Der Wirecard-Skandal geht in die nächste Runde. Am Donnerstag hat das Unternehmen beim Amtsgericht München den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Bisher beziehe sich dieser Antrag auf Wirecard selbst, wie das Unternehmen mitteilt. Ob sich das Verfahren auch auf die zahlreichen Tochterunternehmen erstrecken wird, bleibt abzuwarten. Das Unternehmen betreibt ein weltweit verzweigtes Firmengeflecht mit zahlreichen Gesellschaften in den Emerging Markets.
Schon seit Tagen spitzte sich der Bilanzskandal zu: Dem Unternehmen fehlen 1,9 Milliarden Euro, die sich „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ nicht auf den philippinischen Treuhandkonten befinden, wie das Unternehmen am Montag erklärt hatte. Das widersprach früheren Angaben der Geschäftsführung des Zahlungsdienstleisters. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ende letzter Woche zurückgetretenen Wirecard-Chef Markus Braun vor, mit weiteren mutmaßlichen Tätern die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen von Wirecard durch vorgetäuschte Einnahmen geschönt zu haben. Braun kam am Mittwoch gegen eine Kaution in Höhe von fünf Millionen Euro wieder auf freien Fuß. Den mit dem Asiengeschäft betrauten Ex-Vorstand Jan Marsalek sucht die Staatsanwaltschaft dagegen laut Süddeutsche per Haftbefehl noch immer.
Die kreditgebenden Banken haben offenbar von ihrem Recht, Kredite in Milliardenhöhe zu kündigen, Gebrauch gemacht. Dieses Recht hatten sie, nachdem bis vergangenen Freitag kein gültiges Testat vorlag, weil die Wirtschaftsprüfer der EY dieses verweigert hatten. Bereits vor etwa einem Jahr hatte die britische Financial Times in zahlreichen Berichten über Unregelmäßigkeiten und mögliche Bilanzmanipulationen berichtet. Laut einem Bericht vom Oktober besteht der Verdacht, dass ein Teil der in Asien ausgewiesenen Umsätze auf Scheingeschäften beruht.
Sondervermögen der Wirecard-Bank: Konten vorübergehend eingefroren
Für die Kunden gibt es immerhin noch berechtigte Hoffnung, dass sie ihre Einlagen nicht verlieren. Ihr Vermögen ist als Sondervermögen von der Insolvenzmasse getrennt, zumindest bis 100.000 Euro, in einigen Fällen je nach vertraglicher Ausgestaltung auch noch höher. Hinzu kommt, dass Wirecard insbesondere im deutschen Raum lediglich mit der Marke Boon aktiv war. Die war bislang weniger erfolgreich als viele andere Neobanken und Fintech-Konten. Boon kam aber beispielsweise auch im Kontext mit Swatch Pay zum Einsatz.
Doch immerhin rund 1,7 Milliarden Euro sollen sich laut Medienberichten an Einlagen bei der Wirecard-Bank befinden. Die Finanzaufsicht Bafin hat die Konten der Bank vorübergehend für Zahlungsvorgänge gesperrt und den Geschäftsbetrieb zunächst unterbunden. Auch soll laut Erkenntnissen der Süddeutschen ein Beauftragter der Bafin dafür gesorgt haben, dass die Löcher der Wirecard nicht durch unrechtmäßige Zahlungen der Wirecard-Bank gestopft wurden.
Für die Kunden könnte das bedeuten, dass sie zwar in den nächsten Tagen nicht so einfach an ihr Geld kommen, aber anders als bei vergleichbaren Fällen im Kontext der Finanzkrise (Stichtwort Kaupthing) dürfte sich die – hier vor allem deutschsprachige – Abwicklung weniger komplex gestalten.
Doch Wirecard ist auch Teil zahlreicher Kreditkartenverträge, bei denen Wirecard mehr oder weniger versteckt im Kleingedruckten zu finden ist. Auch hier greifen, wenn es sich um eigene Produkte der Wirecard-Bank handelt, wohl die üblichen Schutzmechanismen der Einlagensicherung. Ähnlich – wenn auch aus anderem Grund – sieht das bei Kreditkarten aus, für die Wirecard nur als technischer Dienstleister fungiert und die durch einen anderen Anbieter betrieben werden. Hier ändert sich prinzipiell erst einmal nichts, außer dass die Kreditkarte möglicherweise derzeit nicht einsetzbar ist und sich das (haftende) Partnerunternehmen jetzt schnell einen neuen Dienstleister suchen muss. Umgekehrt bleiben aber natürlich in beiden Fällen auch die Verbindlichkeiten bestehen – also nichts mit schneller Entschuldung.
Vorsicht ist laut Wirtschaftswoche aber bei einigen anderen Prepaid-Karten geboten, bei denen die Geschäfte ohne Bank und Treuhänder, etwa über die Wirecard Solutions, eine Tochterfirma der Wirecard, laufen. Das betrifft in Deutschland etwa die EPay Cards, Blue Cards oder auch die International Student Identity Card (ISIC) mit der Travel Cash Flex Prepaid.
Braun konnte mit seinen Anteilen noch Millionen erlösen
Ex-Chef Braun hatte laut Medienberichten einen großen Teil seiner Unternehmensanteile noch vor wenigen Tagen verkauft und damit laut Wirecard einen Betrag von rund 155 Millionen Euro erlöst – allerdings als sogenannte Zwangsliquidation. Das ist übrigens ein deutlich besserer Preis als der, den die Anleger jetzt noch erzielen können: Die Aktien des Zahlungsabwicklers sanken heute um weitere 80 Prozent auf rund 2,50 Euro. Sie verloren damit seit der abermaligen Verschiebung der Bilanz in der vergangenen Woche fast 98 Prozent ihres Werts. Das Alltime-High im Sommer 2018 lag bei gut 190 Euro pro Aktie. Damals rückte der Zahlungsanbieter vom TecDax in den Dax auf – und das im gleichen Moment, in dem die alt-ehrwürdige Commerzbank aus dem Aktienindex der größten deutschen Unternehmen absteigen musste.
Die Geschichte eines aus Deutschland stammenden Weltunternehmens der Payment-Branche ist mit dem heutigen Donnerstag zwar noch lange nicht aufgearbeitet und beendet, der damit verbundene Traum des einstigen Vorzeigeunternehmens ist aber endgültig ausgeträumt – verbunden mit einem Imageschaden für die gesamte Fintech-Szene. Selbst wenn die Tochtergesellschaften bisher nicht Insolvenz angemeldet haben, dürfte es – abgesehen von der dahinterstehenden Substanz – schwierig werden, das Vertrauen der Kunden zu behalten oder zurückzugewinnen.
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