Heute zeigt sich mehr denn je: Wer überleben will, muss sich weiterentwickeln. Das Rad dreht sich unaufhörlich weiter. Die Entdeckung der Elektrizität hat einst die Technisierung unserer Welt eingeleitet. Informationstechnologien und Programmiersprachen haben die digitale Vernetzung über den Globus hinweg ermöglicht. Und das Internet, gepaart mit der Power von Algorithmen und künstlicher Intelligenz, hat die Digitalisierung in alle Winkel unseres Lebens getragen. Im Zuge dieser rasanten Entwicklung wurden Daten zum wertvollsten Rohstoff, über den die Menschheit verfügt: zum neuen Öl. Doch das hat Begehrlichkeiten geweckt. Die Daten sind zum Treibstoff der Plattformökonomie geworden, zum Wohle einiger weniger Monopolisten. Aber das Rad dreht sich weiter: Nach der Phase des zentralen Internets kündigt sich der Durchbruch des dezentralen Webs an: Blockchain, Kryptowährungen, Token, Mesh-Netzwerke und dezentrale Anwendungen, sogenannte DApps, dringen langsam, aber sicher in den Mainstream vor. Das Web3 formiert sich. Und wir bei t3n glauben daran, dass das Web3 nicht nur zu einem besseren Netz, sondern auch zu einem besseren Wirtschafts- und Gesellschaftssystem führt. Aus diesem Grund haben wir auch die Vision des Web3 als Schwerpunktthema dieser Ausgabe gewählt.
Unsere Mission ist es, komplexe Zusammenhänge verdaulich zu erklären, Leser*innen nicht zu bevormunden, sondern mit unserer Berichterstattung Sinn- und Nutzwert zu stiften. Mit unserem Schwerpunkt wollen wir die Vision des Web3 nicht nur verständlich machen, sondern auch den Nutzen für uns alle aufzeigen – ohne die Herausforderungen zu verschweigen.
Die Begeisterung für die Idee eines dezentralen Webs hat t3n schon lange vor Bitcoin-Allzeithochs und NFT-Hype begleitet. Seit der Gründung vor mehr als 15 Jahren gehören freies Wissen und Datenhoheit jeder einzelnen Person zu den Grundwerten unserer Marke. Auch die Dezentralisierung findet sich fest niedergeschrieben in unserem Brandbook wieder.
Als wir 2005, noch als Studenten, mit t3n gestartet sind, haben uns die neuen und sich rasend schnell verbreitenden Web- und Open-Source-Technologien beflügelt. Ohne Linux, offene Protokolle und freie Software wären wir heute nicht da, wo wir sind. Wir wären auch nicht ohne eine Fremdfinanzierung ausgekommen. Unsere ersten Magazinausgaben zum Thema TYPO3, Open Source und Webtechnologien hätten es nicht in den Druck geschafft. Als logische Folge ist auch das Thema Dezentralität bei t3n in den Fokus gerückt: unabhängige, nützliche und frei zugängliche Dienste statt eines proprietären Systems.
Schicksalhafte Begegnungen auf der Republica
Vor gut zehn Jahren bin ich im Rahmen der Republica mit meinem Co-Founder und damaligem t3n-Chefredakteur Jan Christe auf die sogenannte Transnationale Republik gestoßen, ein dezentrales, territorial unabhängiges Staatenbündnis einiger Nerds aus dem Suse-Linux-Umfeld. Uns gefiel die Idee sofort und wir ließen uns kurzerhand als Bürger registrieren und erhielten noch vor Ort hochoffiziell aussehende Personalausweise.
Das Staatenprojekt versandete zwar leider mit der Zeit – was aber blieb, waren die Idee und der Impuls, Staatenbündnisse auch dezentral und entkoppelt vom alten territorialen Modell neu zu denken. Als Estland sich um das Jahr 2015 als erste Digital Nation bezeichnete und mit den Vorteilen einer digitalen Identität nicht nur für digitale Nomad*innen, sondern auch für einfache Firmengründungen warb, schloss sich damit für mich als stolzer Bürger der Transnationalen Republik ein Kreis. Heute nutzen über 80.000 Menschen das von Estland erdachte Modell der E-Residency.
Dezentrale Staatenmodelle waren aber nicht der einzige Denkanstoß, den wir von der Republica mitgenommen haben. Jan und ich lernten dort auch den damaligen Ruby-on-Rails-Entwickler Peter Großkopf kennen, der später das Fintech Solarisbank mitgründen und eine Krypto-Handelsplattform aufbauen sollte.
Gemeinsam mit ihm durchstreiften wir in den folgenden Jahren – oft Seite an Seite und Bier an Bier – diverse Barcamps und Konferenzen. Zusammen haben wir neue Frameworks, Startups und Technologien entdeckt, diskutiert und ausprobiert – besonders in den für uns so bedeutenden Themenfeldern Open Source und Dezentralität. Natürlich begegneten uns auf dieser Reise auch unweigerlich Bitcoin und Ether. Zusammen erforschten wir diesen Sektor und tauschen uns bis heute zu Ideen, Themen und Fragen aus. So war Peter Großkopf erst kürzlich zu Gast in unserem t3n Pro-Talk und hat sich von unserer Community mit Fragen rund um Krypto, Neobanking und Defi löchern lassen.
Krypto-Adoption by t3n
Früh erkannten wir bei t3n, dass das Interesse am damals noch nischigen und sehr abstrakten Themenfeld „Blockchain und Krypto” mit der Zeit wachsen würde. Wir rechneten damit, dass nach der Entwicklung zentraler und schnell wachsender SaaS- und Cloud-Strukturen und dem Aufkommen immer mächtigerer Datenkraken und Plattformen in Gestalt von Google, Amazon, Facebook und Apple eine Rückbesinnung auf den Open-Source-Ethos stattfinden würde. Dass der Wunsch nach Unabhängigkeit und Privacy aufleben und damit dezentrale Themen für immer mehr Menschen relevant würden. Bereits 2012 widmeten wir die 27. Ausgabe des t3n Magazins dem Thema „Future Cash“ und berichteten darüber, wie Darlehen ohne Banken vergeben werden: über Finanzierung mit Peer-to-Peer-Krediten und über Community-Banking. Web3-Gedankengut in Reinform.
Wenige Jahre später setzten wir ein Zeichen in der realen Welt: Um 2014 halfen wir unserem Freund, Gründer und digitalen Nomaden Ricardo Ferrer Rivero beim Aufbau der längsten Bitcoin-Meile der Welt in Hannover. Und dabei wurde uns klar: Menschen, die im Alltag keine großen Berührungspunkte mit der Blockchain-Technologie und Kryptowährungen haben, fällt es schwer, sie zu verstehen. Um das zu ändern, gaben wir quer durch Hannover in Bars und Burger-Läden einfach mal eine Runde Bitcoin aus.
Wie sperrig das Thema „Blockchain und Krypto“ wirken kann, habe ich auch immer wieder bei Gesprächen im Unternehmen festgestellt. Da trotz unserer aktiven Berichterstattung auch im t3n-Team viele Kolleg*innen noch keine wirklichen Berührungspunkte mit Krypto und Bitcoin hatten, entschlossen wir uns zu einem kleinen Praxis-Experiment, das Hürden senken und Verständnis schaffen sollte: Mit der Unterstützung von Ricardo integrierten wir für alle t3n-Mitarbeiter*innen im Payroll-Service Pey die freiwillige Option, sich Bitcoin im Wert von 44 Euro auszahlen zu lassen. Die vermögenswirksame Leistung, die sonst in klassische Bausparverträge floss, landete so bei einigen in der Bitcoin-Wallet. Seit dieser Aktion ist das Thema für viele bei t3n um einiges greifbarer – wie auch die Wertsteigerung, die der Bitcoin seitdem hingelegt hat. Umgerechnet auf heutige Verhältnisse hat so manches Crew-Mitglied, das die eigene Bitcoin-Wallet damals schnell geleert hat, seine Freund*innen für mehrere Tausend Euro etwa zum Burger-Essen eingeladen.
Auf schlechte Zeiten folgen gute Zeiten
Doch wo viel Begeisterung ist, ist auch Enttäuschung nicht weit. Betrugsskandale um virtuelle Börsengänge, die Initial-Coin-Offerings (ICO) und ein völlig überhitzter Markt läuteten Ende 2017 einen Krypto-Winter ein. Der Bitcoin-Kurs stürzte ins Bodenlose und darbte nur noch vor sich hin. Die Dominanz war gebrochen und lag zeitweise nur noch bei 35 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen. Diese Phase – AltcoinSeason genannt – währte rund ein halbes Jahr, bevor sich der Bitcoin wieder erholte. Und wie in der Natur trennt sich unter extremen Bedingungen die Spreu vom Weizen: Die Saat der besten Ideen hat den strengen Winter überdauert, nur um jetzt noch stärker aufzugehen. Die weltweit agierende Web3-Community hat die Bitcoin-Blockchain weiterentwickelt und mit Ethereum und Smart Contracts eine Blockchain geschaffen, die eine dezentrale Finanzwelt für alle greifbar macht. Die Zahl der dezentralen Handelsplätze und Anwendungen steigt stetig – angefangen bei Wallets wie Metamask. Und das Rad dreht sich weiter: Mit Polkadot steht die nächste Evolutionsstufe mit einer Meta-Blockchain in den Startlöchern, die ein „Internet der Blockchains“ ermöglichen will, indem sie Blockchains interagieren lässt. In unserer Titelgeschichte haben wir uns mit den Polkadot-Entwicklern über ihr bahnbrechendes Vorhaben unterhalten und beleuchten, was noch passieren muss, damit wir uns alle als „Krypto Native“ bezeichnen können.
Gut gefahren sind jedenfalls alle, die sich an das HODL-Meme gehalten haben: Coins halten. Egal, wie schlimm es zwischenzeitlich aussieht: Hold on for dear Life. Im Spätsommer 2020 ist der Bitcoin von einem Allzeithoch zum nächsten gestiegen, von 5.000 Euro bis auf über 50.000 Euro. Lag das Marktvolumen im Krypto-Bereich um 2017 bei insgesamt maximalrund zehn Billionen und 700 Milliarden US-Dollar, hat es im April 2021 erstmals die Schallmauer von 2.000.000.000.000 Dollar durchbrochen. Wem das zu viele Nullen sind: Das entspricht 2.000 Milliarden US-Dollar oder zwei Billionen US-Dollar.
Zum Vergleich: Das Gesamtvolumen von Gold liegt bei rund zehn Billionen und Apple bei gut zwei Billionen US-Dollar. Der Wunsch nach weniger Abhängigkeit von großen Plattformen und das Lösen vom Finanz-Establishment ist immer noch lebendig. Das Phänomen der Wallstreetbets und die Rally der Gamestop-Aktie haben das eindrucksvoll bewiesen. Kleinanleger*innen haben über Absprachen auf dem Social-News-Aggregator Reddit auf einmal mächtige Hedgefonds vor sich hergetrieben. Zeitgleich entdecken große Player von Visa über Paypal bis Tesla die Vorteile von Kryptowährungen. Die Krypto-Börse Coinbase legte im April ein fulminantes Börsendebüt hin. Die steigende Krypto-Akzeptanz unter Fonds, Versicherungen und Unternehmen heizt den Bitcoin-Kurs weiter an. Bobby Lee, Ex-CEO des Krypto-Handelsplatzes BTCC, wagte in einem Interview im April eine steile Prognose: Die Kryptowährung könnte bis Ende 2021 auf bis zu 300.000 US-Dollar steigen. JP Morgan Chase, eine der ältesten und größten Banken der USA, sieht für Bitcoin langfristig ein Kursziel von 146.000 Dollar.
Aber auch jenseits des Finanzbereichs bilden sich immer mehr Use-Cases heraus. Mit dem Ende der Cookie-Ära und steigenden Datenschutzbedenken eröffnen sich neue Anwendungsgebiete: Ein Beispiel sind Basic Attention Token (BAT) und der Brave-Browser. Die Nutzenden, inzwischen über 30 Millionen weltweit, sollen nicht nur die Hoheit über ihre Daten wiedererlangen, sondern sie auch selbst monetarisieren können.
Und auch die Kreativen haben Krypto inzwischen für sich entdeckt: Kunstschaffende wie unser langjähriger Freund Fynn Kliemann helfen dabei, die Vorteile des Web3 unter die Leute zu bringen: Er hat 100 streng limitierte Jingles als Non-Fungible-Tokens auf der Ethereum-Blockchain kreiert und dann als Jinglebes versteigert. Non-Fungible-Tokens? Das sind vereinfacht gesagt Besitz- und Echtheitsnachweise für digitale Assets. Was sich mit Token alles machen lässt, lest ihr neben vielen Deep Dives in unserem Schwerpunkt. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass nach der Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft als Nächstes die Tokenisierung kommt.
Wie genau das alles funktioniert, möchten wir gemeinsam mit euch herausfinden.
Was heißt das konkret? Unsere Mission bei t3n ist es, neue Technologien gemeinsam zu begreifen, um dabei zu helfen, dass sie möglichst im Sinne des Gemeinwohls eingesetzt werden können. Mit Web3 stehen wir an einer Art Wendepunkt der immer mehr auf Daten und Technik basierenden Gesellschaft. Dezentralisierung hat Potenzial, neue, transparente und nachhaltige Prozesse und Angebote zu schaffen.
Die Zukunft gehört DApps, Token, NFT und Smart Contracts, eingebettet in eine globale digitale Infrastruktur und Datenlandschaft, die besser denn je dafür geeignet ist, Dezentralisierung und Blockchain zum Teil der realen Welt werden zu lassen.Wäre es nicht für uns alle wünschenswert, wenn Web3 als Chance und zum Wohl der Gesellschaft breiter verstanden und sinnvoll genutzt würde? Wenn Web3 zur Datenhoheit jedes einzelnen Menschen führen würde? Wäre es nicht wünschenswert, wenn Politik und Verwaltung sich noch stärker dieser neuen Wege bewusst und sie bedienen würden, um sie sinnstiftend für uns alle einzusetzen? Ich halte es für gut vorstellbar, dass sich Politiker*innen wie eine nachhaltig geprägte Annalena Baerbock, ein wirtschaftlich orientierter Armin Laschet oder Olaf Scholz das Konzept einer dezentralen Währung anschauen und darin auch Chancen erkennen. Etwa zur Belohnung ehrenamtlichen Engagements oder ein Bafög auf Blockchain-Basis. Ideen für eine positive Zukunft mit Web3 gibt es viele. Einige davon stellen wir in dieser Ausgabe vor.
Lasst uns alle zusammen daran arbeiten, dass das Web3 Realität wird! Und zwar nachhaltig und zum Wohl aller.