Am Ende will es niemand gewesen sein

In unserem wöchentlichen Sampler-Briefing für t3n-Pros geht es heute um misslungene Positionspapiere, Selbstkritik, Verantwortung und was wir daraus lernen sollten. Stellt ihr euch auch öfter mal in einer ruhigeren Minute die Frage, was eigentlich so das Dümmste war, das ihr im Lauf der Woche gelesen habt? Ok, zumeist keine einfache Entscheidung, selbst wenn man Kommentare auf diversen Social-Media-Plattformen nicht berücksichtigt. In dieser Woche gibt es hingegen einen echten Top-Kandidaten auf den Facepalm-of-the-week-Award: das sogenannte „Positionspapier zum Thema Börsengänge Deutscher Startups“. Verbrochen hat das Ding der Beirat Junge Digitale Wirtschaft (wer genau dort, ist irgendwie ungewiss, dazu aber später mehr). Dabei handelt es sich um ein eigentlich sehr prominent mit Menschen aus der Gründerszene besetztes Gremium, das Wirtschaftsminister Peter Altmaier berät oder besser: beraten soll. So wirklich interessiert scheint der Herr Wirtschaftsminister allerdings nicht an dem zu sein, was die Junge Digitale Wirtschaft ihm zu sagen hat. Anders ist nur schwer zu erklären, dass besagtes Papier monatelang unbeachtet auf einem Ministeriumsserver rumdümpelte, bis lobenswerterweise ein Reportertrio des Handelsblatts das Ding ausgegraben hat. Was dabei zum Vorschein kam, ist, nun ja, sehr irritierend. Der Beirat beklagt den schwächelnden IPO-Markt und hat auch schnell einen Hauptschuldigen ausgemacht: die bösen Medien. Die schreiben nämlich die Startups und überhaupt die ganze New Economy schlecht. Deshalb klappt es auch an der Börse nicht. Darum, ist ja ganz klar, muss das ungehörige Presse-Gesindel via Gesetz auf Linie gebracht werden, finden die Verfasser:innen. Sie haben dabei tolle Ideen, deren Ursprung man eher in ungarischen oder chinesischen Regierungsstuben vermuten würde. Die Medien sollen nämlich nicht nur verpflichtet werden, freundlich zu berichten. Sie sollen auch verpflichtet werden, über alles zu berichten, was auf dem IPO-Markt so kreucht und fleucht. Kann man so schreiben, ist dann halt aber ziemlich doof. Dies ist nur kurz nach dem Handelsblatt-Artikel auch den meisten Beteiligten irgendwie aufgefallen. Es begann ein Rückrudern von geradezu olympischer Qualität. Der Wirtschaftsminister, der sich monatelang nicht für das Papier auf der Ministeriumsseite interessiert hatte, ließ den Beitrag, begleitet von salbungsvollen Worten via Twitter, im digitalen Nirvana verschwinden. Die namentlich genannten (vermeintlichen) Autoren aus dem Beirat, also Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer, Christoph Gerlinger von der German Startups Group und Alex von Frankenberg, Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds, versuchten sich wie Gerlinger in Erklärungen, warum alles nicht so gemeint war. Die beste Figur machte dabei, zumindest im Nachhinein, Lea-Sophie Cramer, mit einem anerkennenswert offenem Post auf Linkedin, ähnlich übrigens auch Alex von Frankenberg. Bei Cramer heißt es zum Beispiel: „Das nicht abgestimmte Papier vertritt Einzelpositionen und Formulierungen, die in keinster Weise meine eigenen beziehungsweise die Positionen des Beirats ‚Junge Digitale Wirtschaft‘ reflektieren oder die der Startup-Szene. Im Gegenteil, hier sind Einzelne in einer Form über das Ziel hinausgeschossen, die inakzeptabel ist. Es ist völlig klar: Uneingeschränkte Pressefreiheit ist unser höchstes Gut. Unabhängiger Journalismus gehört zu den Grundpfeilern unserer Gesellschaft und der freien Wirtschaft, in der Startups und Gründer wachsen und arbeiten wollen. Mit Blick auf meine eigene Zeit als Gründerin und Unternehmerin hat mich der Austausch mit informierten Journalisten immer angespornt, meine Arbeit, Ideen und Pläne weiterzuentwickeln. Konstruktive Kritik macht stärker, nie schwächer und ist deshalb essenziell, um weiterzukommen.Es ist mir aber auch wichtig, in dieser Sache persönlich Verantwortung zu übernehmen. Ich habe an der letzten Sitzung des Beirats nicht teilnehmen können und habe mich in die Entwicklung der veröffentlichten Version des Papiers nicht weiter eingebracht. Ein solches Versäumnis darf bei derartig wichtigen Themen, unter denen am Ende mein Name steht, nicht vorkommen. Ich hätte stärker überprüfen müssen, welche Inhalte publiziert werden. Das tut mir aufrichtig leid.“ Ok. Die wesentlichen Punkte sind angesprochen. Zusammengefasst: Forderungen nach einer Zwangsjacke für die Medien sind in jeder Hinsicht schlichtweg gefährlich. Dies gilt ebenso für die Veröffentlichung von Papieren, deren Inhalt die namentlich Zeichnenden offenbar nicht so genau kennen. Es gilt auch für Minister, die Gremien ins Leben rufen, sich dann aber für deren Arbeit nicht wirklich interessieren. Wichtig wäre allerdings auch, dass sich die Damen und Herren der Szene ein wenig in Sachen Selbstkritik üben. Nicht zuletzt, weil eine Frage bisher mehr oder weniger unbeantwortet ist: Wer hat das missglückte Papier denn eigentlich verfasst? Bisher wissen wir gesichert nur, wer nichts mehr damit zu tun haben will. Es darf aber angenommen werden, dass es sich nicht um automatisiert erstellten Text handelt. Es gibt also Diskussionsbedarf und an einigen Stellen auch Lernbedarf im Beirat Junge Digitale Wirtschaft. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse.