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MIT Technology Review Analyse

Pünktlichkeit bei der Deutschen Bahn: Könnte eine Extra-Minute pro Halt alles verbessern?

Wenn der Zug ohnehin zuverlässig zu spät kommt – warum passt man den Fahrplan nicht einfach an und baut mehr Pausen ein? Die Idee klingt einfach, hat aber ihre Tücken.

4 Min.
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(Foto: aappp/Shutterstock)

Bei meinem letzten Italien-Urlaub ist mir aufgefallen: Meist halten die Züge in den Bahnhöfen länger als in Deutschland. Gleichzeitig sind sie pünktlicher. Ob da ein Zusammenhang besteht? Anders gefragt: Wäre es nicht auch hierzulande sinnvoll, bei jedem Halt eine kleine Zusatzpause einzulegen, um einen größeren Puffer für Verspätungen zu haben? Die fahrplanmäßige Reisezeit würde das nur minimal verlängern: Der ICE von Hamburg nach München hat beispielsweise acht Haltestellen. Eine Extra-Minute pro Halt würde die schnellste Verbindung also lediglich von 5:39 auf 5:47 Stunden verlängern. Das wäre mir eine gestiegene Pünktlichkeit wert.

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Doch wie realistisch sind solche Lowtech-Lösungen? „Der Hauptgrund für Verspätungen ist aktuell die zu alte und überlastete Infrastruktur“, antwortet mir ein Pressesprecher der Bahn. „Die knappen Kapazitäten an Bahnhöfen, insbesondere an Knotenpunkten des Eisenbahnnetzes, würden durch eine verlängerte Haltezeit von Zügen weiter verringert. Dies würde vermehrt zu Zugfolgekonflikten und weiteren Verspätungen führen.“

Zeitlicher Puffer im Fahrplan

Mag ja sein, aber ließen sich die Puffer dann nicht anderswo unterbringen? „In den Fahrplänen werden schon jetzt Fahrzeitzuschläge von 3 bis 7 Prozent eingebaut“, sagt Norman Weik, Professor für Planung und Betrieb von Schienenverkehrssystemen an der TU München. Dazu kommen weitere Zuschläge für Baustellen und besonders belastete Bahnhöfe. Im Schnitt lassen die Fahrpläne den Zügen 10 bis 15 Prozent mehr Zeit, als unter optimalen Bedingungen nötig wäre.

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Trotzdem ist der Fernverkehr so unpünktlich wie selten zuvor. Der Puffer scheint also nicht zu reichen. Ließe er sich nicht noch weiter erhöhen? „Das ist eine Abwägungssache“, sagt Weik. „Je mehr Zuschläge, desto weniger Wettbewerbsfähigkeit.“

Zudem gibt es eine ganze Reihe anderer Restriktionen: Züge sollen in jeder Stunde zur gleichen Zeit fahren, und die Anschlüsse müssen funktionieren. Gerade im engmaschigen deutschen Netz bleibt da wenig Spielraum. „In Italien ist das Netz eher auf Punkt-zu-Punkt-Verbindungen ausgerichtet, da funktioniert das besser“, so Weik. Außerdem fielen viele Verspätungen vor allem an bestimmten Knotenpunkten an, zum Beispiel bei der Einfahrt in den Kölner Hauptbahnhof. „Wenn die Züge pünktlich vor dem Knoten stehen und dann nicht weiterkommen, nutzen Zuschläge auf der Strecke nichts mehr.“

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„Wenn sie an einem Rädchen drehen, müssen sie oft den ganzen Fahrplan ändern.“

„Wo man genau solche Wartezeiten hinlegen sollte, ist eine große Forschungsfrage“, sagt Professor Nils Nießen, Leiter des Verkehrswissenschaftlichen Instituts der RWTH Aachen. „Wenn sie an einem Rädchen drehen, müssen sie oft den ganzen Fahrplan ändern.“ Bei Ersatzfahrplänen, etwa für die in Sanierung befindliche „Riedbahn“ zwischen Frankfurt und Mannheim, ist das einfacher. „Diese Ersatzfahrpläne sind sehr konservativ mit extrem viel Wartezeit und entsprechend längeren Reisezeiten“, sagt Nießen. „Dafür sind sie aber auch meist pünktlich.“

Im Rahmen des geplanten Deutschlandtakts sollen die Verbindungen noch stärker miteinander verzahnt werden. Das macht die Sache nicht leichter. „Manche Verbindung muss man dazu beschleunigen, bei anderen ließen sich noch mehr Reservezeiten aufbauen“, sagt Nießen. „Das geht in beide Richtungen.“

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KI im Einsatz bei der Stuttgarter S-Bahn

Inwieweit kann Künstliche Intelligenz dabei helfen? Bereits im Einsatz ist ein KI-System bei der Stuttgarter S-Bahn. Es dient vor allem dazu, einmal aufgetretene Störungen nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. „Wenn eine Schulklasse länger zum Einsteigen braucht, der Zug verspätet weiterfährt und zeitgleich mit einem anderen Zug einen eingleisigen Abschnitt erreicht, dann berechnet die KI in Sekundenbruchteilen, welcher Zug den Abschnitt zuerst befahren sollte“, heißt es auf der Bahn-Webseite. „Immer unter der Maßgabe der geringsten Auswirkungen auf die Pünktlichkeit. Die Disponent:innen können wie in einer Art Videoclip in eine mögliche Zukunft vorspulen und sich ansehen, wie sich die Empfehlungen auf den Verkehr auswirken, bevor sie sich entscheiden.“ Auch im Rhein-Main-Verbund und in München ist das Tool schon im Einsatz. „Bei einfachen Systemen wie S-Bahn-Netzen funktioniert das schon gut“, sagt Weik. „Für das gesamte deutsche Netz ist so etwas aber noch eine Sache der Forschung.“

„KI ist Balsam für die Seele und kann die Lage vielleicht etwas besser machen“, meint Nießen. „Aber Züge fahren über reale Gleise. Der Verkehr ist gewachsen, das Netz aber nicht. Selbst bei guter Infrastruktur steigen die Verspätungen ab einem gewissen Verkehr exponentiell an. Wir haben aber ein altes Netz, an dem auch noch viel gebaut wird. Da muss es zu Verspätungen kommen.“ Niedrig hängende Früchte, die Pünktlichkeit zu verbessern, sieht er keine mehr. „Ehrlicherweise müsste man Züge wieder herausnehmen, leider.“

Die Bahn für die Langstrecke

Weik kann der Sache auch etwas Positives abgewinnen: Die Überlastung sei auch ein Zeichen für den Erfolg der Bahn. „Auf der Langstrecke ist die Bahn heute das dominierende Verkehrsmittel. Das war vor ein paar Jahrzehnten so noch nicht abzusehen. Und die Münchener U-Bahn etwa wurde auf der Stammstrecke für 250.000 Menschen täglich designed. Heute sind es bis zu 800.000.“

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Auch Nießen sieht es positiv, dass so viele Leute Zug fahren wollen – und die Bahn einen großen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Er sieht aber das Risiko, dass die Stimmung irgendwann kippt – „dass die Leute sagen, wir haben da so viel Geld reingesteckt, und es wird nicht besser, und dass der Geduldsfaden dann irgendwann reißt“.

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