Die E-Mail ist noch lange nicht tot
Doch die Deutschen hängen an der klassischen elektronischen Kommunikation, wie eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage des Marktforschungsdienstleiser Toluna im Auftrag des Wall Street Journal Deutschland zeigt. Demnach glauben mehr als 82 Prozent der 1.000 Befragten, dass die E-Mail kein Auslaufmodell ist. Für mehr als 65 Prozent der Befragten ist die elektronische Post am Arbeitsplatz sogar unverzichtbar. Sie können sich nicht vorstellen, darauf zu verzichten.
So weit wie Atos geht bislang kein großes anderes Unternehmen. Doch zumindest versuchen Firmen hierzulande häufig der E-Mail-Flut Grenzen zu setzen: Instant Messenger sollen die direkte Kommunikation im Chat ermöglichen, unternehmensinterne soziale Netzwerke und Wikis dienen der Gruppendiskussion und zur Speicherung von Informationen, die immer wieder benötigt werden. Softwarelösungen wie Microsofts Yammer oder Chatter von Salesforce bringen das Facebook-Prinzip in Firmen.
Deutsche lehnen E-Mail-Verbot nach Feierabend ab
Bei Volkswagen hat der Betriebsrat einen E-Mail-Stopp nach Feierabend durchgesetzt – um der totalen Erreichbarkeit auch außerhalb der Arbeitszeiten einen Riegel vorzuschieben. Die befragten Deutschen sahen auch solche Maßnahmen eher kritisch: Nur 36 Prozent stimmten der Aussage zu, dass Firmen ihren Mitarbeitern verbieten sollten, außerhalb der Arbeitszeit E-Mails zu empfangen – rund 63 Prozent waren dagegen.
Die E-Mail steht bei den Deutschen auch im Vergleich zu Alternativen noch immer hoch im Kurs. Der Aussage, dass es inzwischen bessere Möglichkeiten gibt, bei der Arbeit zu kommunizieren – beispielsweise über sogenannte Firmen-Facebooks – stimmen nur rund 28 Prozent der Befragten zu – 72 Prozent halten der E-Mail die Treue. Immerhin rund 27 Prozent gaben an, dass in ihrer Firma bereits E-Mail-Alternativen wie Instant Messenger oder interne Online-Netzwerke eingesetzt werden.
Experten preisen Alternativen zur E-Mail
Kommunikationsexperten sind sich dagegen weitgehend einig, dass die E-Mail zwar ihre Berechtigung hat – in vielen Fällen aber andere Wege der Kommunikation sinnvoller sind. Wolfgang Hünnekens, Professor für Digitale Kommunikation in Berlin und Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft iDeers Consulting, ist trotz der Umfrage überzeugt, dass die Kommunikation per E-Mail innerhalb großer Unternehmen zu unflexibel sei und in der nächsten Zeit durch neue Plattformen ersetzt wird.
Auch für Christian Klöppel, Leiter des Mobile Business Center of Excellence bei der Beratungsgesellschaft CSC, ist die Ablehnung der Deutschen vor allem eine „Kopfsache“. „Wir sehen aus technischen Gründen eine ganze Reihe von Faktoren, die deutlich dafür sprechen, in vielen Fällen von der E-Mail Abstand zu nehmen und neue kollaborative Tools zu nutzen“, sagte der Berater. Klöppel sieht eine Reihe von Problemen damit verbunden, wie E-Mails heute genutzt werden: „Da gibt es ein riesiges Aufkommen von Spam, teilweise werden E-Mails sehr unüberlegt verschickt.“ Ein weiteres Problem sei die Redundanz der E-Mail-Kommunikation. Ein klassisches Beispiel ist das per E-Mail an einen großen Verteiler verschickte Word-Dokument, bei dem jeder Änderungen einfügt und so großes Chaos entsteht. Ebenso entstehe unnötiger Datenverkehr, weil E-Mails heute häufig im Volltext zitiert werden. Hier erzeugen Direktnachrichten deutlich weniger unnütze Daten – der sogenannte „Overhead“.
Deutsche sehen auch Probleme in der E-Mail-Kommunikation
Tatsächlich sehen die Deutschen durchaus Probleme mit der E-Mail, wenn man sie direkt darauf anspricht. So stimmten mehr als 61 Prozent der Aussage zu, dass sie es persönlich vorteilhaft finden, wenn die „Dokumente in Netzwerken von Teams gemeinsam bearbeitet werden können, ohne dass ständig E-Mails hin- und hergeschickt werden müssen.“
Doch nur eine Minderheit von rund 35 Prozent fühlt sich durch E-Mails von der eigentlichen Arbeit abgehalten. Allerdings zeigt sich hier, dass mit dem monatlichen Einkommen die Zustimmungsquote zu dieser Frage anwächst. Besonders interessant ist, dass das generelle Festhalten an der E-Mail auch für die jüngeren Befragten gilt – also diejenige Generation, die Facebook und Instant Messenger privat deutlich häufiger nutzt als der Rest der Bevölkerung.
„Mit E-Mails wird nicht nur Geld, sondern vor allem Zeit durch das in CC-Setzen ganzer Abteilungen oder langwierige Abstimmungsprozesse wie etwa zur Terminfindung bei großen Projekten vergeudet“, sagt der Kommunikationsexperte Hünnekens. Interne Unternehmenskommunikation würde deshalb in naher Zukunft immer weniger per E-Mail stattfinden. Der Professor geht davon aus, dass die Akzeptanz der Mitarbeiter zu E-Mail-Alternativen mit der Einführung solcher Plattformen steigen wird. „Das ist ähnlich wie mit dem iPhone: Zuerst hat keiner gedacht, dass die Nutzer diese Form des Telefons so stark nutzen, heute ist es Standard. Das Bessere ist der Feind des Guten“, führt Hünnekens aus.
„Das Volumen an E-Mails wird zurückgehen“
Einig sind sich die Experten darin, dass die E-Mail auch in Zukunft noch eine Rolle in Unternehmen spielen wird – aber viel fokussierter eingesetzt. Die größte Herausforderung sieht CSC-Berater Klöppel in der Brücke zwischen der internen Unternehmenskommunikation und der Kommunikation mit dem Rest der Welt – die E-Mail ist hier ein etablierter Standard, bei neuartiger kollaborativer Software wie „Firmen-Facebooks“ und Direktnachrichten gibt es dagegen einen Wildwuchs an Lösungen.
Auch Robin Prothmann, Partner beim Strategieberater SMP und dort Experte für IT-Organisation, glaubt nicht an das bevorstehende Ende der E-Mail – aber, dass das Volumen der E-Mail-Kommunikation irgendwann wieder zurückgehen wird. „Wenn man zurückblickt, wurde Unternehmenskommunikation irgendwann einmal sämtlich über Telefon und Brief abgewickelt. Das Volumen an Briefen ist zurückgegangen – es gibt aber nach wie vor Briefe. Ich tippe, dass auch das Volumen an E-Mails irgendwann einmal wieder zurückgehen wird“.
E-Mails für die offizielle Kommunikation
Prothmann sieht hier die E-Mail zukünftig vor allem noch als Medium für Kommunikation mit offiziellem Charakter, während der schnelle Informationsaustausch eher über andere Kanäle laufen wird. Auch Unternehmen, die die Abschaffung der E-Mail verkündet haben, hätten diese nicht wirklich abgeschafft, sondern strebten lediglich an, die E-Mail in der internen Kommunikation durch andere Werkzeuge zu ersetzen. „Messenger und diese Kommunikationsplattformen haben den Vorteil, dass sie noch näher an einem Gespräch dran sind“, sagt Prothmann. Ein weiterer Vorteil sei die einfache Organisation von Gruppendiskussionen.
Immerhin eine knappe Mehrheit stimmte in der bevölkerungsrepräsentativen Toluna-Umfrage der Aussage zu, dass berufliche Netzwerke wie „Firmen-Facebooks“ es ermöglichen, sich mit Menschen im Unternehmen zu vernetzen, die man sonst nie kennenlernen würde. Doch rund 36 Prozent gaben auch an, dass sie grundsätzlich nichts von unternehmensinternen Netzwerken halten – für 63 Prozent trifft das nicht zu.
Christian Klöppel von CSC vermutet vor allem die Angst vor mehr Eigenverantwortung als Haupttreiber der Ablehnung von E-Mail-Alternativen. „Wenn ich heute als E-Mail-Nutzer morgens in mein Postfach sehe, gehe ich davon aus, dass jeder, der etwas von mir will, mir eine E-Mail hinterlassen hat – die kann ich von oben nach unten einfach abarbeiten. Wenn man sich anschaut, wie solche neuen Tools arbeiten, muss der Nutzer eher aktiv darauf zugehen.“
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Von Stephan Dörner
Ursprünglich publiziert bei wsj.de