Eigenbrau-Syndrom: Der kuriose Fall zeigt, wie unser Mikrobiom uns Probleme einhandeln kann

Nicht jeder, der bei der Alkoholkontrolle auffällt, hat tatsächlich getrunken. (Foto: Anukul/Shutterstock)
Vor ein paar Jahren fuhr ein belgischer Mann in seinen 30ern gegen einen Laternenpfahl. Zweimal. Die Polizei stellte fest, dass sein Blutalkoholspiegel das Vierfache des gesetzlichen Grenzwertes betrug. Im Laufe einiger Jahre wurde der Mann dreimal wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen. Jedes Mal bestand er darauf, dass er nicht getrunken hatte.
Er hat die Wahrheit gesagt. Ein Arzt diagnostizierte später das Eigenbrauer-Syndrom bei ihm. Das ist eine seltene Erkrankung, bei der Mikroben im Darm Alkohol produzieren. Hefepilze, die im Körper des Mannes lebten, fermentierten die Kohlenhydrate in seiner Nahrung und erzeugten so Ethanol. Letztes Jahr wurde er vom Vorwurf der Trunkenheit am Steuer freigesprochen.
Wir sind mehr Mikrobe als Mensch
Sein Fall wirft zusammen mit mehreren anderen wissenschaftlichen Studien eine faszinierende Frage für die Mikrobiologie, die Neurowissenschaften und die Rechtswissenschaft auf: Wie viel von unserem Verhalten können wir unseren Mikroben zuschreiben?
Jeder von uns beherbergt riesige Gemeinschaften von winzigen Bakterien, Archaeen (die ein bisschen wie Bakterien sind), Pilzen und sogar Viren überall in unserem Körper. Die größte Ansammlung, in Billionenhöhe, befindet sich in unseren Eingeweiden. Wir alle haben mehr mikrobielle Zellen als menschliche Zellen in unserem Körper. In gewisser Weise sind wir mehr Mikrobe als Mensch.
Mikrobiolog:innen sind immer noch dabei, zu verstehen, was all diese Mikroben tun. Einige scheinen uns dabei zu helfen, unsere Nahrung abzubauen. Andere produzieren Verbindungen, die für unsere Gesundheit wichtig sind. Aber das Bild ist äußerst kompliziert, zum Teil wegen der unzähligen Möglichkeiten, wie Mikroben miteinander interagieren können.
Aber sie interagieren auch mit dem menschlichen Nervensystem. Mikroben können Verbindungen produzieren, die die Funktionsweise der Neuronen beeinflussen. Sie beeinflussen auch die Arbeitsweise des Immunsystems, was wiederum Auswirkungen auf das Gehirn haben kann. Und sie scheinen in der Lage zu sein, über den Vagusnerv mit dem Gehirn zu kommunizieren.
„Mikroben kontrollieren uns mehr, als wir denken“
Wenn Mikroben unser Gehirn beeinflussen können, könnten sie dann auch einige unserer Verhaltensweisen erklären, einschließlich krimineller Verhaltensweisen? Einige Mikrobiolog:innen glauben das, zumindest in der Theorie. „Mikroben kontrollieren uns mehr, als wir denken“, sagt Emma Allen-Vercoe, eine Mikrobiologin an der Universität von Guelph in Kanada.
Die Forscher:innen haben einen Namen für die Anwendung der Mikrobiologie auf das Strafrecht gefunden: das Legalom. Ein besseres Verständnis dafür, wie Mikroben unser Verhalten beeinflussen, könnte sich nicht nur auf Gerichtsverfahren auswirken, sondern auch die Bemühungen um Verbrechensverhütung und Rehabilitation beeinflussen, argumentieren Susan Prescott, Kinderärztin und Immunologin an der University of Western Australia, und ihre Kolleg:innen.
„Für die Person, die nicht weiß, dass sie am Eigenbrau-Syndrom leidet, können wir argumentieren, dass Mikroben wie ein Marionettenspieler die Fäden in dem ziehen, was sonst als kriminelles Verhalten bezeichnet werden würde“, sagt Prescott.
Mehr über eine Mikrobe namens Toxoplasmosis gondii herausfinden
Das Eigenbrau-Syndrom ist ein recht einfaches Beispiel und war bisher an der Freisprechung von mindestens zwei Personen beteiligt. Andere Beziehungen zwischen Gehirn und Mikroben sind wahrscheinlich komplizierter. Wir wissen ein wenig über eine Mikrobe, die das Verhalten zu beeinflussen scheint: Toxoplasmosis gondii, ein Parasit, der sich in Katzen fortpflanzt und über Katzenkot auf andere Tiere übertragen wird.
Der Parasit ist vor allem dafür bekannt, dass er das Verhalten von Nagetieren so verändert, dass sie leichter zu erbeuten sind. Eine Infektion mit ihnen scheint dazu zu führen, dass Mäuse dauerhaft ihre Angst vor Katzen verlieren. Die Forschung beim Menschen ist noch lange nicht abgeschlossen, aber einige Studien haben Infektionen mit dem Parasiten mit Persönlichkeitsveränderungen, erhöhter Aggression und Impulsivität in Verbindung gebracht.
„Das ist ein Beispiel für Mikrobiologie, von der wir wissen, dass sie sich auf das Gehirn auswirkt und möglicherweise den rechtlichen Standpunkt einer Person beeinflussen könnte, die wegen eines Verbrechens angeklagt ist“, sagt Allen-Vercoe. „Sie könnten sagen: ‚Meine Mikroben haben mich dazu gebracht‘, und ich könnte ihnen glauben.“
Fäkaltransplantationen sollen Beweise bringen – bei Mäusen
Bei Mäusen, die zu den am besten untersuchten Lebewesen gehören, gibt es weitere Beweise für einen Zusammenhang zwischen Darmmikroben und Verhalten. Eine Studie befasste sich mit Fäkaltransplantationen. Bei diesem Verfahren wird Kot von einem Tier in den Darm eines anderen eingebracht. 2013 führten Wissenschaftler:innen der McMaster University in Kanada Fäkaltransplantationen zwischen zwei Mäusestämmen durch, von denen der eine für seine Schüchternheit und der andere für seine Geselligkeit bekannt war. Sie tauschten Darmbakterien zwischen den beiden Gruppen aus, was auch ihr Verhalten zu übertragen schien: Die ängstlichen Mäuse wurden geselliger und umgekehrt.
Mikrobiolog:innen haben diese Studie seitdem als einen der deutlichsten Beweise dafür angeführt, wie eine Veränderung der Darmmikroben das Verhalten verändern kann – zumindest bei Mäusen. „Aber die Frage ist: Wie sehr kontrollieren sie uns, und wie sehr ist der menschliche Teil von uns in der Lage, diese Kontrolle zu überwinden“, sagt Allen-Vercoe. „Und das ist eine wirklich schwer zu beantwortende Frage.“
Schließlich ist unser Darmmikrobiom zwar relativ stabil, kann sich aber verändern. Unsere Ernährung, unser Sportprogramm, unsere Umgebung und sogar die Menschen, mit denen wir zusammenleben, können die Gemeinschaften von Mikroben, die auf und in uns leben, beeinflussen. Und die Art und Weise, wie sich diese Gemeinschaften verändern und das Verhalten beeinflussen, kann bei jedem Menschen etwas anders sein. Eine genaue Verbindung zwischen bestimmten Mikroben und kriminellen Verhaltensweisen herzustellen, wird äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein.
„Ich glaube nicht, dass man das Mikrobiom von jemandem nehmen und sagen kann: ‚Sieh mal, du hast den Erreger X, und das bedeutet, dass du ein Serienmörder bist’“, sagt Allen-Vercoe.
So oder so hofft Prescott, dass Fortschritte in der Mikrobiologie und der Metabolomik, was den Stoffwechsel von Zellen und Gewebe bezeichnet, uns helfen könnten, die Zusammenhänge zwischen Mikroben, den von ihnen produzierten Chemikalien und kriminellem Verhalten besser zu verstehen – und dieses Verhalten möglicherweise sogar zu behandeln. „Wir könnten zu einem Punkt gelangen, an dem mikrobielle Interventionen Teil der therapeutischen Programmierung sind“, sagt sie.