Impfung gegen Krebs: Wie erfolgversprechend neueste Studien sind

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Ende April haben die Pharmaunternehmen Moderna und Merck Sharp and Dohme im Vereinigten Königreich eine große klinische Phase‑3-Studie mit einer vielversprechenden neuen Krebstherapie gestartet. Es handelt sich um einen personalisierten mRNA-Impfstoff, der auf eine individuelle Gruppe von Mutationen im Tumor der Patient:innen abzielt. Behandelt werden Patient:innen mit Melanomen. Die beiden Unternehmen haben aber auch eine Phase‑3-Studie mit einem mRNA-Impfstoff gegen Lungenkrebs gestartet. Anfang Mai haben zudem Biontech und Genentech vielversprechende Phase‑1-Ergebnisse ihres gemeinsam entwickelten personalisierten mRNA-Impfstoffes gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs bekannt gegeben, dessen Überlebensrate notorisch schlecht ist.
Medikamentenentwickler:innen arbeiten seit Jahrzehnten an Impfstoffen, die das körpereigene Immunsystem bei der Krebsbekämpfung unterstützen sollen. Bisher hatten sie keinen großen Erfolg. Jetzt aber deuten vielversprechende Ergebnisse des letzten Jahres darauf hin, dass die Strategie an einem Wendepunkt angelangt sein könnte.
Die Welt lernte mRNA-Impfstoffe bei der Bekämpfung von Covid kennen, die nur so schnell entwickelt werden konnten, weil Unternehmen bereits seit Jahrzehnten an derselben Technologie zur Krebsbekämpfung geforscht hatten. Biontech lieferte seine ersten mRNA-Impfstoffe vor fast zehn Jahren an Patient:innen mit behandlungsresistentem Melanom aus. Doch als die Pandemie ausbrach, wurde die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen mit enormer Geschwindigkeit vorangetrieben. Inzwischen laufen Dutzende Studien, um zu testen, ob diese Impfungen die Krebsbekämpfung so verändern können, wie sie es bei Covid getan haben.
Krebszellen sichtbar machen
Der Zweck eines Krebsimpfstoffs besteht darin, das Immunsystem darauf zu trainieren, bösartige Zellen besser zu erkennen, damit es die Zellen zerstören kann. Das Immunsystem ist nämlich nur dann in der Lage, Krebszellen zu beseitigen, wenn es sie finden kann. Aber Tumore sind tückisch und können sich mithilfe vieler Tricks vor unserer Immunabwehr verstecken. Dann sehen Krebszellen wie gesunde Zellen aus.
Es gibt jedoch Unterschiede zwischen Krebszellen und gesunden Zellen. Krebszellen besitzen Mutationen, die ihnen dabei helfen, zu wachsen und zu überleben. Einige dieser Mutationen führen zu Proteinen, die auf ihrer Oberfläche sitzen – sogenannte Neoantigene.
Personalisierte Krebsimpfstoffe, wie sie Moderna und Biontech entwickeln, sind auf den jeweiligen Krebs des:der Patient:in zugeschnitten. Die Forscher:innen sammeln ein Stück des Tumors des:der Patient:in und eine Probe gesunder Zellen. Sie sequenzieren diese beiden Proben und vergleichen sie, um die für den Tumor spezifischen Mutationen zu identifizieren. Diese Mutationen werden dann in einen KI-Algorithmus eingespeist, der die Mutationen auswählt, die am ehesten eine Immunreaktion auslösen. Zusammen bilden diese Neoantigene eine Art Phantombild des Tumors, ein grobes Bild, das dem Immunsystem hilft, Krebszellen zu erkennen.
„Viele Immuntherapien stimulieren die Immunantwort nur unspezifisch, also nicht direkt gegen den Krebs“, sagte Patrick Ott, Direktor des Zentrums für personalisierte Krebsimpfstoffe am Dana-Farber Cancer Institute, 2022 in einem Interview mit dem National Cancer Institute der US-Gesundheitsbehörde NIH. „Personalisierte Krebsimpfstoffe können die Immunantwort genau dorthin lenken, wo sie benötigt wird.“
Wie viele Neoantigene braucht man nun aber für ein Phantombild? „Wir wissen nicht wirklich, was die magische Zahl ist“, sagt Michelle Brown, Vizepräsidentin für individualisierte Neoantigen-Therapie bei Moderna. Der Impfstoff von Moderna hat 34. „Es kommt darauf an, was wir in den mRNA-Strang einbauen können, und es gibt uns mehrere Chancen, um sicherzustellen, dass das Immunsystem auf die richtige Weise stimuliert wird“, sagt sie. Biontech verwendet 20.
Die Neoantigene werden auf einen mRNA-Strang aufgebracht und dem:der Patient:in injiziert. Anschließend werden sie von den Zellen aufgenommen und in Proteine übersetzt. Diese Proteine werden auf der Zelloberfläche exprimiert und lösen eine Immunreaktion aus.
Angekurbelte Immunantworten
Tatsächlich stimmen die jüngsten Ergebnisse Expert:innen vorsichtig optimistisch. Bereits im Dezember hatten Merck und Moderna die Ergebnisse einer früheren Studie mit 150 Melanom-Patient:innen bekannt gegeben, deren Krebs operativ entfernt worden war. Die Ärzt:innen verabreichten ihnen über einen Zeitraum von etwa sechs Monaten neun Dosen des Impfstoffs sowie einen sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitor. Immuncheckpoints sind Rezeptoren auf der Oberfläche von T‑Zellen genannten Immunzellen. Substanzen, die dauerhaft an diese Rezeptoren binden und sie damit hemmen, sollen die Immunantwort gegen Krebs ankurbeln. Nach einer Nachbeobachtungszeit von drei Jahren hatte die Kombitherapie das Risiko eines Wiederauftretens oder des Todes im Vergleich zu einer reinen Checkpoint-Inhibitor-Therapie um fast die Hälfte gesenkt.
Die neuen Ergebnisse, die Biontech und Genentech aus einer kleinen Studie mit 16 Bauchspeicheldrüsenkrebs-Patient:innen gemeldet haben, sind ebenso aufregend. Nach der operativen Entfernung des Krebses erhielten die Teilnehmer:innen eine Immuntherapie, gefolgt von dem Krebsimpfstoff und einer Standardchemotherapie. Acht von ihnen sprachen auf den Impfstoff an, und bei sechs dieser Patient:innen war der Krebs auch drei Jahre nach der Behandlung noch nicht zurückgekehrt. Die übrigen zwei Patient:innen hatten einen Rückfall erlitten.
Von den acht Teilnehmern, die leider nicht auf den Impfstoff ansprachen, hatten sieben einen Rückfall erlitten. Die Therapie hatte bei einigen dieser Patient:innen aber möglicherweise deshalb nicht angeschlagen, weil ihre Milz im Rahmen der Krebsbehandlung entfernt worden war. Das Organ spielt eine wichtige Rolle für das Immunsystem.
Hoffnung bei verschiedenen Krebsarten
Es besteht die Hoffnung, dass die Strategie bei vielen verschiedenen Krebsarten funktioniert. Neben Bauchspeicheldrüsenkrebs wird Biontechs personalisierter Impfstoff auch bei Darmkrebs, Melanomen und metastasierenden Krebsarten getestet.
Die mRNA ist dabei nicht die einzige Möglichkeit, dem Immunsystem beizubringen, Neoantigene zu erkennen. Forscher:innen bringen auch ihre DNA-Baupläne oder direkt die Peptide mithilfe von Immunzellen oder viralen Vektoren ein. Viele Unternehmen arbeiten zudem an Krebsimpfstoffen „von der Stange“, die nicht personalisiert sind, was Zeit und Kosten sparen würde. Von den etwa 400 laufenden klinischen Studien, in denen im letzten Herbst Krebsimpfstoffe untersucht wurden, handelte es sich bei etwa 50 um personalisierte Impfstoffe.
Es gibt keine Garantie dafür, dass eine dieser Strategien erfolgreich sein wird. Selbst wenn sie es ist, bedeutet ein Erfolg bei einer bestimmten Krebsart nicht automatisch einen Erfolg bei allen. Viele Krebstherapien waren anfangs sehr vielversprechend, scheiterten dann aber, als sie in große klinische Studien aufgenommen wurden. Das wiedererwachte Interesse an Krebsimpfstoffen und die damit verbundenen Aktivitäten sind trotzdem ermutigend. Personalisierte Impfstoffe könnten erfolgreich sein, wo andere versagt haben.