Hassobjekt Sprachnachrichten: Sie doof zu finden ist das aktuelle „die Jugend von heute“
Wisst ihr noch? Als in den frühen 90er Jahren die Nase gerümpft wurde über Leute, die ein Mobiltelefon besaßen? Wie sie als Wichtigtuer galten und mobiles Telefonieren zu eher unfreundlichen wie witzlosen Rückschlüssen auf die Penisgröße führte? Und wie dann fast über Nacht alle ein Handy hatten, als sie einfach erschwinglich genug wurden? Das ist ein Schema, das sich regelmäßig wiederholt. Telefonate? Viel zu unpersönlich. Internet? Da sind doch nur pickelige Kellerkinder unterwegs. Blogs? Sind die Klowände des Internet. Twitter? Auch Klowände, aber (damals) mit nur 140 Zeichen. Youtube? Schminkvideos. Facebook? Sind doch gar keine richtigen Freundschaften.
Es ist das ewig gleiche Spiel, vor dem keine technische Neuerung sicher ist. Derzeit befinden wir uns auf dem Peak der Smartphone-Kritik. Das Feuilleton empfiehlt Digital Detox und die ressentimentvollen Bücher eines Manfred Spitzer verkaufen sich wie geschnitten Brot. Doch jetzt, wo selbst in jeder Seniorenresidenz per Whatsapp gechattet wird, taucht ein neuer Star am Horizont der Technikfeindlichkeit auf: das Jammern über Sprachnachrichten. Immer mehr Kommentatoren schreiben empörte Rants darüber, wie sehr sie doch davon genervt sind – und die Aufmerksamkeit des Publikums ist ihnen sicher.
Die Jugend von heute
Wahlweise werden Sprachnachrichten abgelehnt, weil es nervig sei, sie abzuhören, oder weil es umständlich sei, sie zu erstellen. Warum überhaupt Sprachnachrichten nutzen, wo man doch gleich telefonieren könne, wird gefragt. Taucht man jedoch tiefer ein in die bunte Welt der Sprachnachrichtenkritik, wird schnell klar, dass es doch wieder nur darum geht, andere Menschen doof zu finden.
So will ausgerechnet eine Huffington-Post-Autorin in einem Rant auf Chip.de ihren Mitmenschen die Smartphones am liebsten „aus der Hand reißen“. Und das nur, weil die sich erdreisten, von unten ins Telefon zu sprechen, statt es ans Ohr zu halten, wie es sich für ein Telefon nunmal gehört. Und natürlich ist das öffentlichkeitswirksame Genervtsein von Sprachnachrichten die tausendste Aufführung des Dramas „Die Jugend von heute“. Denn die Teenager verlernen dadurch das Lesen und Schreiben, wozu sie aber ohnehin zu faul seien. Kein Zweifel: Sprachnachrichten sind das neue Hassobjekt.
Privatleben in der Öffentlichkeit
Natürlich ist sachliche Kritik an Sprachnachrichten wichtig und sinnvoll – wie Kritik an jeder anderen Technik auch. Doch es kommt auf die Situation an, ob eine solche Nachricht den Ton trifft oder eben völlig unpassend ist. Wer Sprachnachrichten versendet, sollte sich bewusst sein, dass die Empfänger sie vielleicht gerade nicht abhören können oder wollen, und sich fragen, ob die Botschaft nicht in einer Textmessage oder E-Mail besser aufgehoben wäre. Und natürlich sollte man sich vor dem Einsprechen einer Sprachnachricht fragen, ob es nötig ist, das halbe Bahnabteil am eigenen Privatleben teilhaben zu lassen.
Doch derlei Diskussion hatten wir genauso schon vor 20 Jahren beim Thema „Telefonieren in der Öffentlichkeit“. Dass bestimmte Verhaltensweisen unangemessen oder gar unhöflich sind, ist absolut nichts neues und unterliegt Moden. So galt es noch in den 1980er Jahren als äußerst rücksichtslos, jemanden zwischen 20 und 20.15 Uhr anzurufen – weil da im linearen Fernsehen die Tagesschau lief, die nicht zeitversetzt in einer Mediathek angeschaut werden konnte.
Sinnvolle Use-Cases
Tatsächlich können Sprachnachrichten sinnvoll sein. Alten Menschen macht es oft Mühe, auf Smartphones zu tippen. Manchmal ist es einfach schöner und persönlicher, nicht nur den nackten Text zu erhalten, sondern die Stimme einer Person zu hören, mit all ihren Betonungen und Nuancen. Und manchmal ist es ganz einfach praktisch, zu sprechen, weil man die Hände nicht frei hat. Oder weil sich eine Sprachnachricht auch unterwegs abhören lässt, ohne dass man die ganze Zeit auf ein Display schauen müsste. Und nein, man kann nicht stattdessen einfach telefonieren. Wenn man gerade könnte, würde man ja.
Es scheint also sinnvolle Use-Cases für Sprachnachrichten zu geben. Darüber, wann sie benutzt werden sollten und wann nicht, wird es genauso zu gesellschaftlichen Konventionen kommen wie bei allen anderen Kommunikationsmedien auch. Und natürlich ist niemand gezwungen, Sprachnachrichten zu mögen und zu nutzen. Gibt schließlich genug andere Möglichkeiten und die ersten Anbieter haben auch schon Funktionen, die es Abhörmuffeln erlauben, eingehende Sprachnachrichten in Text zu übersetzen.
Alle hassen Sprachnachrichten
Es gäbe also hinreichend Grund, wenigstens dieses eine Mal gelassen zu bleiben und nicht in die allgemeine, immer gleiche Dooffinderei einzustimmen. Eher erschreckend finde ich, wie emotional meine sonst sehr technik-affine Bubble auf das Thema reagiert. Starte ich einen Testballon zu dem Thema auf Twitter oder Facebook, erhalte ich innerhalb kürzester Zeit eine handliche Sammlung aller wichtigen Argumente der letzten 100 Jahre Technikablehnung. Und am Rande lernt man, dass es immer noch Menschen gibt, die die Existenz von Anrufbeantwortern nicht abschließend verarbeitet haben.
Bleibt also nur, sich ins Unvermeidliche zu fügen und einer Welle allgemeinen Sprachnachrichten-Bashings entgegenzusehen. Und weil übermäßiges Jammern über solche Debatten genauso sinnlos ist wie das Jammern über Sprachnachrichten selbst, besorge ich mir schonmal einen Vorrat an Popcorn und freue mich auf das erste Anti-Sprachnachrichten-Buch von Manfred Spitzer.
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Ich kann Sprachnachrichten absolut nicht leiden, aber nicht weil es „faul“ oder „dumm“ ist. Es ist einfach höchst unpraktisch in einer erwachsenen Gesellschaft ständig Stöpsel im Ohr zu haben um Schreibfaule-Nachrichten zu hören in denen Leute „Okay“ oder „danke“ sagen. Zudem sind Sprachnachrichten (noch) nicht für die Allgemeinheit durchsuchbar und verbrauchen weitaus mehr Speicherplatz bzw. Datenvolumen als einfache Textnachrichten.
Noch schlimmer ist das dumme Gelaber um die eigentliche Nachricht herum, welches einige an den Tag legen. Die obersten Grundsätze der Fernmelder (So umfassend wie nötig, so kurz wie möglich & Vor dem Mundwerk ist das Hirn einzuschalten) werden mit der Funktion der Sprachnachricht in Textübertragungsprogrammen ad absurdum geführt.
Sprachnachrichten können entweder extrem nervtötend und lästig (bis hin zu peinlich) sein, oder sie können sehr nützlich sein. Wenn ich z.B. nach Feierabend im Auto auf der Fahrt nach Hause die eingetrudelten Sprachnachrichten abhöre, dann ist das durch Nichts zu ersetzen. Während der Fahrt habe ich keine Möglichkeit zum Lesen.
Andererseits, wenn ich mitten in einer Besprechung bin und ständig neue Spachnachrichten stören, dann ist das schon peinlich. Wichtig ist also das Feature, manuell einzuschalten, _wann_ ich die Sprachnachrichten abhören will. Am Besten wäre noch mit der Option, gleich eine Sprachantwort zu schicken. Ständig ungefragt mit Sprachnachrichten bombardiert zu werden, ist hingegen ein No-Go. Und sobald Sprachnachrichten mit Werbemüll zugemüllt sein werden (was irgendwann unweigerlich kommen wird), wird es entweder Zeit für gute Filter, oder für die Abschaffung von Sprachnachrichten.
Tja, weiß nicht, irgenwie hat der Chip-Artikel doch genau den Punkt getroffen. Der t3n Kommentar geht darauf gar nicht ein, sondern unterstellt einfach „zu alt(modisch) zu sein“.
Für mich überwiegen die Nachteile der Sprachnachrichten deutlich die wenigen Vorteile. Und wie der Autor ja selbst erkennt, sind SN auch fast immer mit Verhalten verbunden, die Menschen im Umfeld beeinträchtigt.