Renaturierung am Oder-Delta: Wie Naturschutz ohne Zäune gelingen kann
„Ich glaube, wir müssen hier durch“, übernimmt Peter Torkler die Führung der kleinen Gruppe in das Unterholz auf dem Truppenübungsplatz Jägerbrück. Sie sind zu viert – zwei Mitarbeiter der zuständigen Wasserschutzbehörde, ein Planer mit GPS-Vermessungsgerät in der Hand und Peter Torkler – einer der zwei Geschäftsführer von Rewilding Oder Delta (ROD). Einer der Männer prüft mit grimmigem Gesicht die langen Grashalme im Unterholz des Waldes und schimpft auf die Zecken. Torkler schimpft nicht, er steckt sich die Hosenbeine in die Socken.
Die Autos parken am Rand des holperigen Waldweges. Unmittelbar daneben geht es ein, zwei Meter tief runter in ein trübes, unscheinbares Wasserloch, das ins Unterholz ausläuft. Dieses Wasser ist der Grund für die Waldbegehung. Es ist der Überrest eines Baches, der sich früher durch den Wald geschlängelt hat. Vor vielen Jahren – niemand weiß mehr, wann und weshalb – ist er auf 600 Metern Länge in Betonrohre im Untergrund eingesperrt worden.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 5/2022 von MIT Technology Review erschienen. Darin beschäftigen wir uns mit Biodiversität. Hier könnt ihr die TR 5/2022 bestellen.
Die Wasserschutzbehörde überwacht sämtliche Gewässer ihres Zuständigkeitsbereichs – auch diesen kleinen Bach – und ist mit den biologischen Kennzahlen des Wassers nicht zufrieden. Er müsste aus seinem Betonrohr befreit und renaturiert werden, um sich zu regenerieren – nur hat die Behörde auf absehbare Zeit keine Mittel dafür. Rewilding Oder Delta hat sie. Im vergangenen Jahr ist dem Verein ein Scheck über eine Million Euro von der Deutschen Postcode-Lotterie überreicht worden: Der Traumtaler, den ROD für den Schutz und die Wiederherstellung einzigartiger naturnaher Lebensräume verwenden soll.
Rewilding ist nicht klar definiert
Häufig wird Rewilding mit dem Einführen großer Pflanzenfresser in Gebiete verknüpft, wie etwa im niederländischen Oostervarderplassen, das 2018 zu trauriger Berühmtheit gelangt ist, als in dem eingezäunten Areal in dem harten Winter gut sichtbar massenhaft Tiere verendet sind. Das hat für Unmut in der Bevölkerung gesorgt und die Rewilding-Idee viel Akzeptanz in der Region gekostet.
Das Gebiet, in dem ROD die Wildnis voranbringen möchte, ist ein Mix aus traditionellen Schutzgebieten und ungeschützter, dünn besiedelter Kulturlandschaft. Es ist das einzige Rewilding-Projekt in Deutschland unter dem Dach von Rewilding Europe. Die Organisation vereint derzeit neun Rewilding-Gebiete in ganz Europa. Die Idee ist, der Natur in möglichst großen zusammenhängenden Landschaftskomplexen Raum für Wildheit zu geben.
Das ist ein tolles Projekt, da würde ich gerne unterstützen.