Apache-Erfinder: „Die Blockchain ist kein magischer Feenstaub“
Deutsche Bank, Daimler, SAP, Bosch, Deutsche Telekom: Auch deutsche Firmen finden sich auf der Unterstützerliste von Hyperledger. Im Dezember 2015 startete das globale IT-Projekt, das ein Rahmenwerk für Blockchain-Anwendungen in Unternehmen entwickelt, unter dem Dach der Linux Foundation. Seitdem wachsen sowohl Quellcode als auch Mitgliederzahl des Open-Source-Projekts, zahlreiche Firmen unterstützen die Initiative auch finanziell. Zwölf Teilprojekte aus den verschiedensten Branchen werden aktuell unter dem Dach von Hyperledger vorangetrieben. Mit wenigen Mitarbeitern koordiniert Hyperledger die Arbeit der vielen freiwilligen Entwickler.
Seit Mai 2016 leitet Brian Behlendorf das Projekt als Executive Director. Der 45-Jährige bringt reichlich Open-Source-Erfahrung mit: Er hat den Apache Webserver entwickelt, für den heute eine Stiftung zuständig ist. Danach arbeitete er unter anderem als Chief Technology Officer für das World Economic Forum. Behlendorf lebt in der Nähe von San Francisco, zunehmend aber auch im Flugzeug – Termine plane er gerne so, dass er direkt einmal ostwärts um die Erde fliegen könne, erzählt er. Für 2019 hat er sich vorgenommen, mehr Zeit in Südamerika und Afrika zu verbringen. Auch dort wird in lokalen Entwicklergruppen an Hyperledger gearbeitet. Für t3n nimmt er sich in Basel Zeit für ein Gespräch – am Rande des ersten globalen Treffens des Projekts.
t3n: Brian, vor einem Jahr explodierte der Aktienkurs einer Eisteefirma, als sie „Blockchain“ zu ihrem Namen hinzufügte. Kurze Zeit später folgten herbe Verluste. Auch die Kryptowährungen sind abgestürzt. Es wirkt so, als ob das Thema Blockchain überverkauft wurde. Habt ihr dazu beigetragen?
Brian Behlendorf: Die ersten vier Buchstaben im Namen unseres Projekts mögen „Hype“ sein – aber ich glaube, dass wir sehr zuverlässig die Blase aufstechen, wo immer sie entsteht. Darum halten wir uns ausdrücklich aus der Welt der Kryptowährungen heraus. Wir entwickeln Systeme, die Unternehmen, Organisationen und Konsortien helfen. Es gibt einen großen Bedarf für diese Technologie, um Probleme zu lösen. Probleme, die bereits lange vor Bitcoin existierten. Wenn jetzt einiges an Lärm und Rauschen aus dem Raum verschwindet, hilft das. Denn unser Signal wird dann besser gehört werden.
„Hätte man für Bitcoin eine zentrale Datenbank verwendet, wäre so etwas wie Paypal herausgekommen.“
t3n: Viele Firmen hat der Lärm rund um die Chancen und Risiken von Distributed-Ledger-Technologien (DLT) eher verunsichert. Wieso sollten sich Unternehmen in die komplexe Technik einarbeiten?
Zuerst einmal: Blockchain ist kein magischer Feenstaub, der eine Anwendung automatisch zehn Prozent besser oder schneller macht. Wenn überhaupt, dann ist es eine sehr langsame Datenbank. Für alle möglichen Anwendungsfälle von Blockchain könnte man immer auch eine Datenbank verwenden. Hätte man für Bitcoin eine zentrale Datenbank verwendet, wäre so etwas wie Paypal herausgekommen. Das Gleiche gilt für Börsen oder Register für Grundbucheinträge. Es verursacht heute oft noch zusätzlichen Aufwand, eine Blockchain statt einer Datenbank zu nutzen. Aber: Die IT-Welt weiß genau, wie man eine Datenbank baut, wie man sie skaliert – nur eben nicht, wie man sie zuverlässig gegen Manipulationen und Hackerangriffe absichert. Das ist eine große Gefahr. Und DLT versucht, das zu ändern.
t3n: In welchen Anwendungsfällen sollten Unternehmen also auf die Blockchain setzen?
Es gibt nicht die eine Blockchain. Es geht immer darum, ein konkretes Problem für eine Gruppe von Organisationen zu lösen. Das können nur Unternehmen sein. Oder auch Firmen plus eine Regulierungsbehörde. Der eigentliche Wert einer Blockchain ist nicht so sehr die Transparenz, sondern vielmehr die dadurch mögliche Prüfung und Kontrolle. Wenn wir uns auf ein Set von Regeln einigen, dann steht mit Blockchain nun ein System zur Verfügung, in das diese Regeln einprogrammiert sind.
t3n: Den Wunsch nach mehr Regeln hört man selten von Unternehmen. Wieso sollte das in der IT anders sein?
Wenn Unternehmen in einem solchen Netzwerk zusammenarbeiten, gibt es keine Hintertüren und keine versteckten Räume. Sobald Regulierungsbehörden das verstanden haben, lieben sie die Technologie. Und Firmen geht es genauso. Als ehrlicher Akteur in einem Marktplatz leidest du unter betrügerischen Mitspielern, die mit ihrem Fehlverhalten davonkommen. Wenn diese unfairen Mitspieler jedoch auffallen und vom Marktplatz entfernt werden, hilft das den ehrlich agierenden Marktteilnehmern sehr.
t3n: Wie erkennen Unternehmen, ob ihr Marktplatz von einer Blockchain-Regulierung profitieren kann?
Es kommt auf das System an, in dem ein Unternehmen arbeitet. Die Blockchain kann sich lohnen, wenn eine Firma realisiert, dass sie in einem Marktplatz oder Ökosystem mit einer großen Zahl an Zulieferern und Konkurrenten aktiv ist. Durch die in der Blockchain verankerten klaren Regeln können alle Seiten in so einem System Vertrauen gewinnen. Und Blockchain hilft dabei, dieses Vertrauen zu verankern. Viel besser als es eine zentrale Datenbank kann.
t3n: Aber Firmen müssten dafür ihre komplette IT, manchmal sogar ihr gesamtes Geschäftsmodell auf den Kopf stellen.
Sie können durchaus einige schnelle Erfolge realisieren, ohne gleich ihr Geschäftsmodell zu ändern, in manchen Fällen ersetzt Blockchain das existierende System einfach eins zu eins. Im Diamantenhandel etwa gab es bereits Netzwerke, es gab bereits einen Regulierungsprozess, aber es gab auch die Chance, Technologie besser einzusetzen. So macht es ein Startup wie Everledger jetzt mit der Nachverfolgung der Edelsteine auf einer Blockchain. Viele der Kontrollprozesse lassen sich automatisiert in Smart Contracts abbilden. Und bei Finanzinstitutionen oder Börsen ist es ähnlich – sie nutzen Blockchain, um weiter der Schiedsrichter in ihrem Feld zu bleiben.
t3n: Also doch nur ein neues IT-Tool statt der Tech-Revolution?
In anderen Fällen kann der Blockchain-Einsatz deutlich weitergehen und zu drastischen Veränderungen führen. Nimm zum Beispiel die Frage, ob man die digitale Identität von Menschen auf einer Blockchain abbilden kann. Wenn das gelingt und dadurch mehr Selbstbestimmung der Nutzer über ihre eigenen Daten selbstverständlich wird, haben wir eine erhebliche kulturelle Veränderung. Das wird sicher länger dauern – aber es ist ein wichtiger Schritt.
t3n: Die Finanzbranche experimentiert bereits munter mit Distributed-Ledger-Technologien. In welchen Branchen sind die nächsten großen Adaptionen zu erwarten?
Ich glaube, die Gesundheitswirtschaft wird einer der nächsten großen Sektoren sein. Da geht es darum, Versicherungsfälle effizienter abzuarbeiten. Oder Krankenakten einfacher und sicherer zwischen Ärzten hin- und herzureichen. Oder die gesamte sensible Lieferkette entlang der Pharmaproduktion besser zu überwachen. Aber auch in anderen Branchen tut sich einiges. In der Telekommunikationsbranche verlieren die Konzerne jedes Jahr viele Milliarden durch Betrug beim Roaming – über eine Blockchain könnte man gestohlene Handys weltweit sperren.
t3n: Das klingt alles erstrebenswert. Warum breitet sich die Technologie trotzdem nur langsam aus?
Natürlich gibt es immer eine Menge bei der Technologie selbst zu tun, das ist fast schon selbstverständlich. Für Unternehmen geht es vor allem darum, mehr andere Firmen zu sehen, die Blockchain tatsächlich nutzen. Die auch berichten, wie sie die Technologie konkret einsetzen, welche Werte sie damit schaffen. Wir sammeln diese Geschichten, aber wir sind noch am Anfang. Viele wollen über Pilotprojekte nicht reden. Und selbst wenn es funktioniert, schweigen manche noch, um nicht zu sehr ins Scheinwerferlicht gerückt zu werden. Weil sie fürchten, dass ihnen das Unglück bringt.
t3n: Hyperledger selbst ist jetzt gut drei Jahre alt, unter eurem Schirm gibt es sechs Frameworks und sechs Tools. Was fehlt noch?
Darüber denke ich nicht allzu viel nach. Wir sind letztlich nur die Summe der Entwickler-Community um uns herum. Die entscheiden, was sie entwickeln wollen. So entsteht eine Pipeline an Projekten. Neu ist zum Beispiel eine Technologie für Lieferketten. Im Steuerungskomitee haben wir diskutiert, ob das noch zu uns passt. Schließlich müssen wir nicht alles abdecken. Aber auch das ist von der Basis gewünscht.
t3n: Code und Mitgliederzahl wachsen ständig – und die Firmen kommen aus verschiedenen Branchen. Wird es nicht immer schwieriger, alle unter einen Hut zu bringen?
Auf dem Level der Entwickler funktioniert es. Wenn es um die größten Probleme geht, die sie lösen wollen, finden sie schnell einen gemeinsamen Nenner. Das Schöne ist: Gute Entwickler sind häufig faul. Wenn jemand anderes schon an einem Projekt werkelt, arbeitet man lieber zusammen, anstatt doppelt Zeit zu investieren. Auf der anderen Seite ist Konkurrenz natürlich auch gut und wichtig. Sie hilft dabei, hohe Qualität im Code zu erreichen – und sie stellt sicher, dass kein wichtiger Bedarf ignoriert oder vergessen wird. Daher versuchen wir, die richtige Balance zu finden. Zum einen arbeiten wir so kooperativ wie möglich. Zum anderen muss auch Raum für zwei Teams bleiben, die am selben Problem arbeiten.
t3n: Brian, danke für das Gespräch.