„Autonomes Fahren“: Taxi-Dienst Waymo One verzichtet auf Sicherheitsbegleiter
Schon seit drei Jahren betreibt Waymo in der Stadt Phoenix im US-Bundesstaat Arizona einen Taxi-Service unter dem Namen „Waymo One“. Der war bisher nur handverlesenen Kunden zugänglich, die zuvor eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben hatten. Zudem befand sich stets ein sogenannter Sicherheitsfahrer an Bord der Fahrzeuge, der im Zweifel sofort die manuelle Steuerung hätte übernehmen können.
Mehr Fahrgäste und Verzicht auf Verschwiegenheitsklausel
Damit soll nun Schluss sein – teilweise zumindest. Wie Waymo am Donnerstag verkündet hat, steht der Taxidienst ab sofort auch Freunden und Verwandten der bisher schon registrierten Kunden offen – wenn diese sie auf die Fahrten mitnehmen. Ein eigenständiges Buchen von Fahrten durch Nicht-Mitglieder des Dienstes ist weiterhin nicht vorgesehen. Allerdings verspricht Waymo, in den nächsten Wochen neue Kunden über die App aufnehmen zu wollen.
Wichtiger erscheint da die Neuerung, dass es Waymo-Kunden ab sofort erlaubt ist, von ihren Erfahrungen im Selbstfahr-Taxi öffentlich zu berichten. Wir dürften also kurzfristig eine wahre Flut an Social-Media-Beiträgen sehen, die sich mit den Erlebnissen und Eindrücken der Waymo-Nutzer befassen.
Vorerst keine Sicherheitsfahrer mehr
Fast schon revolutionär wirkt die Neuerung, dass Waymo auf Sicherheitsfahrer vollständig verzichtet. Aus Sicht des Nutzers werden die Fahrten vollständig autonom sein. Dafür hat Waymo eine Zone von 50 Quadratmeilen (rund 129 Quadratkilometer) definiert, die die Phoenix-Vorstädte Chandler, Tempe und Mesa umfasst. Nur in diesem Bereich fahren die Waymo-Taxis ab sofort ohne Sicherheitspersonal an Bord.
Zukünftig will der Dienst aber auch wieder Fahrten anbieten, die Fahrer an Bord haben. Das soll in erster Linie für Fahrten gelten, die aus den definierten Selbstfahrbereichen hinausführen. Dazu baut Waymo zurzeit seine Flotte um.
Immerhin gilt es, die Corona-Sicherheitsregeln einzuhalten. Deshalb will Waymo den Fahrerbereich konstruktiv von der Fahrgastzelle abtrennen. Diese Trennung, die in verschiedenen Ländern der Welt schon seit Jahrzehnten zumindest für Teile des Taxi-Verkehrs üblich ist, gibt es bisher in Waymos Chrysler-Pacifica-Vans nicht.
Fahren die Waymo-Taxis wirklich autonom?
Ars Technica weist auf einen bislang wenig beachteten Umstand hin. Auch ohne Fahrer werden die Waymo-Taxis danach nicht autonom fahren. Vielmehr gibt es im Hauptquartier Flotten-Operatoren, die wohl am ehesten als eine Mischung aus Fluglotsen und Drohnenpiloten definiert werden können.
Diese Operatoren beaufsichtigen die Fahrzeuge aus der Entfernung und sind jederzeit in der Lage, in den Fahrbetrieb einzugreifen – das Taxi etwa zum Halten zu bewegen oder umzuleiten. Das entspricht – wie Ars Technica einwendet – nicht der Definition von autonomem Fahren. Waymo räumt diese Verfahrensweise ein, will aber nicht bekannt geben, wie viele Autos jeweils von einem Operator beaufsichtigt werden.
Ars Technica stellt die richtigen Fragen. Ist eine Form des ferngesteuerten Fahrens als autonom zu bezeichnen? Ist das nicht eher eine Mogelpackung? Eine Drohne ist schließlich auch kein autonom fliegendes Objekt. Die Frage der Autonomie kann sich nicht allein durch die Abwesenheit eines Piloten an Bord des zu steuernden Objekts definieren. Waymo gibt allerdings zu bedenken, dass die Operatoren die Fahrzeuge nicht direkt steuern würden.
Damit eng verknüpft ist die Frage nach der potenziellen Wirtschaftlichkeit des Dienstes. Mit einem Sicherheitsfahrer an Bord besteht bereits kein Wirtschaftlichkeitsvorteil mehr gegenüber den Wettbewerbern von Uber oder Lyft. Ein Remote-Operator könnte hier zu mehr Wirtschaftlichkeit führen, wenn er oder sie wenigstens zwei Fahrzeuge beaufsichtigen würde. Andererseits dürfte die Tätigkeit des Operators eine höhere Qualifikation als das Vorliegen eines PKW-Führerscheins nebst Beförderungsberechtigung bedeuten und damit eine bessere Bezahlung erfordern.
Was haben wir nun also von Waymo präsentiert bekommen? Ich interpretiere es so: Waymo konnte den Service wegen der Coronakrise entweder eingestellt lassen oder einen anderen Weg finden. Der besteht nun offenbar in einem auf den Nutzer autonom wirkenden Fahrdienst, der im Hintergrund stark menschlich beeinflusst ist. So kann das nicht skalieren. Waymo steht jetzt unter Druck.
Dieter Petereit