Wie repariert man Unterseekabel? „Der größte Aufwand liegt nicht im Bergen“

Immer wieder werden Unterseekabel beschädigt, zuletzt Ende Januar zwischen Lettland und Schweden. Wie lassen sich diese Kabel reparieren? Darüber sprachen wir mit Jonas Franken, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl „Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit“ (PEASEC) der TU Darmstadt. Dort beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit der Resilienz Kritischer Informationsinfrastrukturen zu Land und zu Wasser. Er fuhr früher mit der Marine zu See und war lange in der zivilen Seenotrettung engagiert.
MIT Technology Review (TR): Wenn ein Schaden an einem Unterseekabel entdeckt wird – was geschieht dann?
Jonas Franken: Das ist ein Prozess, der schon sehr lange etabliert ist. Bereits an Land kann man abschätzen, zwischen welchen Repeatern der Schaden auftaucht. Dazu nutzt man das sogenannte Backscattering: Schäden an Glasfasern streuen einen Teil des Lichts zurück. Solche Repeater sind alle 60 bis 80 Kilometer eingebaut.

Jonas Franken, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC) der TU Darmstadt.
TR: Was ist denn das häufigere Szenario: Dass ein Kabel komplett durchtrennt ist oder nur abgeknickt?
Franken: Rein zahlenmäßig sind sogenannte Shunt Faults etwas häufiger: Die elektrischen Leiter liegen offen, aber die Glasfasern sind noch unbeschädigt. So etwas kann zum Beispiel durch Schleppnetze passieren. Shunt Faults müssen übrigens nicht dazu führen, dass ein Kabel sofort ausfällt. Oft entstehen die Probleme erst längere Zeit später. Bei Ankerschäden ist es hingegen meist so, dass ein Kabel komplett reißt.
TR: Wie lässt sich der Schaden dann genau lokalisieren?
Franken: Wird Strom durch das Kabel geleitet, erzeugt es ein elektromagnetisches Feld, das von den Sensoren eines Reparaturschiffes gemessen werden kann. Verändern sich die Signale schlagartig, dann ist klar: Okay, hier ist der Schaden. Wenn das nicht reicht, lässt sich beispielsweise mit einem Sonar nachschauen, ob es frische Schleifspuren auf dem Meeresgrund gibt.
TR: Wie werden die beschädigten Kabel geborgen?
Franken: Wenn man die Position des Schadens grob kennt, kreuzt man mit einem bestimmten Muster auf und ab und schleift dabei ein sogenanntes Grapnel über den Meeresboden. Dieses Grapnel kann man sich vorstellen wie eine Mischung aus Enterhaken, Schlitten und Pflug. Am Zug des Grapnels merkt man, dass es gegriffen hat. Dann zieht man das Kabel an Bord.
TR: Liegen an bestimmten neuralgischen Punkten, zum Beispiel an Meerengen oder Hafenausfahrten, nicht ziemlich viele Kabel herum? Woher weiß ich, dass ich nicht das falsche erwischt habe?
Franken: In sehr engen Bereichen kann das durchaus passieren. Aber normalerweise schaut man in die Seekarten und sieht, welche anderen Infrastrukturen in der Nähe sind. Und dann fährt man halt entsprechend engere Raster.
TR: Wie geht es weiter, wenn das Kabel an Bord ist?
Franken: Das Ende, das man hochzieht, ist wahrscheinlich ausgefranst oder geknickt. Davon müssen Teile abgeschnitten werden. Das können schon einmal mehrere hundert Meter sein. Das verbleibende „Good End“ wird versiegelt und an eine Boje gehängt, weil man ja noch das andere Ende bergen muss. Bei einem Shunt Fault wird das Kabel komplett durchgeschnitten und ebenfalls bis zu den guten Enden gekürzt.
Dann wird ein Ersatzkabel angespleißt: Alle Glasfasern werden miteinander verbunden und wieder mit den ganzen Umhüllungsschichten versehen. Die Stelle ist dann ein bisschen dicker als das ursprüngliche Kabel. Anschließend fährt man zum anderen Kabelende und verspleißt es ebenfalls mit dem Ersatzkabel. Das eingesetzte Kabelstück hat ungefähr die zweieinhalbfache Länge der Meerestiefe an der Schadensstelle. Es wird in einer großen Schleife auf dem Meeresboden abgelegt, um die mechanische Spannung zu senken.
TR: Wie lange dauert so eine Reparatur?
Franken: Ohne Anfahrt des Reparaturschiffes etwa ein bis zwei Tage. Der größte Aufwand liegt nicht im Bergen des Kabels selbst, sondern im Spleißen. Bei alten Kabeln mit zehn Glasfasern geht das natürlich schneller als bei modernen Kabeln mit 144 Fasern. Dafür gibt es einen speziellen Raum an Bord, der ist versiegelt, da darf kein Staub hereinkommen. Und man braucht eine sehr gut trainierte Mannschaft. Fachpersonal ist der neuralgische Punkt.
„Die klassische Gefahrenzone liegt oberhalb von 500 Metern.“
TR: Bis zu welcher Tiefe ist eine Reparatur möglich?
Franken: Bis 1500 Metern rechnet man theoretisch mit menschlichen Einflüssen, die längsten Schleppnetze reichen ungefähr so tief. Aber das ist eher die Ausnahme. Die klassische Gefahrenzone liegt oberhalb von 500 Metern. Da gibt es ganz viel menschlichen Einfluss, aber auch Wasserströmungen, die für Abrieb sorgen können. Auf diese Tiefe sind die meisten Reparaturschiffe ausgelegt.
TR: Wie viele von diesen Schiffen gibt es – und wie lange dauert es, bis sie vor Ort sind?
Franken: Weltweit gibt es ungefähr 60 bis 70 Schiffe, die theoretisch für eine Kabelreparatur in Frage kommen. Die meisten davon sind aber eigentlich Kabelleger. Spezielle Schiffe zur Reparatur und Wartung gibt es etwa 25 bis 30.
Wie schnell ein Reparaturschiff zur Stelle ist, hängt auch vom Wartungsvertrag ab. Es gibt eine Art Reparatur-Genossenschaft, in die Kabelbetreiber einen gewissen Jahresbeitrag für jeden Kilometer ihrer Seekabel einzahlen. Wenn die Schiffe dieser Genossenschaft allerdings alle gerade ausgelastet sind, kann es sein, dass ein Betreiber warten muss, bis wieder ein Schiff frei wird. Schneller, aber auch teurer ist es mit einem privaten Wartungsvertrag.
Geografisch ist die Situation im Südpazifik am schlechtesten. Da kann eine Reparatur schon mal zwei bis drei Wochen dauern. Oft braucht die Reparatur aber noch deutlich mehr Zeit, weil die Genehmigungsverfahren so langsam sind. Es gibt tatsächlich Länder, die eine durchschnittliche Bearbeitungsdauer von sechs Wochen haben.

Übersicht über die internationalen Unterseekabel (Grafik: Telegeography)
TR: Hat durch die jüngsten Vorfälle in der Ostsee ein Umdenken stattgefunden, was die Reparatur betrifft?
Franken: Das hängt davon ab, wen Sie fragen. Die Industrie sagt, und das stimmt aus ihrer Perspektive auch: Wir sind eine Infrastruktur für den Frieden, und in Friedenszeiten funktionieren wir einwandfrei. Es waren auch nicht besonders viele und nicht besonders relevante Kabel, die da kaputt gegangen sind, mit Ausnahme vielleicht von C-Lion zwischen Deutschland und Finnland. Es gibt jedes Jahr rund 200 Kabelschäden weltweit, die können teilweise auch gleichzeitig behoben werden.
Auf der anderen Seite sagen politische Akteure und Institutionen wie EU und Nato: Was passiert denn in Konfliktfällen? Wenn wir tatsächlich davon ausgehen, dass künftig koordiniert ganz viele Dinge ausfallen, dann sind die Reparaturkapazitäten schnell überfordert. Die denken einfach in anderen Szenarien als die Industrie. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg waren die internationalen Telegraphenlinien einer der ersten Infrastrukturen, die angegriffen wurden. Und das wird in einem offenen Konflikt zwischen größeren Mächten wohl auch wieder passieren.
TR: Was sind die häufigsten Ursachen von 200 Schäden an Datenkabeln?
Franken: Etwa 70 Prozent entfallen auf Fischerei und Anker, dann folgen Seebeben, Erdrutsche, Baggerschäden oder Verschleiß.
TR: Halten Sie die ganze Aufregung um die jüngsten Vorfälle angesichts dieser Zahlen für übertrieben?
Franken: Das ist wieder eine Frage der Perspektive. Die Industrie hat die – nachvollziehbare – Position: In den Netzen kann das alles ausgeglichen werden, etwa über Landverbindungen. Die politischen Akteure fragen sich – ebenfalls zu Recht: Welche Akteure könnten dahinterstehen? Letztlich muss man damit leben, dass böswillige Akteure diese Unsicherheit ausnutzen. Eine gewisse Vorsicht und Sensibilität finde ich angebracht. Aber viele politische Äußerungen, gerade auch aus Deutschland, fand ich etwas zu alarmistisch.
TR: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die jüngsten Kabelschäden in der Ostsee versehentlich verursacht wurden – nach dem Motto: Ups, wir haben unseren Anker verloren, und haben das erst bemerkt, nachdem wir ihn 150 Kilometer hinter uns hergezogen haben?
Franken: Tatsächlich ist der Anker in den meisten Fällen ja nachts heruntergegangen. Gerade die Schiffe der russischen Schattenflotte haben dafür oft keine Warneinrichtungen. So etwas kann schon mal passieren. Schlechte Seemannschaft gab es schon immer.
Aber wenn zeitlich gehäuft immer wieder dieselbe Art von Schäden bei einer ähnlichen Klasse von Schiffen passieren – also Ankerschäden bei Schiffen, die aus einem russischen Hafen kommen oder in einen russischen Hafen fahren und teilweise zur russischen Schattenflotte gehören –, dann ist dies schon sehr auffällig. Dieses Muster liegt deutlich über dem üblichen Niveau. Ich würde sagen: Es gibt schon eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass dies in irgendeiner Weise koordiniert passiert.
„Der wirklich zentrale Punkt ist die Redundanz.“
TR: Wie lassen sich die Kabel besser schützen?
Franken: Das für die Ostsee beschlossene Vorgehen, vor allem auf Nato-Ebene, finde ich ein bisschen einseitig. Da fliegen jetzt beispielsweise F35-Kampfjets herum. Welchen Mehrwert die gegenüber anderen Seepatrouillenflugzeugen zum Schutz von Seekabeln bieten, hat mir noch keiner erklären können.
Seekabelschutz bedeutet viel mehr: Landstationen, Reparaturschiffe, Kabeldepots, Software und so weiter. Solche Sachen kann die Nato nicht medienwirksam irgendwo bewachen.
Der wirklich zentrale Punkt ist die Redundanz. Bei neuen Kabeln vereinbaren die Betreiber beispielweise mit Betreibern ähnlicher Routen: Wenn bei uns etwas ausfällt, dürfen wir bei euch etwas durchleiten, und umgekehrt. So macht die Industrie das seit Ewigkeiten und das sorgt dafür, dass die Services meist laufen.
Dann geht es um die Architektur selbst. Das ist immer eine Kostenfrage, also wägt die Industrie natürlich ab: Lohnt es sich, ein Kabel einzugraben? Wie stark armieren wir dieses Kabel? Klar ist: Man kann um Seekabel keinen Zaun bauen oder sie über tausende Kilometer in Betonkanäle legen.
Ein Teil der Prävention ist auch die Abschreckung. Akustik-Sensoren in den Kabeln können zum Beispiel genau feststellen, wie lange ein Anker mitgeschleift wurde. Gemeinsam mit anderen Daten aus Satelliten, dem Schiffsmeldesystem AIS, Kameras an Brücken oder Radarstationen an Land kann man schon sehr genau die Schuldigen ausfindig machen. In einem offenen Konflikt nutzt allerdings auch die beste Sensorik nichts, das Kabel ist dann halt trotzdem kaputt.
Ein weiterer Faktor ist die Wiederherstellung. Dazu gehört auch, dass die Genehmigungen schneller kommen.
Beim Punkt Adaption geht es darum, sich langfristig zu diversifizieren. Wenn Sie sich beispielsweise eine Seekarte vom Mittelmeer anschauen: Fast jedes Kabel landet in Marseille an, oder führt quer durch Ägypten durch den Suez-Kanal. Das ist natürlich wahnsinnig kosteneffizient. Aber mittlerweile sagt man sich, dass man die Routen auch diversifizieren sollte. Und schließlich sollte man auch ein paar Strategien in der Schublade haben, falls das Internet doch mal ausfällt.