Wework-Insolvenz: Steht die deutsche Coworking-Szene jetzt vor dem Untergang?
Neonröhren, enge Bürozellen und fader Kaffee – all diesen Dingen hat das Unternehmen Wework im Jahr 2010 den Kampf angesagt. Mit moderner Büroeinrichtung und dem „Wir-Gefühl“ sollte das Arbeiten neu gedacht werden. Wework galt als eines der aufstrebenden Unternehmen der letzten zehn Jahre – noch im Jahr 2019 schätzten Expert:innen den Unternehmenswert auf 47 Milliarden US-Dollar.
Doch alleine in diesem Jahr ist die Aktie der The We Company um fast 99 Prozent eingestürzt. Unter dem Strich steht bei dem Unternehmen ein Minus von 18,6 Milliarden Dollar, das geht aus dem Insolvenzpapier hervor. Selbst mit den Anlagen in Höhe von circa 15 Milliarden Dollar bleibt ein großer Schuldenberg. Von dem damaligen Hype ist nicht mehr viel übrig.
Schon vor Wework musste das deutsche Coworking-Unternehmen Betahaus im Jahr 2021 Insolvenz anmelden. Doch stehen diese Insolvenzen sinnbildlich für die deutsche Coworking-Szene? Wir haben bei Tobias Kollewe, Präsident und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Coworking Spaces Deutschland BVCS, nachgefragt, wie es um das Coworking hierzulande steht.
In Deutschland befindet sich das Bürokonzept weiterhin im Aufschwung. Die Anzahl der Cowrking-Spaces steigt weiterhin – trotz Pandemie hat sich die Zahl von knapp 1.200 im Jahr 2020 auf 2.100 in 2023 fast verdoppelt. Trotzdem spielt das Arbeitskonzept eher eine Nebenrolle bei den Deutschen. Auch wenn gerade das insolvente Wework zu den größten Anbietern von Büroräumen zählt, sieht Tobias Kollewe das Konzept weiterhin als zukunftsfähig. Für ihn sind Wework und Coworking zwei verschiedene Schreibtischstühle. Um zu verstehen, wieso Wework nicht repräsentativ für das Arbeitskonzept steht, lohnt sich ein Blick in die Geschichte des Startups.
Das „We“-vergessen?
Angefangen hat es bei den Wework-Gründern Adam Neumann und Miguel McKelvey mit einer Philosophie. Sie wollten Büroräume gestalten, in denen sich Menschen wohlfühlen und zusammenkommen. So sollte eine produktive und euphorische Arbeitsatmosphäre entstehen. Um das zu erreichen, mietete Wework Büroräume an, richtete sie teuer ein und stellte sie Unternehmen und Einzelpersonen zur Verfügung.
Die Idee kam an. Auch Großinvestor Masayoshi Son und seine Investment-Firma Softbank waren von Neumann überzeugt und investieren im Laufe der Zeit über zehn Milliarden Dollar. Wework investierte daraufhin beispielsweise in ein Wave-Pool-Startup oder baute ein Tauchbecken in ihre Büroräume.
Doch während die glückliche Arbeitsrevolution voranschritt, wurden die Zweifel immer größer. Immer häufiger beschwerten sich eigene Mitarbeitende über schlechte Arbeitsbedingungen und die Jesus-Inszenierung Neumanns. Nicht nur das „We“ hat Wework immer häufiger vergessen, auch ihre Investments rentierten sich nicht.
2019 endete Neumanns „Revolution“ bei Wework. Im September trat er als CEO des Unternehmens zurück, als ein geplanter Börsengang verschoben werden musste. Auch wenn er zwei Jahre später doch glückte, konnte das Unternehmen sich nicht mehr aus der Krise retten. Was blieb, war eine filmreife Geschichte, an der sich Apple TV mit der Serie “WeCrashed” bediente – mit Jared Leto als Adam Neumann.
Coworking ist nicht gleich Coworking
In Deutschland ist die Nachfrage nach Office-Spaces dagegen weiterhin hoch. Zu Coworking-Spaces zählt Kollewe das ehemalige Unternehmen Neumanns allerdings nicht: „Aus dem Bereich Coworking ist Wework schon lange raus.” Die Räume des insolventen Unternehmens zählen aus seiner Sicht eher zu Flex-Offices – das Unternehmen selbst sei eher ein Immobilienunternehmen. Mit Plug-and-Play-Arbeitsräumen profitieren die Menschen von einer voll ausgestatteten Office-Struktur mit allem drum und dran. Der Community-Gedanke steht eher im Hintergrund – einzig und allein zählt hier das Vermieten von Büroräumen.
Coworking-Spaces sehen sich stattdessen in der Verantwortung, Gemeinschaftsräume zu schaffen. Die fünf Faktoren aus Gemeinschaft, Zusammenarbeit, Nachhaltigkeit, Zugänglichkeit und Offenheit stehen bei der Gestaltung der Räume im Vordergrund. Sie sind nicht nur in den Herzen der Großstädte zu finden – auch in ländlichen Gegenden oder in Randgebieten leisten sie ihren Beitrag. Dadurch wirken sie der Landflucht, Urbanisierung und Abwanderung entgegen. Für Pendler:innen bedeuten Coworking-Spaces kürzere Arbeitswege. Zusätzlich soll so auch die ländliche Entwicklung gefördert werden.
Veranstaltungen und Workshops helfen zusätzlich bei der individuellen Weiterentwicklung. Coworker:innen mit den verschiedensten Hintergründen sollen sich in den Spaces kennenlernen und von dieser Infrastruktur profitieren. Aus der gemeinsamen Nutzung derselben Räume und der Interaktionen untereinander sollen neue Projekte und Ideen entstehen. Damit sind Coworking-Spaces in erster Linie ein Ort für Begegnung und Kollaboration. Darüber hinaus sollen Coworking-Spaces einen Lebensraum schaffen, der über die Arbeit hinausgeht.
Einige Übereinstimmungen
Mit Welive hatte das Immobilien-Startup Wework einen ähnlichen Versuch gestartet. Dabei wollte das Unternehmen Wohnungen schaffen, bei denen Gemeinschaft und Zusammenhalt in der Einrichtung im Vordergrund stehen sollten – mittlerweile wurde Welive eingestellt.
Auch die Corona-Pandemie machte Wework und deutsche Coworking-Spaces zu Leidensgenossen. Überall standen die Büroräume leer und die Einnahmen blieben aus. Rund ein Fünftel aller Flex-Offices weltweit musste im Jahr 2020 schließen. Auch die gemeinschaftlichen Vorteile der Coworking-Spaces konnten während der Pandemie nicht genutzt werden.
Das Büro wandelt sich
Einen Vorteil hatte Corona für die Coworking-Spaces aber: Während der Lockdowns musste Arbeit neu gedacht werden. Jetzt sind flexible Office-Lösungen immer mehr im Kommen – auch das Konzept Coworking wird immer beliebter. Im Mainstream ist der Ansatz jedoch noch nicht angekommen. Laut einer Studie des Informationsdienstes des Instituts der deutschen Wirtschaft erlauben bislang nur 11 Prozent der deutschen Unternehmen ihren Mitarbeitenden diese Form des mobiles Arbeitens. Homeoffice ist hingegen schon bei 70 Prozent der Unternehmen zumindest teilweise erlaubt.
Dabei ist Coworking besonders bei kleineren Unternehmen hilfreich. Mit einem Durchschnittspreis von 214 Euro pro Monat ist ein Office-Platz deutlich günstiger für aufstrebende Unternehmen, als sich selbst ein Büro anzumieten und es einzurichten. Über die Vernetzungen können jungen Startups mehr Wissen sammeln und sich so besser entwickeln.
Kollewe sieht die deutschen Coworking-Spaces in einer Konsolidierungsphase – besonders im ländlichen Bereich müssen die Betreiber jetzt auf Rentabilität achten. Der Absturz von Wework ist für ihn ein Einzelfall – in Deutschland sind Coworking-Spaces weiterhin sehr gefragt. Das Konzept sei jedoch erklärungswürdig. Jetzt gelte es, Coworking-Spaces in den Mainstream zu bringen.