Stark-Watzinger über Karriere in der Forschung: „Wir verlieren zu viele Frauen auf dem Weg in Führungspositionen“ - t3n

In der deutschen Wissenschaft geht die Beschäftigungsschere zwischen Frauen und Männern auseinander. Im Interview erzählt Bettina Stark-Watzinger, die bis vor Kurzem Bildungsministerin war, wie sich das ändern soll. Besteht von Studienbeginn bis zur Doktorandenstelle im Schnitt über alle Disziplinen hinweg noch Geschlechterparität, so sinkt der Frauenanteil bis zu den Professuren auf 28 Prozent – in Mathematik und den Naturwissenschaften sogar auf 21 Prozent. Damit ist Deutschland unter den 27 EU-Ländern nahezu das Schlusslicht. Ein häufiger Grund für diese Schere sei, dass die Familiengründung oft in die Post-Doc-Zeit falle, sagt die Virologin Elke Bogner vom Universitätsklinikum Charité und Vorsitzende des Deutschen Humboldt-Netzwerks e. V. (DHN). Kinder zu bekommen, unterbreche meist die Wissenschaftskarriere der Frauen und nicht die der Männer – vor allem, wenn wie in Deutschland viele Kinderbetreuungsstellen fehlen. Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 8/2024 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr die TR 8/2024 bestellen. Karriere: Ein fester akademischer Job für Frauen oft erst ab 40 Jahren Hinzu kommt, dass die Aussicht auf eine gesicherte Karrierephase mit fester Stelle lange ungewiss ist. Bis Frauen nach meist mehreren Post-Doc- und systematisch befristeten Stellen im akademischen Mittelbau vielleicht einen permanenten akademischen Job ergattern, könne es dauern, bis sie 40 Jahre alt seien, so Bogner. Gezielte Qualifikationswege zur Professur wie eine Nachwuchsgruppenleitung und Juniorprofessuren seien so rar gesät, dass viele Frauen nicht warteten und sich feste Stellen in der Wirtschaft oder als Lehrerin suchten. Diese sensible Karrierephase wollen Programme wie das für Deutschland und Österreich adaptierte „For Women in Science“ (FWIS) überbrücken helfen und auch Bewerberinnen mit Kindern fördern. Trotz des noch bestehenden Förderbedarfs hätten sich die Karrierechancen gerade in den letzten 20 Jahren auch schon verbessert, sagt Bogner. „Junge Institutsleiter schreiben Stellen nicht nur chancengleich aus, sondern laden vor allem auch chancengleich ein.“ Früher seien Frauen hingegen oft nur als Quotenkandidatinnen eingeladen worden. Wertvoll seien auch Mentoringprogramme, wie sie die Charité anbiete, die Post-Docs in Zeitmanagement, Projektmanagement und Leitungsfunktionen schulen. Frauenanteil an den Professuren gestiegen Bei Leitungspositionen gab es ebenfalls Fortschritte: „Die Bundesregierung fördert seit knapp 20 Jahren im Professorinnenprogramm Lehrstühle, die spezifisch für Frauen ausgeschrieben sind. Das ist eine sehr erfolgreiche Fördermaßnahme und hat auch Signalwirkung“, sagt Lutz Möller, stellvertretender Generalsekretär der deutschen UNESCO-Kommission. Diese Maßnahme habe geholfen, den Frauenanteil an den Professuren von zehn Prozent im Jahr 2000 auf die aktuellen 28 Prozent zu steigern. Laut Bogner muss sich dennoch einiges verbessern. „Frauen sind weniger vernetzt als Männer. Werden also Stellen ausgeschrieben, kriegen Männer dies eher mitgeteilt als Frauen“, nennt sie ein Beispiel. Die höchsten Frauenanteile in den Naturwissenschaften und auch in Führungspositionen verzeichneten nach wie vor die skandinavischen Länder. Dort sei Gleichberechtigung traditionell eher selbstverständlich und muss nicht mit Quoten gesteuert werden. „Das fände ich sehr, sehr gut, wenn sich das hier auch so etablieren würde“, wünscht sich Bogner. Für Frauen in der Wissenschaft Der deutsche und der österreichische Länderableger des internationalen „For Women in Science“-Förderprogramms (FWIS) fördert Doktorandinnen, Postdoktorandinnen, Juniorprofessorinnen und Habilitandinnen in den experimentellen Naturwissenschaften mit jeweils 25 000 Euro. Die Organisatoren sind die deutsche und die österreichische UNESCO-Kommission, das Humboldt-Netzwerk beziehungsweise die Österreichische Akademie der Wissenschaften und L’Oréal Deutschland.Es werden je vier Frauen in Deutschland und Österreich ausgezeichnet. Das Preisgeld soll die Karriere der Wissenschaftlerinnen in einer Lebensphase unterstützen, in der viele eine Familie gründen möchten. Es soll verhindern helfen, dass dieser Wunsch zur Unterbrechung oder zum Abbruch ihrer wissenschaftlichen Karrieren führt. Der Preis kann weitgehend frei verwendet werden, etwa als Stipendium für die Forschung oder auch für die Kinderbetreuung. Das deutsche FWIS-Programm wurde 2007 ins Leben gerufen. Auf internationaler Ebene zeichnen L’Oréal und die UNESCO bereits seit 1998 jedes Jahr fünf Wissenschaftlerinnen für ihr Lebenswerk aus. Sieben dieser mehr als 100 Preisträgerinnen gewannen auch den Nobelpreis. Dazu kommen zahlreiche regionale und Länderpreise. [crosslinks ids="1160650,1645178,1586216"] „Junge Frauen sind heutzutage so gut ausgebildet wie nie zuvor“ In der Wissenschaft sind Frauen in Deutschland noch immer unterrepräsentiert. Laut einer Erhebung sind es 29 Prozent. Das ist unterdurchschnittlich in Europa (33,8 Prozent) und deutlich weniger als etwa im Baltikum (zwischen 45 und 55 Prozent). In Aserbaidschan sind es sogar über 55 Prozent. Bettina Stark-Watzinger war bis vor Kurzem Bundesministerin für Bildung und Forschung und ordnet die Lage im Interview mit MIT Technology Review ein. MIT Technology Review (TR): Wie bewerten Sie diese Situation, Frau Stark-Watzinger? Stark-Watzinger: Junge Frauen in Deutschland sind heutzutage so gut ausgebildet wie nie zuvor. Sie machen häufiger Abitur, beginnen etwas häufiger ein Studium und liegen auch bei den Promotionen mit den Männern fast gleichauf. Allerdings verlieren wir immer noch zu viele Frauen auf dem Weg in Führungspositionen. Insbesondere in der Phase nach der Promotion. Damit verliert das Wissenschafts- und Innovationssystem erhebliches Potenzial. Es muss daher Auftrag für alle Beteiligten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sein, bestehende Erfolge bei der Gleichstellung nicht nur fortzuführen, sondern sie weiter zu intensivieren! TR: Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe dafür? Stark-Watzinger: Hier spielen strukturelle Gründe genauso eine Rolle wie leider noch immer bestehende Geschlechterklischees in der Gesellschaft. Ein Kulturwandel hin zu gleichstellungsfördernden und geschlechtergerechten Strukturen in Wissenschaft und Forschung ist daher nötig. Aber auch eine deutliche Steigerung der Sichtbarkeit von Forscherinnen in der Öffentlichkeit. Sie können wichtige und inspirierende Role Models für Mädchen und junge Frauen sein. Die Macht der Bilder ist hier nicht zu unterschätzen. [caption id="attachment_1658816" align="aligncenter" width="620"] Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger kennt den Hochschulbetrieb von innen – als kaufmännische Geschäftsführerin mehrerer Forschungseinrichtungen.(Foto: mauritius images / Florian Gaertner / photothek.de)[/caption] Wie die Gleichstellung von Männern und Frauen gefördert werden soll TR: Woran arbeiten Sie gerade, damit sich das ändert? Stark-Watzinger: Das Professorinnenprogramm 2030 ist das zentrale Instrument von Bund und Ländern, um die Gleichstellung von Frauen und Männern in Hochschulen zu fördern. Das Programm wirkt auf zwei Ebenen: Es erhöht zum einen die Anzahl der Professorinnen in Deutschland und wirkt so direkt der Leaky Pipeline entgegen. Zum anderen stärkt es nachhaltig die Gleichstellungsstrukturen an Hochschulen. Das Programm läuft für acht Jahre und unterstützt die Gleichstellung in den Hochschulen mit insgesamt 320 Millionen Euro. Zudem leistet das Bundesforschungsministerium etwa mit der Förderrichtlinie „Innovative Frauen im Fokus“ einen wichtigen Beitrag für eine verbesserte Sichtbarkeit von Frauen im Wissenschafts- und Innovationssystem. TR: Welche Widerstände müssen Sie bei Ihren Vorhaben noch überwinden? Stark-Watzinger: Die Leipziger Autoritarismus-Studie hat gezeigt: Bis zu einem Viertel der Deutschen stimmt Aussagen zu, die Feminismus abwerten, die sexistisch sind. Ich würde gerne etwas anderes sagen, aber: Gleichstellung von Frauen und Männern ist auch im Jahr 2024 in Deutschland kein Selbstläufer. Dabei ist Gleichberechtigung kein Nice-to-have. Sie steht als Grundrecht in unserer Verfassung. Gleichstellung ist ein Must-have und Aufgabe für uns alle. Überdies stärkt sie unsere Wettbewerbsfähigkeit, denn Diversität trägt nachgewiesenermaßen zu besseren Ergebnissen bei. TR: Wagen Sie eine Prognose: Wann wird die Geschlechtergerechtigkeit im Wissenschaftsbetrieb auch in Deutschland Realität? Stark-Watzinger: Im Koalitionsvertrag haben wir das Ziel formuliert, die Gleichstellung von Frauen und Männern in diesem Jahrzehnt zu erreichen. Ich gehe fest davon aus, dass wir mit unseren Förderungen wie dem Professorinnenprogramm 2030 die Anzahl der Wissenschaftlerinnen in Spitzenfunktionen des Wissenschaftsbereichs in Richtung Parität dynamisch erhöhen können und sich die Geschlechterlücke schneller schließt als bislang. Am Ende wird es aber nur vorangehen, wenn alle Beteiligten ihre Anstrengungen für mehr Gleichstellung in Wissenschaft und Forschung weiter hochhalten. Wichtig hierbei auch: ambitionierte Kaskaden-Zielquoten und die zügige Implementierung von neuen, gleichstellungsfördernden Maßnahmen. Das Interview mit Bettina Stark-Watzinger führte TR-Redakteurin Andrea Hoferichter.