Metaverse: Modewort, Marketing-Gag, Möglichkeit

In unserem wöchentlichen Marketing-Briefing für t3n-Pros geht es heute um das neueste Modewort der Tech-Industrie, das aber gerade für Unternehmen eine besondere Bedeutung bekommen könnte. Schuld ist mal wieder Mark Zuckerberg. Ende Juli ließ er die Welt in in einem Interview mit The Verge wissen, Facebook werde sich zu einem Metaverse-Unternehmen entwickeln. Das hat erwartungsgemäß für einen mittelschweren Hype rund um das Thema gesorgt. Einige Beobachter verdrehen die Augen, weil sie Metaverse schlicht für das neueste Modewort der Tech-Industrie halten. Andere arbeiten auf das Metaverse hin, sehen in dem Konzept eine Evolution des Internets, die bereits im Gange ist. Das Problem bei der Sache: Das Ding ist nicht einfach zu verstehen und noch schwieriger zu erklären. Der Künstler und Designer Tobias Revell beschreibt die Ausgangslage in seinem Blog so: „Das Metaverse ist Staffel 5 von Lost. Die Autoren sind hilflos und werfen einen Haken nach dem anderen ein, eine Zeitreise nach der anderen, nur um die Einschaltquoten zu halten, während sie sich weigern zuzugeben, dass sie eigentlich keine Ahnung von der eigentlichen Handlung haben.“ Großes Versprechen, schwer vorzustellen Deshalb an der Stelle noch einmal Zuckerberg: „Man kann sich das Metaverse aber auch als ein verkörpertes Internet vorstellen, in dem man Inhalte nicht nur anschaut, sondern in dem man sich befindet. Und man fühlt sich mit anderen Menschen verbunden, als wäre man an anderen Orten.“ „Es ist schwer, sich etwas vorzustellen, das so neu und so anders ist“, räumt Christina Wootton, Vizepräsidentin für Markenpartnerschaften bei Roblox, ein. Zumindest das Versprechen ist groß: Nach der Überzeugung von Victor David, CEO bei Epik, einer Produktionsfirma für digitale Gegenstände, wird das Metaverse den Nutzern ermöglichen, zwischen Plattformen und virtuellen Welten zu wechseln, ohne dass sie ihre digitale Identität ablegen oder auf Erfahrungen verzichten müssen. Anders gesagt: Es soll ein virtuelles Universum sein, das alle Merkmale der realen Welt aufweist – und mehr. Klingt spannend, ist in dieser Form aber mindestens noch ein Stück entfernt. Johannes Klingebiel ist eine der hörenswertesten deutschen Stimmen zu Zukunftsthemen dieser Art. Er schreibt: „Es ist eine faszinierende Vision, aber im Moment wird das Metaverse hauptsächlich als Schlagwort verwendet, und wir erleben gerade einen Kampf, es mit Bedeutung zu füllen. Nehmen wir zum Beispiel den Investor Matthew Ball, der einen langen Text zu diesem Thema verfasst hat. Im Mittelpunkt seiner Vorstellung vom Metaverse stehen Blockchain-Systeme. Die Matrix sozusagen, aber mit Ethereum und NFTs als kommerzieller Infrastruktur.“ Aktuell sieht Klingebiel die Idee des Metaverse in erster Linie als Marketing, um Investorengeld einzusammeln. Es sei immer noch gut möglich, dass das Metaverse tatsächlich die nächste Version des Internets sein wird, aber die Technologie sei noch nicht so weit. Metaverse unausweichlich? Auslöser der Kritik sind auch die Bemühungen einiger Unternehmen, scheinbar nicht zusammenhängende Dienste oder Produkte in ein Metaverse zu verwandeln. Es ist tatsächlich alles andere als offensichtlich, warum ein Unternehmen wie Coca-Cola daran interessiert sein könnte, themenbezogene NFT zu versteigern. „Ich verstehe, was die Leute sagen, wenn diese Anwendungsfälle keinen Sinn machen oder diese Unternehmen, die wirklich nichts mit Videospielen oder Blockchain oder Metaversen zu tun haben, anfangen, darüber zu sprechen“, sagte Janine Yorio, Leiterin des Metaverse-Immobilienfonds Republic Realm im Gespräch mit Digiday. Yorio und Menschen bei anderen etablierten Metaverse-Firmen gehen aber davon aus, dass das Metaverse aufgrund der weitreichenden kulturellen Veränderungen, die bereits in vollem Gange sind, sozusagen unausweichlich ist. Teil dieser Veränderung ist nicht zuletzt die durch die Covid-19-Pandemie ausgelöste Verlagerung auf das digitale Leben. Nachdem Zuckerberg das Metaverse via Interview massiv promoted hat, sind eine Reihe neuer Startups, Risikokapitalfonds und selbsternannte Experten aus dem Boden geschossen, um vom Hype zu profitieren. Das ist der übliche Prozess bei solchen Themen. Für die innovativen Menschen in den Unternehmen wird es jetzt darum gehen, den Radau vom eigentlichen Kern zu trennen, um für sich selbst festzustellen, welche Chancen im Metaverse stecken. Dass es diese Chancen gibt, steht außer Zweifel. Die Vergangenheit hat uns auch gelehrt, dass es keine gute Idee ist, sich mit den zentralen digitalen Entwicklungen erst zu spät zu beschäftigen.