Status Quo im Handel: Das Märchen vom Retter E-Commerce rächt sich
Der Handel optimiert seine digitalen Fähigkeiten, vernachlässigt aber die konzeptionelle Erneuerung seiner Filialen. Der wachsende Anspruch des Kunden wird vor allem durch den Onlinehandel befeuert, sagt das Parthenon-Performance-Ranking der Strategieberatung EY-Parthenon. Betrachtet man das Ranking, fällt auf, dass zwar der überwiegende Teil der Händler digital dazulernt, die Kunden aber generell unzufriedener werden.
Während die digitalen Fähigkeiten wachsen, mangelt es anscheinend immer noch an der Fähigkeit, im Handel komplett neu zu denken. Wenn kein Umdenken erfolgt, wird sich das rächen.
Performance-Ranking Kundenzufriedenheit: Zufriedenheit sinkt
Parthenon hat in dem Performance-Ranking (PDF) 8.000 Konsumenten 100 führende Händler bewerten lassen und 40.000 Kundenbeurteilungen eingesammelt. Bewertet wurden Auswahl, Preis-Leistungs-Verhältnis und der Service, aber auch die Attraktivität der Filialen und die digitalen Fähigkeiten jedes Händlers. Außerdem wurde gefragt, ob der Einkauf Spaß macht, die Kunden sich bei der Artikelauswahl unterstützt fühlen und ob der Einkauf reibungslos funktioniert. Wem vertrauen die Kunden?
Das Ergebnis: Von über 100 Händlern stagnieren oder verlieren 70 Händler in der Kundenzufriedenheit. Überwiegend sind die Händler im Ranking gesunken.
Eine verwunderliche Randnotiz: Amazon soll laut des Rankings ebenfalls einen Rückgang der Kundenzufriedenheit verzeichnen und wurde vom Podium auf Platz fünf verwiesen. Die Kunden halten die relevante Produktauswahl für schlechter als im Vorjahr und empfinden den Einkaufsprozess als schlechter.
Händler verbessern digitale Fähigkeiten, bleiben aber hinter Pureplayern zurück
Die Autoren des Rankings haben die Kunden speziell zu den digitalen Fähigkeiten der Händler befragt. Knapp die Hälfte der 85 Händler mit stationärer Herkunft konnte sich zwar in den digitalen Fähigkeiten deutlich verbessern. Viel hilft das aber anscheinend nicht, denn insgesamt bleiben die Stationären in dieser Disziplin weiterhin deutlich hinter den reinen Onlinehändlern zurück.
Das Märchen vom E-Commerce als Retter des stationären Handels rächt sich
Parthenon bezeichnet es als erschreckend, dass die Attraktivität der Filialen bei 70 von 85 Händlern mit stationärer Herkunft rückläufig ist. Die Erklärung sucht die Strategieberatung darin, dass die zahlreichen Online-Angebote die Kundenerwartungen nochmals gesteigert haben. Die Kunden gewöhnen sich immer mehr an die Vorzüge des Onlineeinkaufs, wie eine bessere Auswahl, geringe Wartezeiten und wechselnde Produktangebote, und erwarten mindestens dasselbe im stationären Laden.
Die Schlussfolgerung aus dieser Entwicklung: Die Händler haben bei der Weiterentwicklung der Filialkonzepte versagt und zu wenig in die Kundenbetreuung vor Ort investiert. Parthenon rät dem Handel, sich nicht nur rein auf Supply-Chain-Optimierung und Filialkostensenkung zu konzentrieren, sondern eher in Erlebnis und Markenbildung zu investieren.
Das wird jedoch nicht reichen. Der stationäre Handel, die Multichannel-Händler, werden akzeptieren müssen, dass mit dem reinen Erlernen von digitalen Fähigkeiten für den Onlinehandel kein zukunftssicheres Konzept für die Zukunft erarbeitet werden kann. Der Status Quo scheint aktuell zu sein: Nicht gut genug, um Pureplayer zu schlagen, und zu schlecht, um die Vorteile eines Multichannel-Handels auszuspielen.
Wenn dieser Trend anhält, wird die Kundenzufriedenheit mit den Filialen weiter sinken, die Läden immer mehr zu einem Klotz am Bein. Das kann eine Onlinestrategie alleine nicht abfedern. Und Läden einfach nur ergänzend dazu optisch zu modernisieren, wird nicht mehr reichen. Entweder muss der Klotz am Bein irgendwann weg – und bis dahin spielen die Händler ihre eigenen Nachlassverwalter –, oder es müssen komplett neue digitale Filialkonzepte als verlängerter Arm der Onlinestrategie entwickelt werden.
Amazon, das allgegenwärtige Schreckgespenst, baut seit einigen Jahren auf eine stationäre Digitalstrategie, das Unternehmen hat eine Milliardenwette auf den nächsten Wachstumsmarkt abgeschlossen. Dazu plant der Handelsgigant digitale Konzepte auf dem Reißbrett, ohne Rücksicht auf bestehende Filialen nehmen zu müssen. Amazons einziges Handicap verbessert sich von Jahr zu Jahr: Know-how über stationären Handel. Dieses Know-how ist derzeit der einzige Vorsprung, den der aus dem stationären stammende Handel noch hat – und dieser Vorsprung wird schnell verspielt sein.
Ich höre mich selbst immer öfter sagen .. wenn die Betreuung im Handel so schlecht ist, kann ich besser online recherchieren und einkaufen. Das gilt mittlerweile sogar für Produkte, wo mir eine haptische Bewertung sehr wichtig ist. Viel zu selten findet man qualifizierte Händler und da kaufe ich dann sogar trotz einiger Nachteile (Preis, Lieferzeit, ..). Aber es stimmt, wenn der Trend so weiter geht, wird das nichts.
Eine wichtige Ursache im Handel ist, dass das Personal völlig falsch geschult wird, falls es da überhaupt eine Weiterbildung gibt. Kunden im Handel wollen begeistert werden und möchten eine pragmatische Lösung.
Beispiel: Ich wollte im Handel eine Luftmatratze kaufen. Komfort kann man im Internet nicht fühle. Die Verkaufsperson (m/w/d) sagte mit gleich sowas haben wir nicht. Dann wollte ich selbst suchen und bekam den weniger höflichen Hinweis, dass sie sowas nicht habe und es das nicht gibt. Dort habe ich natürlich nicht gekauft sondern im Internet. Die Luftmatratzen waren 4cm zu breit. LUFTmatratze .. passt natürlich trotzdem. Ergebnis .. in diesen Laden gehe ich sicher nicht mehr für eine Beratung. Hier wurde der Vorteil komplett verspielt ohne Grund.