LEDs unter der Haut: Warum Biohacker keine geltungsbedürftigen Freaks sind

Der Schnitt ist etwa vier Zentimeter lang und fängt sofort an zu bluten. Zum Glück ist die Stelle knapp hinter dem Handgelenk am Unterarm von Tim Cannon betäubt. Der bärtige Operateur mit seinem schwarzen Mundschutz formt eine Tasche unter der Haut und schiebt er einen roten, kreisrunden Gegenstand mit einer silikon-artigen, flexiblen Ummantelung hinein. Mit einigen Stichen wird die Wunde vernäht.
Was an diesem Wochenende in Düsseldorf auf der ersten deutschen Cyborg-Messe passiert, ist neu: In der Tattoo- und Piercing-Szene lassen sich zwar viele Menschen schon alles Mögliche unter die Haut transplantieren – aber fast immer nur zu kosmetischen Zwecken. Mit dem Northstar aber hat das nichts zu tun. Northstar – so heißt das runde Implantat, das der amerikanische Biohacker-Veteran Tim Cannon und zwei Kollegen jetzt unter der Haut tragen.
Northstar: Erstes, kommerzielles Biohacker-Implantat
Dahinter verbirgt sich eine kreisrunde Platine mit dem Durchmesser einer Zwei-Euro-Münze, auf der fünf rote SMD-LEDs, ein kleiner Mikrocontroller und ein sogenannter Hall-Effekt-Sensor untergebracht sind. Der Strom kommt aus einer Knopfzelle auf der Rückseite der Platine.
Wenn Tim Cannon jetzt mit einem beliebigen Magnet über das Implantat in seinem Unterarm fährt, leuchten die LEDs für zehn Sekunden auf und lassen seine Haut rötlich schimmern. Mindestens 10.000 Mal soll das möglich sein, bevor die Batterie leer ist.
Die Medien suchen eine Freakshow – und finden Biohacker
Es sind fast mehr Medienvertreter an diesem Samstag auf der Veranstaltung als Besucher. Viele von ihnen drehen Video-Beiträge für ihre Sender und Webseiten, immer wieder fragen sie die gleichen Fragen und drehen die gleichen Bilder. Wieso macht man sowas? Was ist der Zweck? Tut das nicht weh? Was stimmt nicht mit diesen Freaks? Sie verstehen nicht wirklich, worum es hier geht.

Auf der ersten Cyborg-Messe in Düsseldorf fanden sich fast so viele Medienvertreter wie reguläre Besucher. (Foto: t3n)
Die Entwicklung des Northstar-Implantats hat die Macher von Grindhouse Wetware mehrere Jahre gekostet. Den elektronischen Part hatten Cannon und seine Mitstreiter schon nach wenigen Tagen erledigt. Der schwierigere Teil aber ist die transparente Ummantelung: eine Hülle aus einem Parylen. Die Herausforderung dabei ist es, ein Material zu finden, das vom Körper nicht abgesondert wird, das flexibel und stabil genug ist, um nicht unter der Haut zu brechen oder zu zerfallen und das im Extremfall auch mehrere Jahre im Körper eines Menschen bleiben kann.
In Zukunft wird es eine ganze Reihe intelligenter Implantate geben
Wenn die Northstar-Implantate in den nächsten Monaten erfolgreich verheilen und funktionieren, wird Grindhouse Wetware zukünftig eine ganze Handvoll anderer Implantate kommerziell vertreiben, vor allem „intelligentere“ Modelle, die zum Beispiel mithilfe von Beschleunigungssensoren und Gyroskopen die Handbewegung des Trägers registrieren und via Bluetooth an Smartphones funken – Gestensteuerung ohne Kamera oder Armband.„Making the internet of things into the internet of us.“
Der Fantasie sind dabei längst keine Grenzen mehr gesetzt: Ein kleiner Vibrations-Elektromotor unter der Haut könnte Smartphone-Notifications unbemerkt an den Träger weiterleiten. Oder wie wäre es mit einem kleineren LED-Implantat, das in mehreren Farben aufleuchten kann – je nach Art der Notification? Über Programmierschnittstellen oder Dienste wie IFTTT könnte sich jeder die Funktion seines Implantats individualisieren. Ein grünes Blinken unter der Haut, wenn es an der Tür klingelt? Kein Problem! Oder vielleicht ein blaues Flackern, wenn es bald regnen soll. Auch Menschen mit Behinderung könnten davon profitieren: Blinde könnten mittels Ultraschall-Sensoren die Umgebung um sie herum auf einmal „fühlen“ – ohne externe Hilfsmittel.
Eine Schnittstelle zwischen dem Körper und der Software-Welt

Ein passendes Motto für die Biohacker-Bewegung. (Foto: t3n)
Das Northstar-Implantat ist eine Machbarkeitsstudie: Es ebnet den Weg dafür, eine bessere, intimere Schnittstelle zwischen dem menschlichen Körper und der Software-Welt zu schaffen, die zukünftig von vielen Menschen benutzt werden könnte.
Wer Biohacker deswegen in eine Schublade mit Bodymoddern, Tattoo- und Piercing-Fans steckt, liegt jedenfalls oft ziemlich daneben. Der Spruch auf dem Rücken des Operateurs beschreibt das Motto der Biohacker ganz gut: „Making the internet of things into the internet of us.“
Und wie werden die Batterien gewechselt? :D
Gar nicht. Wenn die Batterie leer ist, wird das Implantat wieder entfernt. In der Zukunft hoffen die Beteiligten auf Ladung per Induktion durch die Haut hindurch.
Geht es nicht eher un Bodyhacking? Biohacking ist das „Hacken“ von biotechnologischen Verfahren.