Koalition verschärft Vorgaben für Staatstrojaner-Einsatz
Künftig sind die Provider laut Paragraf 2 des G-10-Gesetzes nicht nur verpflichtet, den Behörden Zugang zu ihren Einrichtungen zu gewähren und ihnen das Aufstellen von Geräten zu erlauben, die per Man-in-the-Middle-Angriff das Einschleusen von Abhörprogrammen ermöglichen sollen. Zusätzlich muss der Anbieter den Behörden noch die „zur Einbringung in den umgeleiteten Datenstrom erforderlichen Informationen über die Strukturen der von ihm betriebenen Telekommunikationsnetze und Telekommunikationsanlagen sowie die von ihm erbrachten Telekommunikationsdienste“ mitteilen.
Diese Auskünfte „dienen auch dem Zweck, die angeordneten Einzelmaßnahmen der informationstechnischen Überwachung minimalinvasiv umzusetzen“, heißt es zur Begründung. Explizit nicht umfasst von der Informationspflicht sei „die Beauskunftung etwaiger Schlüssel oder gar die Aufhebung der Verschlüsselung von interpersonellen Telekommunikationsdiensten“.
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Parteichefin Esken warnt vor Gesetz
Die Einigung wurde selbst von der SPD-Co-Vorsitzenden Saskia Esken kritisiert. „Ich halte die Entscheidung für den Einsatz von Staatstrojanern auch weiterhin für falsch, insbesondere in den Händen von Geheimdiensten. Diese Form der Überwachung ist ein fundamentaler Eingriff in unsere Freiheitsrechte und dazu ein Sicherheitsrisiko für unsere Wirtschaft“, twitterte die Netzpolitikerin und fügte hinzu: „Die Anwendung von Schadstoffsoftware zur Überwachung verschlüsselter Kommunikation und die bewusste Aufrechterhaltung von Sicherheitslücken, um diese Software installieren zu können, schaden der Idee demokratischer Netze und unser aller Sicherheit.“
Esken räumte jedoch in einem weiteren Tweet ein, den Mehrheitsbeschluss der SPD-Fraktion zu respektieren. „Ich teile die Beweggründe der effektiven Strafverfolgung. Die beschlossenen Mittel halte ich aber für falsch und stehe dafür ein, mit Befürwortern und Kritikern im Gespräch zu bleiben“, schrieb sie abschließend.
Jusos sind entsetzt
Die Jugendorganisation der SPD nahm die Entscheidung „mit Entsetzen“ zur Kenntnis. Die SPD-Fraktion laufe Gefahr, „verfassungswidriges Recht mitzutragen“, schreiben die Jusos in einem offenen Brief an die Fraktion. Darüber sei „nicht ersichtlich, aus welchen Gründen ein so weitreichender Eingriff in die Freiheit der Menschen in Deutschland notwendig sein soll“.
Probleme sehen die Jusos wie auch Verfassungsrechtler in der geplanten Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Die Behörden sollen nicht nur die laufende Kommunikation der Verdächtigen mitschneiden, sondern sämtliche „ab dem Zeitpunkt der Anordnung gespeicherte Inhalte und Umstände der Kommunikation“ überwachen und aufzeichnen dürfen. Dies wird euphemistisch als Quellen-TKÜ-Plus bezeichnet, ist aber de facto eine Online-Durchsuchung light.
Gefahr für Grundrechte
So sagte der Mainzer Juraprofessor Matthias Bäcker in einer Bundestagsanhörung: „Das ist keine Quellen-TKÜ mehr. Das ist eine beschränkte Online-Durchsuchung, an die aber höhere Anforderungen bestehen.“ Anders als die Quellen-TKÜ ermöglicht die Online-Durchsuchung einen kompletten Zugriff auf die gespeicherten Daten eines Computers oder Handys. Das ist nur in besonders schwerwiegenden Fällen möglich. Denn das stellt nicht nur einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis, sondern in die Integrität informationstechnischer System dar, das sogenannte IT-Grundrecht. Dies erfordere „besonders hohe Eingriffsschwellen“, sagte Ralf Poscher vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in der Anhörung.
Das sieht auch die Grünen-Fraktion so. „Dass die Bundesregierung nun die Befugnisse im Bereich der sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung ausweitet, geht auf Kosten der Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger“, sagte deren Fraktionsvize Konstantin von Notz.
SPD verteidigt Beschluss
Der innenpolitische Sprecher der SPD, Uli Grötsch, verteidigt dagegen den Einsatz der Quellen-TKÜ für die Nachrichtendienste. Ausdrückliche Zielsetzung sei die verbesserte Bekämpfung von Rechtsterrorismus, sagte er dem Tagesspiegel. Die Demokratie brauche einen Verfassungsschutz, der als „Frühwarnsystem“ arbeiten könne. Dafür brauche dieser zeitgemäße Befugnisse.
Zuletzt ist der sächsische Verfassungsschutz allerdings dadurch aufgefallen, dass er sogar den stellvertretenden Ministerpräsidenten seines eigenen Bundeslandes, Martin Dulig (SPD), und nahezu alle Abgeordnete überwacht hat.
Autor des Artikels ist Friedhelm Greis.