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Käse ohne Kuh: Wie Startups Milchprodukte künstlich erzeugen

Startups wollen den Markt der veganen Käsealternativen erobern – mit bio-technisch erzeugten Milchproteinen.

Von Veronika Szentpétery-Kessler
7 Min.
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Die Proteine für ein naturgetreues Käsearoma sollen bei Better Dairy künftig von Hefepilzen hergestellt werden. Die Vision: eine Käseplatte, bunt gemischt aus verschiedenen Sorten, die alle schmecken wie das Original aus Kuhmilch. Foto: Better Dairy

Die appetitlich aussehenden, gelb-orangefarbenen Scheiben schmecken mild für einen Cheddar aus Großbritannien. Sie erinnern eher an einen jungen Red Leicester, einen farblich ähnlichen Hartkäse. Überhaupt nicht herauszuschmecken ist allerdings, dass die Kostproben keine tierischen Fette wie Cholesterin enthalten, sondern ein Pflanzenfett, und statt Laktose, also Milchzucker, Zucker aus Pflanzen. Auch die Textur beim Kauen und wie der Käse bricht, sind ganz nah beim Vorbild. Nur die Eiweiße stammen derzeit noch aus Kuhmilch.

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Vier Monate beziehungsweise drei Wochen sind die Kostproben gereift, die Bernd Gerhartz – ein eher ruhiger Typ in Poloshirt, Jeans und Sportschuhen – mit herzhaften Crackern auf einem rustikalen Holzbrett reicht. Gerhartz ist wissenschaftlicher Leiter beim Londoner Biotech-Startup Better Dairy und beantwortet meine Fragen im offenen Küchenbereich zwischen Büros und Laboren, die das Startup im ersten Stock eines modernen Backstein-Bürogebäudes bewohnt. Es liegt im ehemaligen, vielerorts noch mit Graffiti übersäten Industrieviertel Hackney Wick.

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 1/2024 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr das Heft als pdf-Ausgabe bestellen.

Mit seinem Cheddar-ähnlichen Prototyp folgt das 2020 gegründete Startup einem Trend. Zum einen steigt der Käsekonsum weltweit. Allein jeder Deutsche isst laut einer Statistik von 2022 jeden Monat gut zwei Kilo Käse. Zugleich möchten sich immer mehr Menschen teilweise oder komplett vegan ernähren, um zum Tier- und Klimaschutz beizutragen. Der Verzicht auf Käse ist dabei für viele die größte Hürde. Denn nur wenige der bisher üblichen Ersatzprodukte auf Kokosöl-, Nuss- oder Mandelpasten-Basis schmecken laut Gerhartz wirklich wie ein Hart-, Schimmel- oder Frischkäse. Manche vegane Cheddarsorten haben gar einen fettigen Buttergeschmack oder sehen plastikähnlich aus. Zudem handelt es sich oft um hoch verarbeitete Lebensmittel, die sich dem Geschmack und der Konsistenz von Käse nur durch Zusätze wie modifizierte Stärke, Verdickungsmittel und künstliche Aromen nähern können. Auch Bambusfasern werden mitunter als strukturgebende Komponente zugegeben.

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Vier Kaseine fürs Aroma

Die Cheddar-Produktion läuft bei Better Dairy im Wesentlichen in zwei Schritten ab: Zunächst werden Pflanzenfette und -zucker, Mineralstoffe, Phosphate, Vitamine, Proteine und Wasser zu einer milchähnlichen Flüssigkeit gemischt und anschließend auf klassischem Weg mithilfe geeigneter Bakterienkulturen zu Käse weiterverarbeitet. Dabei sollen künftig auch alle vier Kaseine, wie Fachleute die käsebildenden Milcheiweiße nennen, vegan erzeugt werden. „Da diese Kaseine identisch mit denen aus Kuhmilch sein werden, sollte der Austausch später relativ glattgehen“, erwartet Gerhartz. Better Dairy sei eines der wenigen Unternehmen, das alle vier Kaseine herstellen will. Denn nur dann entstehe bei der Reifung von Hartkäsen die richtige Gitterstruktur, in der die Fette und Mineralstoffe gelöst sind – und damit das richtige Aroma.

Bei der Kasein-Produktion arbeitet das Startup mit genetisch veränderten Hefen. Diese stellen Eiweiße her, die sich von jenen aus Kuhmilch chemisch nicht unterscheiden und am Ende nur noch herausgefiltert werden müssen. Fachleute nennen das Verfahren Präzisionsfermentierung. Schon seit Jahrzehnten werden auf diese Weise auch Vitamine, Tierfuttermittel und Waschmittelenzyme hergestellt. Medikamente wie Insulin und Antikörper entstehen ebenfalls auf diesem Weg.

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Die Milchkuhhaltung wird von Tierschützern häufig angeprangert. Schlechte Haltungsbedingungen, die frühzeitige Trennung der Kälber von den Muttertieren und groß gezüchtete Euter erzeugen eine Menge Tierleid, lauten die Hauptkritikpunkte. (Foto: mauritius images / Viktoria Stark)

Tüfteln mussten die Lebensmittelexperten auch an der Textur und den Schmelzeigenschaften, die maßgeblich von den Pflanzenfetten bestimmt werden. „Das war viel Arbeit. Die ersten Käseprototypen hatten kein Stretching, wie man es von schmelzendem Käse kennt. Wir standen vor dem Ofen und beobachteten, wie sie, statt zu schmelzen, immer schwärzer und schwärzer wurden“, erzählt Gerhartz lachend. „Sie waren anfangs oft auch zu gummiartig und quietschten zwischen den Zähnen.“ Jetzt stimme die Mischung und man sei schon recht nah an normalem Käse.

Der Wissenschaftler führt durch die Labore, vom Thermomix für die Milchmischung zu den Stationen der Käseherstellung und den Messgeräten, mit denen Better Dairy den Protein-, Fett- und Mineralgehalt seiner Käsekandidaten testet. Als Kuriosum zeigt er auf das Röntgenfluoreszenzspektrometer, das vor ein paar Jahren einen Quereinstieg aus der geologischen Forschung hingelegt habe. Jetzt bestimmt das Startup damit den Mineraliengehalt von Käse.

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2024 lag die Fermentationskapazität bei 20 Litern. Sie könnte auf 50 bis 100.000 Liter steigen, sobald die Zulassung erreicht ist. „Wir hoffen, dass wir Ende 2025, Anfang 2026 auf den Markt gehen können“, sagt Gerhartz. Erstes Ziel sei der US-Markt, da das US-Zulassungsverfahren nur ein Jahr dauere. „Wir werden sicher parallel auch ins EU-Verfahren gehen, aber das dauert mit drei bis vier Jahren sehr viel länger.“ Die Käseindustrie habe bereits Interesse geäußert. Man peile zunächst den Premiumbereich an, wo Kilopreise zwischen 30 und 50 Pfund nicht ungewöhnlich seien. Mit Cheddar hat sich das Unternehmen dabei zunächst die beliebteste Käsesorte seiner Wahlheimat vorgenommen. Aber auch an Gouda, dem liebsten Käse der Deutschen, arbeitet es bereits.

Schont das Klima

Ein wichtiges Verkaufsargument des Startups ist der Nutzen für das Klima. Schließlich sind vegane Käseprodukte klimafreundlicher als die tierischen Varianten. Die Herstellung von einem Kilogramm Käse aus Kuhmilch schlägt laut dem deutschen Umweltbundesamt im Schnitt mit knapp sechs Kilogramm Kohlendioxid-Äquivalenten zu Buche, die neben CO₂ auch weitere Treibhausgase wie Methan und Lachgas berücksichtigen. Das ist ähnlich viel wie bei der Produktion von Hühnchen- und Schweinefleisch, knapp halb so viel wie bei Rindfleisch – und dreimal so viel, wie etwa bei der Produktion veganer Käseersatzprodukte aus Kokosfett freigesetzt wird. Der Käse von Better Dairy hat laut eigenen Angaben nicht nur einen deutlich kleineren CO₂-Fußabdruck, sondern seine Produktion verbraucht auch weniger Wasser und Land als Produkte aus Kuhmilch. Mit ähnlichen Argumenten werben auch andere Hersteller – etwa New Culture aus den USA, in Deutschland das Berliner Startup Formo, und der Vorreiter bei veganen Milchprodukten: Perfect Day aus den USA, der biotechnologisch hergestellte Proteine für Frischkäse, Eis und Schlagsahne verkauft.

Veganer Pizza-Käse

Im kalifornischen San Francisco will Inja Radman vom Startup New Culture ein komplett veganes Mozzarella-Produkt – ebenfalls mit präzisionsfermentierten Kaseinen – schon gaumenreif entwickelt haben. Nicht in der weichen Form, die Europäer bevorzugen, sondern zunächst in einer festeren, reibbaren Variante, die beim Schmelzen lange Fäden zieht und in den USA zu 70 Prozent in der Gastronomie verarbeitet wird. Ihre Mozzarella-Variante wird 2025 im Restaurant Mozza in Los Angeles debütieren und serviert werden. Danach seien große landesweite Pizzeria-Ketten das Ziel, so Radman. New Culture wolle sich auf Mozzarella beschränken, „um eine große Herausforderung gut zu lösen“, und später, je nach Anfragen, weitere Käsesorten entwickeln.

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Inja Radman hat mit ihrem Team von New Culture einen Mozzarella entwickelt, der auf heißer Pizza Fäden zieht und wie das Pendant aus Tiermilch schmecken soll. (Foto: New Culture / Priya Kumar)

„Um einen Unterschied für die Umwelt zu machen, sollte es kein Nischenprodukt sein, das nur Vegetarier und Veganer essen“, sagt die Biologin und Mitgründerin des Startups. „Wir müssen ein Produkt liefern, das jede Familie in einer Pizzeria kaufen würde.“ Dabei sei es gar nicht unbedingt nötig, alle vier wichtigen Kuhmilch-Kaseine nachzubilden, was einen hohen Aufwand bedeute. Für die Produktion jedes Kaseins sei ein spezieller Mikroorganismus samt anschließendem Aufbereitungsprozess erforderlich. „Das ist extrem teuer“, betont Radmann.

In seiner aktuellen Anlage produziert das Unternehmen in jedem Durchlauf Kaseinmengen, die für Mozzarella auf 25.000 Pizzen reichen. In drei Jahren will das Unternehmen Käse für 14 Millionen Pizzen pro Jahr produzieren und preislich gleichauf mit dem Original aus Kuhmilch liegen.

Bis der erste kaseinbasierte Käseprototyp des Berliner Startups Formo marktreif ist, eine dem Mozzarella ähnliche Käsealternative, wird es noch etwa ein Jahr dauern. Die Entscheidung für die Kuhmilch-identischen Proteine fiel dem Unternehmen nicht schwer: „Er ist einfach die Verkörperung dieser Schmelzfähigkeit und Streckfähigkeit, die kaseinbasierten Käse ausmacht“, sagt Thomas Schubert, Lebensmittelchemiker bei Formo. Dafür müsse man das Verhältnis von Kasein, Fetten und Wasser richtig hinbekommen. An der richtigen Rezeptur arbeitet das Formo-Team, ähnlich wie Better Dairy, derzeit noch mithilfe von tierischen Kaseinen. Zugleich optimiert es die biotechnologische Kaseinherstellung.

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Käse aus Hefe-Molke

Schon in 2024 wollte man das erste von insgesamt fünf käseartigen Produkten über Hotels, Restaurants und Cafés anbieten, die auf einem milchproteinähnlichen Eiweiß namens Koji basieren. Koji ist ein natürliches Produkt des Schimmelpilzes Aspergyllus oryzae, der auch bei der Sojabohnenfermentation zu Miso und Sojasoße zum Einsatz kommt. Koji ist zwar nicht identisch mit den Ziel-Kaseinen, kommt dem Molkeprotein Beta-Lactoglobulin aber nahe und ist in der Europäischen Union für Lebensmittel bereits zugelassen.

Als Erstes will Formo einen Frischkäse verkaufen und 2025 dann weitere Koji-Käseprodukte, die Feta, Blauschimmelkäse, Camembert und Schnittkäse nachempfunden sind. Das Ziel sei dabei nicht, den jeweiligen Käsegeschmack und die Texturen täuschend echt zu treffen, sagt Schubert. „Unsere Käse müssen trotzdem eine gewisse Erwartung erfüllen. Beim Blauschimmelkäse etwa müssen diese prägnanten Aromen drin sein, auch wenn es nicht ganz genau wie ein Roquefort oder Gorgonzola schmeckt.“ Für diese Aromen sorgen Schimmelkulturen – genau wie beim Vorbild aus Kuhmilch.

Vegane Käseprodukte mit dem echten Käseprotein Kasein – und ohne Zusatzstoffe, wie die Unternehmen versichern – könnten den Lebensmittelmarkt bereichern. Ihr langfristiger Erfolg wird aber nicht nur von einem überzeugenden, natürlichen Geschmack abhängen. Die Produkte müssen auch für den Durchschnittsverbraucher bezahlbar sein.

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Kommentare (1)

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Julia Birkefeld

Gibt es ernsthaft Leute, die sich einfach nur deshalb vegan ernähren, um „die Umwelt zu schützen“? Und nehmen dabei lauter chemische Giftbrühe zu sich, schaden dadurch dem eigenen Körper? Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass dieser chemische Käse, der angeblich „ohne Zusatzstoffe“ auskommt, aber dennoch unglaublich stark verarbeitet ist, dem Körper nicht schadet. Statt so einen Quatsch zu erfinden, macht lieber einen leichten, gesunden, kalorienarmen Käse, der dem Körper gut tut. Den würde ich kaufen und sogar doppelt so viel dafür bezahlen wie für herkömmlichen Käse.

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