8.000 Euro für ein Coding-Bootcamp – lohnt sich das? - t3n

Dieses Mal blicken wir im Briefing für unsere Pro-Member auf ein wichtiges Thema der IT. Dieses Mal geht es um Coding-Bootcamps. Unsere Autorin hat es ausprobiert und festgestellt: Hinterher ist man immer schlauer. Coding-Bootcamps sind seit einigen Jahren auch in Deutschland ein Millionenmarkt. Sie versprechen den Erwerb relevanter Digitalskills in wenigen Wochen – viele werben sogar mit einer Art Jobgarantie. Ich habe es ausprobiert – so viel vorweg: Gelohnt hat sich die Investition von fast 8.000 Euro für mich nur bedingt. Rückblickend würde ich für mich persönlich die Entscheidung wohl anders treffen. Gelangweilt von meinem Job entschied ich vor etwas mehr als einem Jahr, programmieren zu lernen. Ein bisschen als Challenge für mich selber. Ein bisschen, weil ich hoffte, mit einem Job als Web-Entwicklerin das vorherige Gehaltsniveau halten zu können. Ein bisschen, weil ich mich schnell langweile und hoffte, so einen Job zu finden, der viele Entwicklungsmöglichkeiten und lebenslanges Lernen bereithält. In 13 Wochen zur Entwicklerin? Ich meldete mich bei einem Bootcamp an, das verspricht, auch Teilnehmer:innen ohne Vorerfahrung in 13 Wochen zur Web-Developerin weiterzubilden. Alles, was es dafür brauche, seien ein Macbook, knapp 8.000 Euro und vor allem: Motivation. Vorerfahrung? „Nee, die wird dir sowieso nicht lange weiterhelfen. Wir fangen ganz von vorne an. Es ist schon anstrengend, aber wer motiviert ist, schafft das auch.“ Ich war motiviert. Ich kündigte meinen Job, bezahlte, wechselte die Stadt – und wurde nach ein paar Tagen das erste Mal krank. Krank war ich noch häufiger, neun Tage insgesamt. Bei dem hohen Lerntempo sind Fehlzeiten fatal. Eine Woche später hatte ich das Gefühl, den Anschluss verloren zu haben. Vertröstet wurde ich mit: „Also ich habe den Eindruck, du kommst ganz gut mit. Wenn man dich was fragt, weißt du doch immer die richtige Antwort.“ Und: „Wir fangen eh bald ein neues Thema an, ein kompletter Neustart.“ Oder: „Das gehört dazu. Ich hab auch vieles nicht verstanden, damals als Teilnehmer, einen Job bekommst du später trotzdem.“ Langeweile, Frust und Überforderung Frustriert machte ich weiter. Das ganze Setting, die Art des Unterrichts – Frontalunterricht mit vereinzelten Arbeitsaufträgen, die alleine oder in der Gruppe gelöst werden sollten –, die zwar kameradschaftliche, aber gleichzeitig kompetitive Stimmung unter den Teilnehmer:innen, die mangelnde Bewegung, das stundenlange Sitzen, das alles taugte mir nicht. Erklärt wurde manches, manches nicht. Das störte mich. Ich langweilte mich und war gleichzeitig überfordert. Die Darbietungsform der Lehrinhalte machte es mir schwer, fokussiert zu bleiben. Es gab Phasen, in denen wir einfach nur irgendwelche Packages installierten. Befehle ins Terminal tippten, ohne mitzubekommen, wofür das gut ist. Häufig Unterrichtseinheiten, während derer unser Coach Code tippte. Wir mitschrieben. Er den Code dreimal umschrieb, um die unterschiedlichen Möglichkeiten der Notation zu zeigen. Und am Ende die Hälfte der Teilnehmer:innen das Projekt klonte, weil sich aufgrund der hohen Geschwindigkeit in ihre Versionen ein Typo eingeschlichen hatte. Am Ende des Tages war ich angestrengt vom Stillsitzen und so überladen mit Information, dass es mir unmöglich war, die Themen des Tages zu wiederholen. Ich brauchte Bewegung, Ausgleich. Wollte alles, nur nicht noch länger vor dem Bildschirm sitzen. Gab ich dem schlechten Gewissen nach, bekam ich nach über acht Stunden Input ohnehin nichts in den Kopf. Stellenweise wusste ich sowieso nicht, wo ich anfangen sollte. Lücken, die aufgrund der Fehltage entstanden, schaffte ich nur bedingt aufzuholen. Jeden Tag kam schließlich neuer Lernstoff hinzu. Alles in allem fühlte ich mich 13 Wochen lang wie das eine Kind in der Klasse, das einfach irgendwann nicht mehr mitkommt. Ich war nicht die Einzige mit diesem Gefühl. Vielleicht war ich die Einzige, die aufgrund dessen nicht abbrach. Einfach zu doof? Mit Webentwicklung wollte ich danach nichts mehr am Hut haben. Ich dachte, ich sei halt zu dumm. Wenn nicht dumm, dann unmotiviert. Motivation ist schließlich alles, was es zur Web-Entwicklerin braucht, richtig? Danach habe ich mehrere Monate lang gar nichts programmiert. Neustart Ein bisschen coden zu können, ist aber schon nicht falsch. Deshalb habe ich vor Kurzem ein zweites Bootcamp absolviert. Komplett online, in Textform, der Austausch mit Mitstreiter:innen und dem Coach erfolgte über einen Discord-Server. Und: surprise! Das hat zeitweise sogar neben dem Job noch ganz gut geklappt. Ich habe Neues gelernt und Bekanntes verfestigt, aber ganz ohne das Gefühl der Überforderung. Habe ich eine Sache nicht gleich verstanden, kann ich das auch nach Ablauf der 20 Wochen einfach noch mal nachlesen, via Discord meine Fragen stellen oder weitere Ressourcen heranziehen. Die Inhalte konnte ich in meinem eigenen Tempo absolvieren, trotzdem geben die im Wochentakt freigegebenen Lerneinheiten genug Struktur und Orientierung. Und: Es gibt viel weniger Druck. Kein Gefühl der Konkurrenz um Jobs. Keinen derart festgezurrten, strikt getakteten Lehrplan, der immer neue Inhalte über den nur halb gefestigten von letzter Woche auskippt. Kleine Projekte vorweisen kann ich trotzdem schon. Das Beste daran: Es hat sogar Spaß gemacht. Fazit Mein persönliches Fazit aus der Geschichte ist deshalb: Kündigt euren Job, wenn ihr auf wirklich keine Lust mehr darauf habt. Lernt Programmieren. Orientiert euch dabei ruhig an den Lehrplänen der Bootcamps. Die bieten meistens einen guten Rahmen und Struktur, sodass ihr weniger Gefahr lauft, euch in der Fülle an Frameworks und Tools, die es zu Lernen gibt, zu verlieren. Ob ihr dafür wirklich 8.000 Euro ausgeben oder doch lieber online und in eurem eigenen Tempo lernen wollt, solltet ihr euch allerdings gut überlegen. Am Ende zählen in erster Linie sowieso die Projekte und nicht das Zertifikat, das ihr von so einem Bootcamp mit nach Hause nehmt. Und wenn ihr währenddessen merkt, dass das Entwickler:innendasein doch nicht das Richtige für euch ist, habt ihr für diese Erkenntnis wenigstens keine 8.000 Euro bezahlt.