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Feature MIT Technology Review

So wollen Startups Kaffee und seine 1.200 Aromen digitalisieren

Sensoren und maschinelles Lernen sollen nicht nur für besseren Kaffee sorgen. Sie könnten auch die Produktionsbedingungen für den Wachmacher aufmischen.

Von Wolfgang Stieler
9 Min.
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Mit einem tragbaren Sensor und einer App können Kaffee-Bauern laut Demetria die Qualität noch ungerösteter Bohnen messen. (Foto: Demetria)

Das kolumbianisch-israelische Startup Demetria hat sich die Digitalisierung von Kaffee auf die Fahnen geschrieben. Ein eigens entwickelter Sensor und eine zugehörige App sollen das Aroma eines Kaffees aus noch nicht gerösteten, grünen Kaffeebohnen vorhersagen. Der Sensor liefert einen „spektralen Fingerabdruck“ der grünen Bohnen. Die Software wiederum wurde mit Beispieldaten darauf trainiert, zu lernen, welches Geschmacksprofil diesem Spektrum entspricht.

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Die Entwicklung gilt als eine kleine Revolution im Kaffee-Business. Denn seit sich in den 1980er-Jahren ausgehend von Kalifornien die „dritte Welle“ kleiner Kaffeeröster weltweit ausbreitet, ist Kaffee – zumindest in einer hippen, urbanen Szene – vom bitteren schwarzen Wachmacher zu einem komplexen Genussmittel wie Whisky oder Wein aufgestiegen. Inklusive der entsprechenden Preise: Das Kilo Spezialitätenkaffee geht gerne mal für 30 bis 40 Euro über den Ladentisch. Doch die eigentlichen Erzeuger sehen nur wenig von diesem Geld – auch weil sie oft nicht wissen, welche Qualität ihre Ware hat.

  • Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Mehr Daten für besseren Kaffee“ in der Ausgabe 6/2021 von MIT Technology Review (im heise shop bestellbar).

Allem hippen Flair zum Trotz funktioniert Kaffeehandel „noch immer wie vor 200 Jahren“, klagt Felipe Ayerbe, Mitbegründer und CEO von Demetria. Startups wie Demetria wollen das ändern und den Kaffee „digitalisieren“. „Wir machen genau das Gleiche, was bei der Ausbildung eines Cuppers gemacht wird“, erklärt Ayerbe die Technologie. „Cupper“ sind zertifizierte Fachleute, die Kaffee verkosten. „Nur dass der Sensor jetzt die Zunge des Cuppers ersetzt. Wir korrelieren das Spektrum mit einem Geschmacksprofil von einem erfahrenen Cupper und machen sehr viele Cupping-Tests. Nach einer Weile versteht das System, wie der Kaffee schmecken wird, dessen spektralen Fingerabdruck wir sehen.“

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Kaffee ist ein komplexes Naturprodukt

Das ist eine extrem steile Ansage. Kaffee ist nämlich nicht nur ein komplexes Naturprodukt, dessen Aroma sich je nach Lage, Bodenbeschaffenheit und Wetter stark unterscheiden kann. Auch die Weiterverarbeitung, die Röstung und die Zubereitung haben großen Einfluss auf den Geschmack des Kaffees in der Tasse. Bisher ist nur der letzte Schritt dieser Kette, die optimale Zubereitung von Kaffee, wissenschaftlich halbwegs enträtselt: Es war der Biochemiker Ernest Earl Lockhart vom MIT, der 1957 einen bahnbrechenden Beitrag zur Kaffeewissenschaft mit seinem Aufsatz mit dem Titel „The Soluble Solids in Beverage Coffee as an Index to Cup Quality“ vorgelegt hat. In diesem Aufsatz schlug Lockhart erstmals vor, die Qualität eines Kaffees durch die Menge der Kaffee-Inhaltsstoffe zu charakterisieren, die sich im Kaffee lösen. In Feldtests hatte Lockhart zuvor herausgefunden, dass Konsumenten Kaffee unabhängig von der Zubereitungsart am besten finden, wenn etwa 20 Prozent der Inhaltsstoffe aus dem Kaffeemehl gelöst werden.

Schematische Darstellung der vielfältigen Kaffeearomen.

„Aroma-Rad“ der Speciality Coffee Association: Das erstmals 1995 veröffentlichte Schema systematisiert die vielfältigen Kaffee-Aromen. Innen sind grundlegende Geschmackseindrücke aufgetragen. Nach außen werden die Aromen differenzierter. Je komplexer das Aroma eines Kaffees, desto besser ist er. (Grafik: © 2016 SCA and WCR)

Das ist keineswegs so trivial, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn die unterschiedlichen Inhaltsstoffe des Kaffees lösen sich unterschiedlich schnell – abhängig von der Temperatur des Wassers. Für italienischen Espresso – lange der Gold-Standard der Kaffeekultur – ergibt das eine Faustformel: Sieben Gramm Kaffeemehl in der Maschine, durch die die Maschine 25 bis 30 Sekunden heißes Wasser mit neun Bar Druck pumpt, sollten etwa vierzehn Gramm Espresso in der Tasse ergeben. Pumpt man länger, löst man überwiegend Bitterstoffe aus dem Kaffee – für eine große Tasse klassischen „Americano“ lässt man das Wasser daher nicht einfach weiterlaufen, sondern verlängert den Espresso mit heißem Wasser.

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Kaffee-Nerds schwärmen vom „God-Shot“

Das Kochrezept klingt eigentlich idiotensicher, ist es aber nicht: Der optimale „Bezug“ funktioniert nur, wenn das Kaffeemehl die richtige Konsistenz hat: Ist der Kaffee zu grob, zu trocken oder zu alt oder liegt er zu ungleichmäßig im Siebträger, bilden sich Risse im „Puck“, durch die das Wasser zu schnell strömt. Ist der Kaffee dagegen zu fein gemahlen, zu dicht gepresst oder zu feucht – schon ein Wetterwechsel kann einen entscheidenden Unterschied machen –, steigen Druck und damit Temperatur zu sehr und der Kaffee „verbrennt“. So gesehen bleibt die Kaffeezubereitung selbst mit wissenschaftlichem Hintergrund noch immer genügend Kunst. Kaffee-Nerds schwärmen deshalb auch vom „God Shot“ – dem optimal gelungenen Kaffee, der auch dem erfahrensten Barista nur ab und an gelingt.

Die Beschreibung, die ein Tässchen dieses Getränks dem Kenner entlockt, ähnelt in ihrer Blumigkeit mittlerweile tatsächlich der Beschreibung von Wein – im Vordergrund Noten nach Nougat, dunkler Schokolade und Nuss, im Hintergrund zarte fruchtige Akzente wie von Orangenzeste – sie ist aber keineswegs nur lyrischer Freitext. Die einzelnen Bestandteile des Aromas liegen in einem vorgegebenen systematischen Aroma-Raster, dem sogenannten Aroma-Rad (Grafik: siehe oben). Das von der Specialty Coffee Association of America (SCAA), ein Zusammenschluss von Röstern, Baristas und Kaffeehändlern, entwickelte Schema funktioniert ein bisschen wie ein Farbkreis: Im Inneren des Kreises liegen die Grundkomponenten, außen die feineren Abstufungen.

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