Youtuberin und Forscherin Hossenfelder: „Sinn ist nichts, was man in der Physik suchen darf“
Forscherin und Youtuberin Sabine Hossenfelder über den Anfang des Universums, Zukunft und Vergangenheit, Kreationismus und die Grenzen unseres Wissens.
Von Wolfgang Stieler
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10 Min.
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Bisher gab es drei Versionen der Person Sabine Hossenfelder. Die erste ist eine theoretische Physikerin, die zu Kosmologie, dunkler Materie und Quantengravitation forscht. Die zweite beschreibt – und kritisiert – ihre Wissenschaft in Büchern wie „Das hässliche Universum“. Die dritte Sabine Hossenfelder ist eine erfolgreiche YouTuberin, die hoch abstrakte Themen wie Quantenmechanik „ohne Gobbledygook“ erklärt.
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In ihrem letzten Buch „Mehr als nur Atome“, das im November 2024 auch als Paperback erscheint, thematisiert Hossenfelder große, existentielle Fragen wie den Anfang und das Ende des Universums, die Frage nach einem „Schöpfer“ von allem und erklärt, warum unser Erleben von Zeit nur eine Illusion ist. Das folgende Interview ist also im wahrsten Sinne ein Gespräch über Gott und die Welt.
MIT Technology Review (TR): Frau Hossenfelder, sind Sie religiös?
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Hossenfelder: Nein. Ich habe das mal versucht. Ich bin als Teenager in meine Kirche gegangen. Aber irgendwie hat das nicht so geklappt.
TR: Was heißt, das hat nicht geklappt?
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Hossenfelder: Ich habe das einfach nicht verstanden. Wir sind hingegangen, da wurde gesungen, da wurde gespielt, da wurde gebastelt. Es gab so einen kleinen Tischfußball-Tisch. Und die Community war einfach sehr nett. Aber dieses ganze Gerede über Gott habe ich einfach nicht begriffen. Und ich verstehe bis heute nicht wirklich, wie Leute es schaffen, daran zu glauben.
TR: Was hat Sie dann dazu veranlasst, so ein Buch zu schreiben?
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Hossenfelder: Ich denke, es ist wichtig, dass wir klarmachen, wo die Wissenschaft aufhört und wo reine Spekulation anfängt – und wo es Fragen gibt, deren Antwort wir einfach nicht kennen. Und wir sollten nicht versuchen, das mit irgendwelchem mystischen Hokuspokus aufzufüllen. Ich habe mit dem Buch versucht klarzumachen: Hier sind die Grenzen und ab hier wissen wir einfach nicht mehr weiter.
Zweifel und Unsicherheit
TR: Aber gerade diese Grenzen der Wissenschaft sind im Moment ein heikles Thema. Nehmen wir den Klimawandel und den Slogan „Follow the Science“. Das suggeriert natürlich, dass die Wissenschaft klare Antworten hat.
Hossenfelder: Ich stimme Ihnen vollkommen zu. Ich empfinde es als großes Problem in der Berichterstattung über Klimawandel, dass diese Unsicherheit grundsätzlich heruntergespielt wird. Wenn es immer heißt, ja wir wissen, dass es so und so ist und gelegentlich ändert sich natürlich etwas, kommen die ganzen Klima-Leugner und sagen: „Hey, hey, hey, alles falsch, alles Quatsch! Haben wir doch schon immer gesagt.“
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Die Vorhersagen vom IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) zum Beispiel waren grundsätzlich sehr konservativ. Was man jetzt sieht, ist schlimmer, als sie vorausgesagt haben. Das ist nicht gut. Das hätte man vielleicht damals ein bisschen klarer darstellen sollen. Da wird aber nicht drüber geredet, weil man den Leuten nicht den Eindruck vermitteln will, dass es überhaupt irgendwelche Unklarheiten gibt. Ein Kollege von mir, Tim Palmer, Klimaphysiker in Oxford, hat ein schönes Buch darüber geschrieben: The Primacy of Doubt.
TR: Ich glaube, dass Menschen Zweifel und Unsicherheit deswegen ganz schlecht aushalten können, weil sie evolutionär darauf getrimmt sind, überall nach Mustern und einem Sinn zu suchen. Glauben Sie, dass das Universum einen Sinn hat?
Hossenfelder: Erst einmal denke ich, dass Sinn und Bedeutung nichts ist, was man in der Physik suchen darf. Sinn und Bedeutung sind das, was wir selbst kreieren. Wenn Sie fragen, ob das Universum einen Sinn hat, weil es speziell für uns gemacht ist, gibt es für mich keinen Grund zu denken, dass dem so ist. Es ist zweifelsohne so, dass wir in diesem Universum leben können. Sonst hätten wir diese Unterhaltung jetzt nicht. Aber die Entstehung von Leben wäre wahrscheinlich auch unter ganz anderen Umständen – in einem ganz anderen Universum – möglich.
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„Physiker reden in der Regel nicht gerne über Leben“
TR: Wie das?
Hossenfelder: Physiker reden in der Regel nicht gerne über Leben, weil das ein relativ vager Begriff ist. Aber was man mithilfe der Physik beantworten kann, ist die Frage, ob es eine Chemie geben könnte, die komplex genug ist, um große Moleküle zu bilden. Gibt es in diesem hypothetischen Universum Atomkerne mit Elektronenschalen? Und gibt es genug verschiedene Konfigurationen?
Man kann durchrechnen, für welche Art von Naturkonstanten das funktioniert. Und es gibt Physiker, die der Meinung sind, dass durchaus andere Kombinationen von Naturkonstanten möglich wären. Unser Universum ist in dem Sinne nicht besonders speziell.
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TR: Sie schreiben, wir hätten nicht genügend Informationen über den Beginn des Universums. Auch die aktuellen kosmologischen Theorien wären also auch nur „moderne Schöpfungsmythen“. Was meinen Sie damit?
Hossenfelder: Wir haben ein Standardmodell der Kosmologie, das Konkordanzmodell oder Lambda-CDM. Das beruht auf den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein und es enthält Parameter für dunkle Materie und dunkle Energie und so weiter. Dieses Modell können wir nehmen und die Gleichung rückwärtslaufen lassen. Dann wissen wir, was ganz am Anfang passiert ist.
Allerdings brechen diese Gleichungen irgendwann einfach zusammen – sie funktionieren nicht mehr. Das ist in einem Bereich, wo die Quantenfluktationen der Raumzeit wichtig werden. Das Problem ist, dass wir keine Theorie für die Quantengravitation haben. Und das ist das Ende der Geschichte. Wir wissen einfach nicht mehr.
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An der Stelle kann man jetzt sagen, okay, dann hören wir da auf mit den Gleichungen und nehmen andere. Dann kann man beispielsweise statt dem Big Bang einen Big Bounce konstruieren, also annehmen, dass da vorher schon ein Universum war, das kollabiert, wieder expandiert und dann irgendwie wie unseres aussieht. Oder man kann einfach die Zeit abschneiden und sagen, davor existiert nur noch Raum. Oder es gibt es Leute, die sagen, das Universum ist eine Kollision von höherdimensionalen Membranen. Durch unsere Beobachtungen kann man diese Konstrukte nicht auseinanderhalten. Persönlich würde ich sagen, als Wissenschaftler nehmen wir halt einfach das einfachste Modell. Und das ist das Konkordanzmodell.
„Die Dinosaurierknochen waren schon alle da.“
TR: Aber irgendwas muss diese Entwicklung, dass das Universum sich ausdehnt, doch in Gang gesetzt haben, oder?
Hossenfelder: Ja. Aber erstmal formal: Wenn man in dem Konkordanzmodell lange genug in der Zeit zurückgeht, wird die Energiedichte der Materie unendlich groß und damit wird auch die Krümmung der Raumzeit unendlich groß. Und zwar bei endlicher Zeit. Das ist ganz wichtig. Das kann man ausrechnen. Das sind diese berühmten 13,7 Milliarden Jahre – das Alter des Universums.
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Aber das beruht alles auf der Annahme, dass diese Gleichungen gültig bleiben. Und das können wir nicht testen. In die Zeit, bevor der Cosmic Microwave Background entstanden ist, kann man nicht hineinsehen. Darüber haben wir keine Daten. Und dann kann man sagen, okay, wir vertrauen den Gleichungen trotzdem, weil wir keinen Grund haben anzunehmen, dass noch etwas anderes passiert.
TR: Sie sagen auch, im Grunde sei die theoretische Möglichkeit, irgendein Schöpfergott habe die Erde vor 6000 Jahren so geschaffen, wie sie ist – mit allen Fossilien und so weiter –, wissenschaftlich nicht widerlegbar. Habe ich Sie da tatsächlich richtig verstanden?
Hossenfelder: Was ist, wenn wir die Gleichungen nur 6000 Jahre zurückrechnen, dann abschneiden und sagen, hier ist der Anfangszustand des Universums? Die Dinosaurierknochen waren schon alle da, die Evolution und Darwin brauchen wir nicht – Gott hat es so gemacht. Wissenschaftlich kann man nicht sagen, dass das falsch ist, denn man kann es nicht widerlegen. Aber es ist einfach nutzlos, denn damit kann man keine Vorhersagen treffen. Was haben wir also davon? Nichts.
Das Gute an wissenschaftlichen Modellen wie dem Konkordanzmodell oder der Darwinschen Evolution ist, dass man daraus lernt. Wenn Sie zum Beispiel zurückgucken in die Vergangenheit des Universums: Man hat heißes Plasma, in dem gibt es Fluktuationen. Und aus diesen Fluktuationen werden Photonen abgestrahlt, die wir heute als kosmischen Mikrowellen-Hintergrund mit Radioteleskopen sehen können. Weil die Temperatur in diesem frühen Universum nicht überall genau gleich war, sind da kleine Schwankungen drin – die man jetzt messen kann.
Dieselben Fluktuationen im Plasma sind gleichzeitig Dichteschwankungen in der Materie. Die fängt an zu klumpen, wenn sie abkühlt. Und daraus entstehen letzten Endes dann Galaxien. Diese beiden Faktoren müssen zusammenpassen, wenn dieses Modell richtig ist. Und das tun sie bei dem Konkordanzmodell. Kürzlich gab es ein sehr schönes Beispiel dafür, Forscher haben eine große Bubble of Galaxies gefunden.
TR: Bleiben wir bei den Stichworten Vergangenheit und Zukunft. Sie schreiben, dass aus der speziellen Relativitätstheorie im Grunde folgt, dass die Idee, dass es eine Vergangenheit und eine Zukunft gibt, die wir noch gar nicht kennen, falsch ist. Vergangenheit und Zukunft existieren bereits. Das finde ich verstörend. Meine Mutter ist 2015 gestorben, das ist für mich ein Ereignis in der Vergangenheit, aber im Grunde genommen ist das eine Illusion?
Hossenfelder: Also erst mal muss ich darauf hinweisen, dass es hier um die Spezielle Relativitätstheorie geht. Nach der Speziellen Relativitätstheorie kam noch die Quantenmechanik. Die Quantenmechanik ändert diese Geschichte ein bisschen in dem Sinne, dass die Zukunft nicht komplett determiniert ist. Deshalb rede ich vor allen Dingen über die Vergangenheit.
Aber tatsächlich ist es so: In der Speziellen Relativitätstheorie kann man auf einer fundamentalen Ebene diesen Begriff des „Jetzt“ nicht definieren. Das geht nicht, weil diese Theorie auf der Idee der Beobachterunabhängigkeit aufbaut. Die Anschauung von jedem Beobachter ist gleichberechtigt. Und mit diesem Prinzip können Sie einfach keinen Moment des „Jetzt“ konstruieren, auf den sich alle Beobachter einigen können.
Wir sprechen im Alltag über die Existenz von Dingen, obwohl wir die nicht selbst sehen. Nehmen Sie zum Beispiel den Mond, den sehe ich jetzt gerade nicht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er existiert. So benutzen wir das Wort Existenz. Und genau diese Verwendung des Begriffes ist mit der Speziellen Relativitätstheorie nicht vereinbar.
Hossenfelder: Es gibt zwei logische Möglichkeiten. Die eine ist: Ich nehme an, dass nur das, was jetzt und hier ist, wirklich existiert. Also meine Nase existiert, bei Ihrer bin ich mir schon nicht mehr so sicher. Die zweite Möglichkeit ist, dass ich sage: Alle Zeiten existieren auf dieselbe Art und Weise. Die Vergangenheit existiert genauso wie die Zukunft und die Gegenwart. Das nennt man Blockuniversum. Allerdings lässt sich keine von diesen Möglichkeiten mit unserer persönlichen Erfahrung in Einklang bringen. Die hat mit Physik nicht mehr so viel zu tun, das ist Biologie, Neurologie und so weiter.
TR: Zu welcher Lösung tendieren Sie?
Hossenfelder: Ich tendiere zum Blockuniversum, weil das mit unserer Verwendung des Begriffes Existenz eher kompatibel ist. Lebt Ihre Mutter also mit Ihnen in diesem Moment? Ich würde sagen, nein. Aber es gibt keinen fundamentalen Unterschied zwischen diesem Moment, in dem wir uns jetzt befinden, und irgendeinem Moment von vor zehn Jahren, als Ihre Mutter noch am Leben war.
TR: Steht das nicht im Widerspruch zu dem, was wir als Kausalität kennen? Wenn dies passiert, dann folgt jenes. Wenn diese zeitliche Reihenfolge nur eine Illusion ist, ist Kausalität dann auch eine Illusion?
Hossenfelder: Nein, das sind zwei verschiedene Dinge. In der Speziellen Relativitätstheorie können Sie Beobachter austauschen, aber die zeitliche Reihenfolge bleibt. Es sei denn, Sie könnten schneller als mit Lichtgeschwindigkeit reisen – das hätte dann aber noch ganz andere Folgen – das lassen wir lieber mal weg. Wenn wir allerdings quantenmechanische Prozesse betrachten, kommt der fundamentale Zufall hinzu.
TR: Was haben mikroskopische Quantenprozesse mit unserer makroskopischen Welt und dem Zufall zu tun?
Hossenfelder: In der Regel haben Quantenprozesse keine makroskopischen Konsequenzen, aber hier und da kann das tatsächlich mal passieren. Ein berühmtes Beispiel ist kosmische Strahlung. Kosmische Strahlung, sehr hochenergetisch, schlägt auf die Haut auf. Hier und da zerstört sie DNA und das kann zu Krebsgeschwüren führen, an denen man sterben kann. Alles Quantenzufall.
TR: Und das bedeutet, dass die Zukunft doch noch nicht vorbestimmt ist, wie es eigentlich aus der Speziellen Relativitätstheorie folgen müsste?
Hossenfelder: Wenn man die Quantenmechanik so ernst nimmt, ja, dann ist das so. Weil es gelegentlich zufällige Quantensprünge gibt.
TR: Ist das, wenn man es zu Ende denkt, nicht ein ziemlich ernüchterndes Bild? Wir sind nichts als ein Haufen Atome plus ein wenig Quantenzufall?
Hossenfelder: In Summe sind wir Menschen von dem definiert, was wir sind, nämlich Materie, die in gewisser Art und Weise zusammenspielt. Wir sind aus Atomen gemacht, die bilden komplizierte Moleküle und machen Chemie. Und ja, das verstehen wir alles noch nicht so wirklich. Es gibt beispielsweise eine interessante Diskussion über die Frage, inwiefern Quanteneffekte für Bewusstsein eine Rolle spielen. Ich würde das nicht a priori komplett ausschließen.
Aber darum geht es eigentlich nicht. Es geht um diese Konfiguration, diese komplexe Zusammenarbeit verschiedener Teile. Das ist das Wichtige am Menschen.
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