuesten sind ein Krypto- und Web3-Programm von Binance sowie ein Future-of-Work-Programm von Slack. „Veränderung ist Teil unserer DNA, wir müssen uns immer wieder neu erfinden“, sagt Elfitesse. Seit der Coronapandemie gibt es auch ein reines Onlineprogramm für angehende Gründer:innen. „Veränderung ist Teil unserer DNA, wir müssen uns immer wieder neu erfinden.“ – Marwan Elfitesse. Beim Thema Diversität und Geschlechtergleichheit will Station F noch besser werden: „50:50 ist das Ziel.“ Auch bei der Herkunft der Gründer:innen wolle man auf mehr Vielfalt achten: „Natürlich wollen wir die besten Leute der Eliteunis, aber wir wollen auch Menschen mit anderen Hintergründen haben“, sagt er. Nur 5-9 Prozent der Bewerbungen erfolgreich Jedes Programm hat dabei seine eigenen Anforderungen. Beim Founders-Programm der Station F geht es in erster Linie um Startups, die sich in der Early Stage befinden. Bei der Auswahl achten Elfitesse und sein Team auf verschiedene Kriterien: Zum einen das Engagement der Teams – denn wer dabei sein will, müsse bereit sein, sich Vollzeit dem Projekt zu widmen. Zudem sei ein MVP wichtig, also ein Minimum Viable Product, wie man Prototypen im Startup-Sprech nennt. Wie der aussieht, sei nicht vorgegeben. Zum anderen sei die Techkompetenz entscheidend. Nur fünf bis neun Prozent der Bewerbungen sind laut Elfitesse erfolgreich. Bei dem Accelerator-Programm des Kosmetikkonzerns L’Oréal und der privaten Wirtschaftshochschule HEC Paris werden wiederum alle sechs Monate bis zu zehn Startups aus dem Bereich Beautytech ausgewählt. Die aktuelle Besetzung lässt erahnen, in welche Richtung es künftig gehen soll: E-Commerce, Metaverse, Social Shopping, Augmented Reality, Nachhaltigkeit sowie Inklusion und Gleichberechtigung. L'Oréal x Station F „Wir bewegen uns weg von der Digitalisierung hin zur Virtualisierung“, sagte Camille Kroely, die bei L’Oréal weltweit für das Digitalgeschäft verantwortlich ist, auf der Vivatech-Messe. Mit der Formel „O plus O plus O“, also „Offline, Online und On-Chain“, will sich der französische Beauty-Konzern optimal für die neue Web3-Welt aufstellen. Diese Strategie zeigt sich auch bei den Startups, die es in den L’Oréal-Accelerator geschafft haben: Animaze erstellt etwa Avatare für Videoaufzeichnungen oder Livestreams. In Echtzeit wird dabei ein Filter über das eigene Bild gelegt, sodass Nutzer:innen als virtueller Charakter, zum Beispiel als Cartoon-Pinguin, auftreten können. [caption id="attachment_1480276" align="aligncenter" width="1200"] „O plus O plus O“: Mit dieser Formel aus „Offline, Online und On-chain“ will sich L’Oréal optimal für die neue Web3-Welt aufstellen. (Bild: Lancôme)[/caption] Besonders um Lerninhalte zu vermitteln, sei das spannend, erklärt Gründer Dragos-Florin Stanculescu. Kinder würden viel aufmerksamer einem Pinguin zuhören als einem Menschen. Aber auch als Markenbotschafter könnten die Avatare verwendet werden. Inwieweit die Technologien der Startups aus dem Accelerator bei L’Oréal zum Einsatz kommen, steht allerdings noch nicht fest. Station F als „Gamechanger“ Die Teilnahme an Accelerator-Programmen kann Teams beflügeln. Auf einmal ist man Teil einer Community, in der viele ganz klein angefangen und es in kurzer Zeit bis ganz nach oben geschafft haben. „Ohne die Station F wäre nichts möglich gewesen“, sagt etwa Clarisse Hagege, Gründerin und CEO des Krypto-Startups DFNS. „Nach unserer Aufnahme in das Startup-Programm zählten wir plötzlich zu Europas Top-Startups in der Frühphase.“ Auf einmal habe die Due-Diligence-Prüfung nicht mehr sechs Monate, sondern nur noch einen Monat gedauert – das sei ein „Gamechanger“. Das erste Unicorn der Station F, Hugging Face, hat insgesamt drei Startup-Programme durchlaufen: von Naver, Ubisoft und Microsoft. Dabei hat sich das eigentliche Geschäftsmodell immer mehr herauskristallisiert. „Anfangs war es noch eine B2C-App, ein Chatbot für Teenager:innen“, erinnert sich Startup-Programmleiter Elfitesse. Hugging Face wurde 2016 gegründet und bietet inzwischen eine Open-Source-Plattform an, mit der Modelle für maschinelles Lernen entwickelt werden können. Im Mai gab das Unternehmen eine neue Finanzierungrunde über 100 Millionen US-Dollar bekannt, durch die die Unternehmensbewertung auf zwei Milliarden Dollar stieg. Startups sind in Frankreich Chefsache Neben Hugging Face gibt es in Frankreich laut Branchendaten derzeit 26 weitere Unicorns, Deutschland kommt auf 31. Betrachtet man die Zahl der Unicorns pro Million Einwohner:innen, liegt Frankreich vor Deutschland. Das lässt die Frage aufkommen: Was macht die französische Startup-Szene besser? „Frankreich hat eine ganz andere Prioritätensetzung als Deutschland. Dort ist das Thema Startups explizit Chefsache“, sagt Niclas Vogt vom deutschen Startup-Verband. Damit meint er unter anderem den Plan „France 2030“, den Präsident Emmanuel Macron im vergangenen Oktober vorgestellt hat. Der umfasst ein Investitionspaket von 30 Milliarden Euro für die Vision eines digitaleren und grüneren Frankreichs. Hinzu kommt der 100 Milliarden Euro schwere Wiederaufbauplan, den Frankreich 2020 zur Bewältigung der Coronakrise aufgesetzt hatte. „Frankreich hat eine ganz andere Prioritätensetzung als Deutschland. Dort ist das Thema Startups explizit Chefsache.“ – Niclas Vogt „Startups spielen laut Macron bei der Transformation der französischen Wirtschaft eine tragende Rolle“, sagt Vogt. Das könne hellhörig machen, denn Frankreich habe „ähnliche Rahmenbedingungen wie Deutschland, was Industrien und Demografie angeht“. Die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Startup-Strategie setze die richtigen Schwerpunkte – aber Frankreich sei insgesamt deutlich weiter, meint Vogt. Auch bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels lobt Vogt die französische Politik: „Im französischen Wirtschaftsministerium gibt es eine ganze Abteilung, die sich um schnelle Visavergabe kümmert, Frankreich hat ein spezielles Startup-Visum und eine Startup-Aufenthaltserlaubnis für die Zulassung von Startup-Mitarbeitenden aus Drittstaaten“, erläutert er. Das sei ein großer Vorteil, wenn es um die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland gehe. In Deutschland haben neun von zehn Startups laut einer Umfrage des Startup-Verbandes vom April 2022 Probleme, ihre offenen Stellen zu besetzen und müssten deswegen auf Wachstumschancen verzichten. „Der Kampf um Talente ist für Startups erfolgskritisch“, so Vogt. „Frankreich agiert mit seiner offeneren Zuwanderungspolitik besser als Deutschland, bei uns dauert die Visavergabe bei Fachkräften aus Indien oder Afrika bis zu acht Monate.“