- 7:00 Uhr – mit Snapchat im Bett
- 7:07 Uhr – schwitzen, Fett absaugen und motivieren
- 08:46 Uhr – ich snappe, also bin ich
- 08:51 Uhr – nah, näher, Snapchat
- 11:13 Uhr – Kaffeepause und Tipps für jedermann
- 13:17 Uhr: Liebe deine Crowd!
- 18:23 Uhr – zu viel Dr. Miami
- 20:31 Uhr – Snapchat statt TV
- 23.38 Uhr – gute Nacht Snapchat
24 Stunden unterwegs mit Dauer-Snapper Philipp Steuer: Das Snapchat-Tagebuch
7:00 Uhr – mit Snapchat im Bett
Bevor es losgeht, muss ich eines gestehen: Ich bin nicht gerade der perfekte Morgenmensch. Nein, ich springe nicht gleich beim ersten Weckerklingeln aus dem Bett und direkt in die Laufklamotten, um am Rhein entlang zu joggen. Mein Morgen sieht anders aus. Meist gebe ich dem nervigen Gebimmel meines iPhones irgendwann nach und tippe mich noch im Bett genüsslich durch meine Lieblings-Apps. Snapchat gehört auch heute mit dazu. Was vor drei Jahren mit einem sporadischen Techtelmechtel begann, als ich das erste Mal auf die App stieß („Videotipp: Snapchat murders Facebook“), hat sich mittlerweile zu einer heißen Liaison entwickelt, die meine Frau glücklicherweise toleriert.
Dennoch geht meine Liebe nicht so weit, dass ich morgens gleich schon mein Gesicht in die Kamera halte, um meine erste Story auf Snapchat zu veröffentlichen. Schließlich bin ich ein Morgenmuffel und habe so früh nichts zu erzählen. Doch das muss ich zum Glück auch nicht, denn andere haben bereits ihre Storys versendet. Vor allem liefert mein Story-Feed Snaps und Geschichten der amerikanischen Accounts, denen ich folge. Klar, während ich schlief, ging dort der Tag schon los. Auch an diesem Morgen.
7:07 Uhr – schwitzen, Fett absaugen und motivieren
Ich starte also beim Snapchat-Superstar DJKhaled, der in keinem Best-Practice-Artikel über Snapchat fehlen darf. Doch wie schon die 99 Mal zuvor skippe ich seine Story bereits nach drei Snaps mit einem Fingerwisch nach links, weil ich mir sein Gelaber einfach nicht geben kann. Er ist heute schon wieder in seiner Villa unterwegs, müht sich schon wieder auf seinem Walker ab, schwitzt und hängt danach schon wieder mit mehr oder weniger bekannten Musikern rum.
Die Eindrücke selbst sind sehr authentisch, inhaltlich aber mager. Ich weiß oft einfach nicht, was er mir sagen will. Manchmal glaube ich, er weiß es selbst nicht so genau und genau das macht ihn in meinen Augen zu einem schlechten Beispiel für das Marketing via Snapchat: Seine Storys sind viel zu lang, die Inhalte oft sinnlos gepaart mit viel leerem Blabla. Aber dennoch geben sich zwei Millionen Menschen jeden Tag diesen Spaß. Vermutlich, weil er bekannte Freunde wie P. Diddy (heißt er noch so?) oder Snoop Dogg hat.
Das Skippen der Khaled-Story startet automatisch die nächste, und so lande ich bei Dr. Miami, einem Schönheitschirurgen aus Florida, der sich wohl irgendwann mal dachte: „Es gibt nichts, was sich nicht snappen lässt!“ Also kann man ihm täglich beim Brustvergrößern und Fettabsaugen über die Schulter gucken. Inhaltlich eher was für Leute mit einem starken Magen.
Danach schaue ich noch schnell bei meinem Marketing-Gott Gary Vaynerchuk vorbei, der gerade wieder im Flugzeug sitzt und mir in kurzen Snaps erläutert, dass er immer härter als der Rest der Welt arbeiten muss, um so erfolgreich zu sein.
Für diesen Morgen bin ich mit meiner Bett-Snap-Session erstmal fertig und mir fällt auf, dass die Storys von DJKhaled, Dr. Miami und Gary Vaynerchuk eines eint. Sie zeigen das Besondere von Snapchat: Die Authentizität. Menschen sprechen ungefiltert in die Kamera, ganz egal, ob sie durch den Winkel, in dem sie das Smartphone halten, etwas unvorteilhaft aussehen oder nicht (Major Key, DjKhaled!). Doch genug an dieser Stelle, es ist Zeit zum Aufstehen.
08:46 Uhr – ich snappe, also bin ich
Halbwegs frisch gestriegelt mache ich mich auf den Weg ins Büro. Der perfekte Zeitpunkt, um meine ersten eigenen Snaps dieses Tages zu veröffentlichen. Wie sonst auch fast immer spreche ich direkt in die Kamera zu meinen Followern, um Gedanken loszuwerden oder aktuelle Geschehnisse zu kommentierten. Nach drei Jahren Youtube, mehr als 220 Videos und 16 Millionen Aufrufen habe ich damit kein Problem mehr.
Dann bearbeite ich den Snap noch ein bisschen, um ihn inhaltlich und optisch aufzuwerten. Ich ergänze ihn um einen Text mit bis zu 80 Zeichen, bringe Emojis und Sticker an, lasse ein paar optische Farbfilter sowie einen Geschwindigkeitsfilter drüberlaufen und hinterlasse einen Orts- und Datumsfilter.
Manchmal verwende ich auch das Stift-Werkzeug von Snapchat. Doch weil ich ein extrem schlechter Zeichner bin, nutze ich es beispielsweise nur, um irgendwo Pfeile oder Kreise für Markierungen auf die Snaps zu malen. Künstler wie Shonduras oder CyreneQ erschaffen hingegen täglich richtige Meisterwerke, sogenannte Snapart.
08:51 Uhr – nah, näher, Snapchat
Doch zurück zu meinem eigenen Snap. Schnell noch ein überprüfender Blick und dann die Geschichte veröffentlichen. Das ist der Reiz von Snapchat: Alles passiert einfach so, wie es ist. Offiziell kann niemand Videos oder Bilder vorproduzieren und in eine Story packen. Das schränkt auf der einen Seite natürlich ein, macht aber auf der anderen auch den direkten, ungefilterten und nahen Charakter von Snapchat aus.
Bevor ich nun jedoch einen Fackellauf der Ultra-Snapper riskiere, hier noch zwei Hinweise:
- Natürlich kannst du Vorproduziertes über die Werkzeuge von Drittanbietern hochladen. Aber die Apps sind mehr als fragwürdig und ihr Einsatz durch die Richtlinien von Snapchat untersagt. Wer das missachtet, muss damit rechnen, dass Snapchat seinen Account sperrt.
- Mit Snapchat-Memories hat die Plattform Anfang Juli eine Funktion veröffentlicht, die die App ein bisschen weniger vergänglich macht. Nutzer können damit Snaps und Storys auf dem Snapchat-Server speichern und später veröffentlichen. Aber ein fetter weißer Rahmen markiert diese Inhalte und deshalb glaube ich nicht, dass High-Quality-Produktionen die Plattform künftig überschwemmen werden.
Snapchat hat aus meiner Sicht damit definitiv eine Lücke geschlossen. Neben dem perfekt inszenierten Selfie für Instagram (1.000 Versuche, ein Glückstreffer) und den mittlerweile doch sehr aufwendig produzierten Youtube-Videos (mit festen Kamera-Setups, Themenrecherchen und Skripten) zeigt Snapchat, was zwischen der Selbstinszenierung passiert. Durch die Vergänglichkeit der Inhalte fühle ich mich jedes Mal aufs Neue befreit, das zu posten, was mir in den Sinn kommt. Warum schon groß Gedanken über etwas machen, was sich morgen ohnehin von selbst wieder löscht? Das geht anscheinend auch anderen so, weshalb die Plattform Inhalte mit einem ziemlich hohen Realness-Faktor hat.
11:13 Uhr – Kaffeepause und Tipps für jedermann
Je mehr ich darüber nachdenke, was mir an Snapchat so gut gefällt, desto mehr stelle ich fest: Es liegt vor allem daran, dass der Mensch im Fokus steht. Ob auf dem Weg zur Arbeit, im Urlaub oder wo auch immer. Jeder kann ganz einfach seine Geschichten erzählen.
Als ein gutes Beispiel dafür fällt mir auf Anhieb die „Behind The Scenes“-Story von Prosieben zum Finale der Sendung „Germany’s Next Topmodel“ ein. Okay, das Thema liegt nicht jedem. Doch die Redakteurin führte mit zahlreichen Snaps ziemlich gekonnt durch den Tag und zeigte bis hin zum Finale hautnah, wie es den Anwärterinnen erging. Am Ende übernahm sogar der Musiker Will.I.Am den Snapchat-Account.
Wenn ich in Gedanken so durch die erfolgreichen Snapchatter gehe, dann stelle ich fest, dass vor allem drei Content-Formate auf Snapchat funktionieren. Das wäre einmal der Selfie-Talk von Promis, Sportlern und Influencern. Als zweites gibt es sehr erfolgreiche News-Formate in allen möglichen Genres, die sehr einfach aufbereitet sind. Und das dritte Erfolgsformat sind „Behind The Scenes“ und „Reportagen“. Mit anderen Worten: Auf Snapchat haben diejenigen einen Vorteil, die etwas zeigen können. Prominente sind selbst das Produkt – eine Mischung aus Selfie-Talk und „Behind The Scenes“ ist deshalb auch perfekt für ihr Publikum. Fußballvereine können dagegen prima das Training oder die Spiele der Mannschaft zeigen und auch mal den ein oder anderen Sportler ein Takeover machen lassen. Als Zeitung kann es sich lohnen, das Tagesgeschehen oder News in Snaps rüberzubringen.
Für alle anderen wird es schwieriger. Ich selbst sehe das auch heute wieder. Wenn ich denn mal mein Büro verlasse und auf Reisen gehe, kann ich meinen Followern viele tolle Zehnsekünder zeigen. Da das in letzter Zeit aber eher selten passiert und ich stattdessen oft und lange im Büro sitze, gibt es für meine Snapchat-Community wenig Zeigenswertes. Deshalb muss ich oft – wie auch heute – kreativ werden und habe deshalb auf dem Weg zur Arbeit Pokemon Go fürs iPhone ausprobiert.
13:17 Uhr: Liebe deine Crowd!
Mittagspause: Zeit für Snapchat. Ich öffne die App und erläutere in vier Videos meinen ersten, mehr als positiven Eindruck von Pokemon Go. Das Ganze mache ich relativ geradeheraus und damit komplett anders als bei Twitter, wo ich mir oft die Mühe mache, einen Tweet möglichst perfekt zu formulieren. Heute rufe ich meine Snapchat-Community auf, mir Screenshots von ihrem stärksten Pokemon zu schicken. Es dauert nicht lange und die ersten Snaps trudeln ein. Allgemein sind die Snapchat-User super aktiv und antworten meist sehr schnell. In meinem Fall dauert es nur wenige Sekunden, bis meine Follower neue Story-Elemente aufrufen. Das ist toll und zeigt, wie lebendig Snapchat bereits jetzt ist.
18:23 Uhr – zu viel Dr. Miami
Auf dem Nachhauseweg. Ich warte auf die S-Bahn. Zeit genug, um ein paar Snaps im Chat zu beantworten. Seit der Mittagspause sind mehr als 200 ungelesene Snaps mit Pokemon-Screenshots in meiner Inbox eingetrudelt. Ich gehe sie durch und screenshotte mir die coolsten. Dann snappe ich ein kurzes Video, in dem ich meinen Followern mitteile, dass ich mich über die ganzen Snaps freue und gleich die in meinen Augen besten Pokemons zeige. Dafür teile ich die Screenshots über die Memories-Funktion in meiner Story, inklusive der Accounts der Pokemon-Trainer. Das kommt gut an, weil die gezeigten Snapper von meiner Reichweite profitieren und neue Follower gewinnen können. Es stärkt die Community und ist mein Weg, danke für die ganzen Snaps zu sagen.
Fertig, doch meine Bahn ist immer noch nicht da. Ich frage mich, was Dr. Miami wohl gerade so treibt und bereue meine Entscheidung nach wenigen Snaps. Er ist gerade mit einer Nasenkorrektur beschäftigt und als er ansetzt, die Nase „in Form“ zu bringen, breche ich die Story lieber ab.
Die CSU hat gesnapped: Ich sehe einige Politiker auf einem Event mitsamt ihrer Funktion und Vision. Mir fehlt hier das Persönliche, weshalb das für mich ausbaufähig ist: Wer steckt hinter dem Account? Deshalb schaue ich mir zur Zeit lieber englischsprachige Storys an. Etwa die der Kollegen von Techcrunch, die bereits feste Formate für Snapchat entwickelt haben – in diesem Fall Tech-News. Da kommt die Bahn, es geht nach Hause.
20:31 Uhr – Snapchat statt TV
Couch-Zeit, Fernsehzeit? Die Art und Weise, wie ich die Snapchat-Storys konsumiere, lässt sich schon mit dem klassischen Fernsehen vergleichen. Nur dass hier die Fernsehsender Accounts sind und die Sendungen die Storys. Gefällt mir eine Story nicht, geht es per Swipe ab zur nächsten – wie beim Zappen.
23.38 Uhr – gute Nacht Snapchat
Nach einem Tag Snapchat-Tagebuch ist es Zeit, Bilanz zu ziehen: Lohnt sich der Aufwand mit Snapchat überhaupt? Meiner Meinung nach schon, denn wer auf Snapchat 1.000 Follower hat, kann davon ausgehen, dass mindestens 700 seine Story ansehen. Das ist in Sachen Aufmerksamkeit eine unfassbar hohe Quote, die kein anderes Netzwerk bieten kann. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es (noch) keine Content-Filter. Die Plattform erinnert damit an ein frühes Facebook, als sämtliche Beiträge noch chronologisch zu sehen waren.
Klar, mir fehlt eine intelligente Nutzersuche und eine Funktion für Empfehlungen. Follower bekomme ich nur über die Crosspromo bestehender Social-Media-Kanäle. Dennoch kommt keine andere App so nah an eine junge, technikaffine Zielgruppe heran wie Snapchat. Durch die Funktionsweise der Plattform kann jeder authentisch und ungefiltert snappen und so Follower langfristig binden. Das kapieren natürlich die wenigsten. Derzeit zählen Zahlen mehr als Menschen. Wenn ihr mich fragt, ist das Bullshit. Likes kaufen keine Produkte und Retweets zahlen keine Ladenmiete. Es sind immer noch Menschen, auf die es ankommt.
Apropos Inhalte: Nur wer gut und viel schläft, kann erfolgreich snappen! ;) Während ich im Bett zu Hause liege und langsam müde werde, werfe ich einen letzten Blick auf Snapchat. Ich schaue mir an, was meine Freunde so den ganzen Tag über getrieben haben und was sonst noch in der Welt passiert ist. Ich knipse das Licht aus. Morgen beginnt ein neuer Snapchat-Tag.