Mindset: Über Selbstkritik und warum done better than perfect ist - t3n

Perfektionismus ist Angst in High Heels, sagt die Autorin Elizabeth Gilbert. Doch mit Angst kommt man nicht weit. Besser ist ein Lean-Startup-Approach, mit dem man schnell ins Machen kommt. Darum geht es im heutigen t3n Pro-Briefing. Ich hatte vor einiger Zeit die Chance, den CEO von Headspace für den t3n Podcast zu interviewen. Auf Englisch, denn Russell Glass ist Amerikaner und lebt in Kalifornien. Doch obwohl ich mich sehr darauf gefreut hatte, wäre das Gespräch fast nicht veröffentlicht worden – von mir. Denn mein Perfektionismus stand mir im Weg. Wenn der Perfektionismus im Weg steht „Im Startup gibt es entweder hohe Hochs oder tiefe Tiefs“, sagte neulich eine Gründer:innen-Freundin zu mir. Klar, denn man bewegt sich oft außerhalb seiner Komfortzone, macht Dinge zum ersten Mal und muss auf Unvorhergesehenes reagieren. Übertriebener Perfektionismus ist da fehl am Platz. „Done is better than perfect“, ergänzte sie. Doch nicht nur als Startup-Gründerin oder -Gründer, sondern in jedem Job, in dem man einen hohen Output hat und kreativ arbeitet, kann einem der eigene Perfektionismus im Weg stehen. [crosslinks ids="1461453,445168,1458502"] Ich erinnere mich an die Geschichte von einer Freundin, die einen Podcast starten wollte. Sie hatte das Thema definiert, eine Liste mit Gästen erstellt, die sie interviewen wollte, ein fertiges Logo (von einem Designer) und eine Website. Auch ein Mikrofon hatte sie sich nach ausführlicher Beratung besorgt und sich von einem Profi einweisen lassen. Doch dann passierte: nichts. Nicht eine Folge wurde je aufgezeichnet und ging online. Wahrscheinlich aus Angst, den eigenen Erwartungen nicht gerecht zu werden. Was sie ausbremste, war das lähmende Gefühl, noch nicht „so weit“ zu sein. Dabei ist das eigentliche Geheimnis bei solchen Projekten, einfach anzufangen, auch wenn man sich noch nicht bereit fühlt. Perfektionismus = Angst Elizabeth Gilbert, eine meiner Lieblingsautorinnen, sagte dazu mal, dass Perfektionismus nur eine maskierte Version von Angst sei. Sie komme daher in „schicken Schuhen und im Nerzmantel“ und gebe vor, auf eine Art erstrebenswert zu sein. Wer hat nicht schon einmal im Bewerbungsgespräch den eigenen Perfektionismus als Schwäche genannt, wohl wissend, dass diese Antwort auch als Stärke gewertet werden kann. Dabei ist Perfektionismus nichts mehr als blanke Angst. Terror. Noch ein guter Spruch kommt in dem Zusammenhang von Elizabeth Gilbert (sie ist eben nicht zu Unrecht meine Lieblingsautorin): „Wir müssen verstehen, dass der Drang zur Perfektion zerstörerische Zeitverschwendung ist, denn nichts steht über der Kritik. Es ist egal, wie viele Stunden du mit dem Versuch verbringst, etwas makellos zu machen, irgendjemand wird immer in der Lage sein, einen Fehler darin zu finden.“ Kurz: Selbst vermeintlich perfekte Ergebnisse sind nicht vor Kritik gefeit. Die Lösung: Einfach machen Auch ich kann ein Lied singen über Perfektionismus. 2017 habe ich ein eigenes Internetprojekt gestartet, einen Blog. Zwar war meine Website kein richtiges Startup, sondern vielmehr eine One-Woman-Show, aber sie wirkte wohl doch so professionell, dass ich in E-Mails oft mit „Liebes Prettyprettywell-Team“ angesprochen wurde. Prettyprettywell heißt mein Blog. Doch das war nicht immer so. Gestartet hatte ich meine Seite damals innerhalb weniger Tage mithilfe eines Website-Baukastens. Ich kannte mich damals noch nicht aus mit WordPress und wollte einfach schnell einen MVP, also ein Minimal Viable Product, auf die Straße bringen. Denn weder wusste ich damals, ob mir das Schreiben von Blogposts überhaupt Spaß macht, noch, ob ich Talent dafür habe. Auch meine Blogartikel waren anfangs alles andere als perfekt: viel zu kurz, nicht SEO-optimiert, ohne Crosslinks oder eine catchy Headline. Aber sie waren authentisch und trafen einen Nerv bei meinen Leser:innen. Mit der Zeit wuchs mein Projekt und damit auch mein Wissen: Meine Beiträge wurden professioneller, ich holte mir Ratschläge ein von SEO-Expert:innen, setzte mit einer Bekannten eine Google-Analytics-Seite auf und zog schließlich von Wix zu WordPress um. Learning by doing. Hätte ich damals nicht mit meinen ersten stümperhaften Posts angefangen, so wäre ich niemals zu dem Blog gekommen, den ich heute habe. Build – Measure – Learn Unbewusst war ich damals dem Lean-Startup-Approach gefolgt, bei dem man schnell einen ersten Prototypen entwickelt und diesen dann mithilfe von Feedback der Zielgruppe zu einem marktfähigen Endprodukt entwickelt. Build – Measure – Learn heißen die drei Schritte des Lean-Startup-Approaches, also kreieren, messen, daraus lernen – um dann mit den Learnings weiter zu kreieren, denn es ist ein fortlaufender Zyklus. „Durch den Lean-Startup-Approach landet man oft an Orten, die man sich durch eine klassische Planung gar nicht hätte ausmalen können.“ Auch jetzt, in meinem Job als Redakteurin, habe ich immer wieder Situationen, in denen ich aus meiner Komfortzone trete und Dinge ausprobiere, die ich spannend finde. Wie das Podcast-Interview mit Russell Glass von Headspace. Ich hatte zwar in der Vergangenheit bereits viele englische Interviews geführt und auch Podcasts auf Englisch aufgenommen, doch diesmal war ich wirklich aufgeregt. Schließlich war es auch mein erster englischsprachiger Podcast für t3n, weswegen ich es extra gut machen wollte. Doch je höher der Anspruch, desto größer kann auch die Enttäuschung sein. Kontrollierter Kontrollverlust Nach dem Gespräch war ich nicht richtig zufrieden mit mir. „Die eine Frage hättest du viel spitzer formulieren können“, dachte ich. Oder: „Bei der Frage bist du nicht richtig zum Punkt gekommen“. Mein Bauchgefühl war schlecht. Und ich schrieb meinem Kontakt, dass ich noch nicht sicher sei, ob ich das Interview als Podcast veröffentlichen werde oder nur als schriftliches Interview. Denn das Schöne am Schreiben ist ja, dass man sich Zeit nehmen kann. Editieren, Wörter hin und her schieben. Es ist viel besser zu kontrollieren als ein Podcast. Als ich mir die Aufzeichnung jedoch nochmal anhörte, änderte sich mein Eindruck. Mein erstes Bauchgefühl war viel zu negativ gewesen. Das Gespräch war völlig in Ordnung. Ja, sicher gab es noch Verbesserungspotenzial. Aber das ist ja auch gut so. Jedenfalls nahm ich mir die Worte meiner Freundin zu Herzen: „Done is better than perfect“. Und entschied mich für die Veröffentlichung. Den ganzen Podcast mit Russell Glass kann man sich hier anhören: [crosslinks ids="1457083"] Fazit Meine Erkenntnis: Vielmehr, als sich selbst zu kritisieren, sollte man stolz darauf sein, es überhaupt probiert und sich der Herausforderung gestellt zu haben. Auch, wenn man vielleicht seine eigenen Erwartungen nicht erfüllt hat. Aber wen kümmert es schon? Andere kennen schließlich die eigenen Erwartungen gar nicht und man ist meist sowieso selbst sein:e strengste:r Kritiker:in. Das Wichtigste ist, das man anfängt, aus Situationen lernt und es das nächste Mal besser macht. Mir persönlich hilft es auch, einen Schritt zurückzugehen und mich zu fragen, was mehr wiegt: mein eigenes Ego oder die Chance, einen Podcast in die Welt zu bringen, der das Potenzial hat, Menschen zu berühren, zu verändert oder weiterzubringen? Ich würde mich immer für letzteres entscheiden.