Purpose Economy: Verändern diese 2 Sätze im Koalitionsvertrag alles?

Eine neue Rechtsform definiert die Idee von Eigentum neu. Kann das zu einer nachhaltigeren und sinnorientierteren Wirtschaft führen? Zwei unscheinbare Sätze stehen auf Seite 30 des am Mittwoch von SPD, Grünen und FDP vorgestellten Koalitionsvertrags, die doch viel bedeuten können. Es heißt: „Zu einer modernen Unternehmenskultur gehören auch neue Formen wie Sozialunternehmen oder Gesellschaften mit gebundenem Vermögen“ – und dass für diese Unternehmen nun eine neue Rechtsform geschaffen werden soll. Einen „Meilenstein“ nennt der TEDx-Speaker und Geschäftsführer der Stiftung Verantwortungseigentum Armin Steuernagel auf Linkedin diese Neuerung und auch das Handelsblatt titelt: „Im Koalitionsvertrag findet sich die Rechtsform der Zukunft“. Aber was ist das überhaupt, ein Unternehmen mit gebundenem Vermögen? Was ist eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen? Ursprünglich bekannt geworden als Verantwortungseigentum ist eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen eine Alternative zu herkömmlichen Eigentümerstrukturen. In dieser Mischung aus GmbH und Stiftung gehört ein Unternehmen nicht mehr einer Eigentümerin oder einem Eigentümer, sondern quasi sich selbst. Die Stimmrechte liegen mehrheitlich bei den Menschen, die auch tatsächlich im Unternehmen arbeiten, und können nicht weiterverkauft werden. Auch nach einem Führungswechsel bleiben so die Unabhängigkeit und die Ziele eines Unternehmens erhalten. Man kann sagen: Das Unternehmen ist selbstbestimmt. Gewinne als Mittel zum Zweck Eine weitere Eigenschaft der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen ist, dass Gewinne immer Mittel zum Zweck sind und niemals Selbstzweck. Sie werden reinvestiert oder gespendet. Startups können so signalisieren, dass sie langfristig bestehen und nicht nach einigen Jahren an größere Firmen verkauft werden wollen. Familienbetriebe können durch diese Rechtsform einfacher ihre Werte und ihre ökonomische Selbstständigkeit bewahren, selbst wenn kein:e Nachfolger:in vorhanden ist. Die Idee klingt revolutionär, ist es jedoch keineswegs: Die Traditionsunternehmen Bosch oder Zeiss sind bereits seit Jahren ähnlich organisiert. Im Startup-Bereich sind Einhorn oder das Fintech Payactive Beispiele für diese Organisationsform. Bisher war diese Rechtsform allerdings nur über Umwege möglich. Eine neue Art des Wirtschaftens Für die Fürsprecher:innen dieser neuen Rechtsform ist der Kapitalismus die Wurzel allen Übels. Und wenn wir uns die Welt so anschauen, dann scheinen sie damit nicht unrecht zu haben. Großkonzerne feuern unseren Konsum an (happy Black Friday, btw!) und gleichzeitig CO2-Emissionen in die Atmosphäre, während sich viele Arbeitnehmer:innen ausgebrannt und innerlich leer fühlen. Armin Steuernagel zufolge liegt das daran, dass Gewinne und Unternehmensziele entkoppelt würden. Er erklärt: Jeden Tag würden kleine „Mission-Driven Companies“ mit einer Vision von großen Firmen gekauft, die lediglich auf schnelle Profite aus sind. Die Entscheidungen dieser Fremdeigentümer:innen wie Aktionären, Private-Equity-Gesellschaften oder Konzernleitungen würden dabei ohne Verbindung zum Tagesgeschäft und oft aus großer Distanz getroffen, ohne dass sie die Konsequenzen ihrer Handlungen fühlen. Oft verlieren die betroffenen Unternehmen so ihre Identität und ihren ursprünglichen Kund:innenstamm. Man kann sagen: Sie haben ihre Seele verkauft. Ein weiteres Problem: Es kommt zunehmend zu einer Zentralisierung der Wirtschaft, wobei immer weniger Konzerne immer mehr Macht haben. Man denkt, es gibt Diversität und Wettbewerb, dabei gehören viele Marken zum gleichen Mutterkonzern. Die folgende Grafik aus dem Konsumgüterbereich veranschaulicht das: [twitter 1386785907479433218] In einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen ist es nicht möglich, die Stimmrechte zu verkaufen. Unternehmen bleiben unabhängig und werden von den Mitarbeitenden geführt, die das Geschäft schließlich selbst oft am besten kennen. Ist diese neue Rechtsform die Lösung? Im Vorfeld des Koalitionsvertrages gab es bereits hitzige Diskussionen über diese neue Rechtsform. Kritiker:innen sagen, dass durch Unternehmen mit gebundenem Kapital die Idee des Eigentums ausgehöhlt und unternehmerische Ambitionen untergraben würden. Die andere Seite, zu der auch Steuernagel gehört, sagt, dass Unternehmen dafür da sein sollten, Probleme für uns zu lösen und nicht nur, um Geld zu verdienen. Unternehmen mit dieser Rechtsform hätten weniger Fluktuation und ihre Mitarbeiter:innen eine höhere, intrinsische Motivation. Zudem würden solche Unternehmen länger leben, wie eine Grafik aus Steuernagels TEDx-Talk zeigt: [caption id="attachment_1431822" align="aligncenter" width="620"] Die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen – Lebensdauer von Unternehmen mit dieser Rechtsform versus andere Rechtsformen. (Grafik: Youtube / t3n)[/caption] Auch der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck ist Fan der Gesellschafft mit gebundenem Vermögen. Er äußerte sich dazu im Mai so: „Wenn man für ein Unternehmen arbeitet, das sich selbst gehört, und nicht für die Renditeerwartungen von jemand anderem, dem das Unternehmen gehört, ist zu vermuten, dass die Mitarbeiterschaft, die Kolleginnen und Kollegen mehr investieren, sich mehr reinhängen und dadurch die Leistungsfähigkeit des Unternehmens steigern, also neue Produkte, neue Wertschöpfung für den Markt aufbereiten und vorbringen.“ Eigentum 2.0 Wird die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen die Wirtschaft revolutionieren? Sicher ist: Diese Rechtsform ist gekommen, um zu bleiben, und kann einen wichtigen und richtigen Schritt in eine sinnorientiertere Wirtschaft bedeuten, bei der es nicht mehr nur um Profite und Wachstum allein geht. Eigentümer:innen, die sich für eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen entscheiden, entscheiden sich für die Mission und Vision des Unternehmens, während sie ihre eigenen Bedürfnisse unterordnen. Das ist selbstlos und kann zu nachhaltigen Geschäftsmodellen und zufriedeneren Mitarbeiter:innen führen.

Purpose-Economy: Verändern diese 2 Sätze im Koalitionsvertrag alles?