Big Brother im Staatsdienst: Macht uns Palantir zum gläsernen Bürger?

Wenn über die einflussreichsten und bekanntesten Tech-Firmen und ihre Geschäftsführer berichtet wird, stößt man häufig auf immer dieselben Doppelspitzen. Meta und Mark Zuckerberg. Amazon und Jeff Bezos. Apple und Tim Cook. Und seit einigen Jahren auch Elon Musk und die Dreifaltigkeit aus SpaceX, xAI und Tesla, sowie OpenAI und Sam Altman.
Der Einfluss dieser Firmen und ihrer Chefs ist unbestritten. Aber interessanter wird es in der zweiten Reihe. Denn außerhalb des direkten Spotlights ist es deutlich schwieriger, die Relevanz von in der Allgemeinheit eher unbekannten Konzernen und ihren Gründer:innen zu bestimmen. Zum Beispiel bei Alex Karp.
Karp hält nicht nur einen Doktor der Philosophie der Goethe-Universität Frankfurt, sondern gründet auch zusammen mit dem von t3n porträtierten rechten US-Investor Peter Thiel 2004 Palantir und steht der Firma bis heute als Geschäftsführer vor.
Die Softwarefirma macht laut ihres aktuellen Jahresberichts 2024 etwa 500 Millionen US-Dollar Gewinn bei rund drei Milliarden Dollar Umsatz. Seine Marktbewertung hat Palantir in der Zeit zwischen dem Sieg von Donald Trump in der US-Präsidentschaftswahl und heute auf 320 Milliarden Dollar verdreifacht. Investor:innen setzen also große Stücke auf die Firma. Aber warum ist das so? Und welchen Fußabdruck hat der US-Konzern in Deutschland?
Big Data zwischen Privatwirtschaft und Spionage
Einer der wichtigsten Gründe für den Erfolg von Palantir ist das Handeln mit Sicherheit. Genauer: die Möglichkeit, mithilfe künstlicher Intelligenz massenweise Daten gleichzeitig über verschiedene verknüpfte Quellen hinweg zu analysieren und Muster zu finden.
Was erstmal abstrakt klingt, ist laut eines Zitats von Mitgründer Thiel in Forbes darauf ausgerichtet, in einer Post-9/11-Welt „Terrorismus zu reduzieren und dabei Freiheitsrechte zu erhalten“. Angeblich will Thiel damit die Anti-Betrugs-Technologie von seiner Firma Paypal für einen anderen Markt adaptieren. Die Software von Palantir soll Gefahrenpotenziale bei Schwerstkriminalität frühzeitig erkennen und als Quasi-Rasterfahndungs-Tool dienen.
Bevor die Firma 2020 an die Börse geht, ihre Analyseprodukte unter dem Namen Foundry auch Konzernen in der Privatwirtschaft anbietet und unter anderem bei der Nachverfolgung der Ausbreitung des Coronavirus unterstützt, arbeitet sie also hinter verschlossenen Türen für zahlreiche US-Regierungsorganisationen und -Geheimdienste. Die nutzen auf Predictive Policing zugeschnittene Versionen des zweiten großen Palantir-Tools Gotham.

Kein bekannter, aber ein einflussreicher Tech-CEO: Alex Karp von Palantir. (Foto: picture alliance/KEYSTONE | GIAN EHRENZELLER)
Laut eines Berichts von Techcrunch gehören 2013 unter anderem das Los Angeles Police Department, die US-Heimatschutzbehörde sowie CIA und FBI zu den Kunden von Palantir. Auch 2024 stammt über die Hälfte des Umsatzes von Regierungen, zwei Drittel der Einkünfte werden in den USA generiert.
Besonders interessant: Die CIA erkennt schon früh den Nutzen von Palantir für ihre Zwecke. Über seinen Investment-Arm In-Q-Tel pumpt der US-Auslandsgeheimdienst übereinstimmenden Medienberichten zufolge in den ersten Jahren nach der Gründung rund zwei Millionen Dollar in die Firma.
Die Anfänge von Palantir in Deutschland
Die Erprobung durch US-Behörden und der Aufstieg von Palantir in der Sicherheits-Community wird einige Jahre später auch zum Katalysator für den Einsatz von Gotham in Deutschland. 2016 lässt sich der hessische CDU-Innenminister Peter Beuth auf einer USA-Reise Palantir vorführen. Laut Zeug:innenaussagen im Bericht der Untersuchungskommission zum Einkauf und Einsatz von Gotham in Hessen von 2019 ist er von der Software des US-Unternehmens schnell überzeugt.
Für den Einkauf von neuen externen Tools und Dienstleistungen durch Bund und Länder besteht eigentlich eine Ausschreibungspflicht, um den Wettbewerb nicht zu gefährden. Diese Pflicht kann ausgesetzt werden, wenn besondere Dringlichkeit vorliegt. Dann dürfen staatliche Behörden beispielsweise Software auch ohne Ausschreibung einkaufen, allerdings nur für einen beschränkten Zeitraum.
Diese Dringlichkeit sieht das Hessische Polizeipräsidium für Technik (HPT) laut Kommissionsbericht durch den Anstieg salafistisch-islamistischer Gefährder im Bundesland und die Häufung von Anschlägen wie den auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin im Dezember 2016 gegeben. Im Mai 2017 schließt die Behörde einen Vertrag mit Palantir und beginnt mit der Nutzung der als Hessendata betitelten Gotham-Instanz.
Als Grund für die wenig später folgende freie langfristige Zusammenarbeit mit Palantir führt das HPT angebliche fehlende Verfügbarkeit vergleichbarer Programme in Europa oder Deutschland an. Eine Einschätzung, die Abgeordnete der SPD, FDP und Die Linke laut Kommissionsbericht nicht teilen.
Nach dem Vorpreschen Hessens kaufen auch Nordrhein-Westfalen und Bayern Palantir-Software zu und klinken sie unter den Namen DAR respektive Vera in sämtliche polizeiliche Datenbanken ein. Das lohnt sich auch für die hiesige Dependance des US-Konzerns. Laut Eintragung im Lobbyregister macht die deutsche Tochterfirma in der Bundesrepublik 2022 rund 46 Millionen Euro Umsatz. Wie Netzpolitik Anfang 2023 berichtet, soll allein die bayerische Polizei gemäß eines 2022 geschlossenen Rahmenvertrags innerhalb von fünf Jahren 25 Millionen Euro an Palantir zahlen.
Palantir und die digitale Souveränität
Laut Aussagen der jeweiligen Innenministerien tragen die jeweiligen Gotham-Instanzen zur schnelleren Bearbeitung großer Datenmengen und zur besseren Verknüpfung unterschiedlicher Sicherheitsorgane bei. Das ermögliche bessere Bekämpfung organisierter Kriminalität und die Verhinderung von Anschlägen. Die öffentlich präsentierten Beispiele für derartige Einsätze bleiben an einer Hand abzählbar.
In einem WDR-Bericht von Oktober 2022, knapp acht Monate nach der Einführung von DAR in NRW, werden fünf Beispiele zwischen geplanten Anschlägen und dem Ausheben einer Einbrecherbande aufgeführt. In Hessen habe beispielsweise laut Frankfurter Rundschau 2018 ein islamistisch motivierter Anschlag durch den Einsatz von Palantir-Software verhindert werden können.
Was aus dem Kommissionsbericht zur Einführung von Palantir in Hessen klar hervorgeht: Die Opposition lehnt den Einsatz von datengetriebenen Analyse-Tools im Polizeieinsatz nicht kategorisch ab. Wenn Kriminelle digital aufrüsten, müssten staatliche Behörden mitziehen. Lediglich das Vergabeverfahren sei nicht rechtens gewesen. Man hätte sich nach europäischen oder deutschen Alternativen umsehen müssen.
Dieser Aspekt wird gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in den USA heute umso relevanter. Immerhin wird schon diskutiert, ob man sich noch auf einer US-Social-Media-Plattform anmelden oder in Abhängigkeit von Enterprise-Software-Anbietern geben sollte. Ob man die nationale Sicherheit in die Hände einer Defense-Tech-Firma mit gutem Draht zu US-Geheimdiensten legen darf, ist also eine legitime Frage.
Auch, aber nicht nur deswegen, sieht ein Großteil der Bundesländer den Einsatz von Palantir-Software kritisch. Und das trotz eines Vorstoßes der neuen Bundesregierung bezüglich der Einführung einer „Bundes-Vera“. Der Bayerische Rundfunk berichtet im vergangenen April, dass nur Baden-Württemberg und Berlin den Einsatz von Gotham prüfen wollen. Die restlichen elf Bundesländer haben derzeit keine Pläne, mit Palantir zusammenzuarbeiten.
Was sagt das deutsche Verfassungsgericht zur Überwachungstechnologie?
Für diese Zusammenarbeit auf Länderebene wären ohnehin Gesetzesänderungen nötig, damit die Software datenschutz- und persönlichkeitsrechtskonform eingesetzt werden kann. Entsprechend haben zahlreiche Organisationen, unter anderem die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Verfassungsbeschwerden gegen die entsprechenden Bundesländer eingereicht. Hessen passt das Polizeiaufgabengesetz an, nachdem das Bundesverfassungsgericht den Einsatz Anfang 2023 als verfassungswidrig einordnet. Automatisierte Datenanalysen seien nur in einem extrem engen Rahmen mit der Verfassung vereinbar.
Die GFF reicht 2024 allerdings eine weitere Verfassungsbeschwerde ein. Denn der größte Kritikpunkt sei bisher nicht beseitigt. Durch die Verknüpfung mit allen relevanten Polizeidatenbanken könnten auch Informationen über Menschen in die Auswertung einfließen, die beispielsweise nur als Zeugen in Verfahren aufgetreten sind. Wie aus welchen Daten nach welchen Kriterien Profile gebildet werden, sei unklar. Immerhin: Einen Datenabfluss in die USA gibt es laut einer unabhängigen Prüfung des Fraunhofer Instituts im Juli 2022 nicht.
Stand jetzt wird die Software in Hessen, NRW und Bayern weiter genutzt. Und das trotz Kritik von unter anderem der zuständigen Datenschutzbeauftragten aufgrund der Zweckmäßigkeit und anhängiger Klagen.
Während in Deutschland noch gezögert wird, hat Palantir in seinem Hauptmarkt USA gerade einen weiteren wichtigen Kunden gewonnen. Laut eines Berichts von Wired aus dem vergangenen April soll die Firma eine spezielle Software für die US-Einwanderungsbehörde ICE entwickeln. Die soll es unter anderem ermöglichen, Menschen im System zu finden, deren Visa kurz vor dem Ablauf stehen und diese zur Abschiebung vorzumerken.
Vor dem Hintergrund der landesweiten Demonstrationen und Ausschreitungen aufgrund der aktuellen Abschiebepolitik der US-Regierung dürfte dieser Deal Palantir keine Bonuspunkte bei Menschenrechtsaktivist:innen einbringen. Im Ranking der einflussreichsten Tech-Firmen klettert die Firma von Geschäftsführer Alex Karp dafür aber mindestens eine weitere Stufe nach oben.
Wer P. Thiels politische Präferenzen und seine Zukunftsvision für unsere Spezies, diesen Planet und seine Fauna wie Flora kennt, der meidet diesen Mann und sein Produkt, das als Werkzeug zur facilitation seiner Vision dient, wie der Teufel das Weihwasser.
Das Deutsche Behörden und die Deutsche Landes- wie Bundespolitik Produkte wie Palantir und menschen wie P. Thiel hofiert und diesen gerne zu Diensten ist, spricht für die Dysfunktionalität einer parlamentarischen Demokratie, die von Lobbyisten, Konzerninteressen und Shareholder Values in so mannigfaltige Variationen von Korruption getrieben wird.
Das Bürgerrechte mit einem Federstrich obsolet werden, die Daten des Souverän nicht nur zu Produkten für Konzerne entwertet werden, sondern auch Programmen wie Palantir zur Vorbereitung totalitärer, authoritärer und in Konsequenz faschistoiden Herrschaftsformen dienen, ist ein Verrat an Demokratie, Rechtsstaat und Gewaltenteilung.
Wann wird die „schweigende Mitte“ endlich erkennen, das weder Schweigen noch Desinteresse an oder Beliebigkeit in politischer Bildung einen gesellschaftlichen, ergo politischen Wert darstellen.
Sondern schon immer als „Enabler“ politischen Extremismus diente.