App vs. Web
Erfolgsmodell App Store
Apple setzt mit seinen schicken Fernseh-Werbespots alles daran, potenziellen Kunden die eigene Hardware und vor allem die zahlreichen Apps schmackhaft zu machen – „Wenn Du… willst, gibt es eine App dafür“. Das war nicht immer so. In der Anfangszeit des iPhones beschränkte Apple sich darauf, das Gerät hauptsächlich durch Webapps mit Applikationen zu versorgen. Doch dann kam Apple auf die Idee, Entwickler mit dem App Store und den verlockenden Verkaufserlösen zur iPhone-Entwicklung zu motivieren und dabei auch noch selbst gut zu verdienen.
Seitdem ist der App Store ein erfolgreiches Modell zur Software-Distribution. Gleiches gilt für den Android Store, sogar einen Blackberry-App-Store gibt es bereits. Für einen Entwickler bietet die Distribution über einen App Store viele
Vorteile, da er sich nicht selbst um Dinge wie Verkauf, Zahlungsabwicklung, Werbung oder Marketing kümmern muss. Er verdient sein Geld mit dem, was er am besten kann, der Programmierung von Software.
Bei den Nutzern sind Apps zudem sehr beliebt. Das ist auch logisch: Denn sie sind – zumindest in Apples App Store – leicht zu finden (hier hat der Android Store noch Potenzial), einfach zu installieren und meist leicht zu handhaben. Außerdem funktionieren sie in der Regel auch dann noch, wenn man gerade mal kein Netz hat, was ja immer wieder vorkommt. Viele Nutzer haben sich daran gewöhnt, diese kleinen Programme herunterzuladen.
Dennoch werden Apps weitaus weniger verwendet als gedacht: Im ersten Quartal 2011 nutzten 37 Prozent aller User des mobilen Netzes in den USA native Apps, 39 Prozent dagegen konsumierten mit ihrem mobilen Gerät Webseiten im Browser [1]. Dabei sind native Apps den Webapps durchaus überlegen. Sie bieten eine gute Performance, da sie direkt mit dem Betriebssystem verbandelt sind. Als native Apps können sie außerdem alle Vorzüge des mobilen Geräts nutzen, das reicht von den (manchmal lästigen) Push-Nachrichten bis zum Zugriff auf die eingebaute Kamera.
So attraktiv das alles klingen mag, sollte man darüber nicht vergessen, dass das mobile Netz weit mehr umfasst als nur native Apps.
In Europa nicht viel Umsatz
Schaut man sich den Markt der Smartphone-Betriebssysteme an, ist dabei eine ausgesprochene Diversifizierung festzustellen, wobei Apples iOS nur im Mittelfeld rangiert. Wesentlich mehr Geräte laufen auf Symbian und der Android-Plattform [2], daneben buhlen Microsoft mit Windows Phone 7 und HP mit webOS um die Gunst der Kunden. In Zukunft werden vemutlich noch weitere Systeme hinzukommen. Zudem stellen die bereits existierenden mit unterschiedlichen Versionsständen Entwickler und Käufer vor Probleme. Welche Systeme sich dabei am Ende durchsetzen werden, steht noch in den Sternen.
Würde man einen iOS-Entwickler fragen, wie er meint, mit dieser Diversifikation umgehen zu können, würde er vermutlich antworten, dass es wenig sinnvoll ist, für andere Plattformen als für die von Apple zu entwickeln. Für Unternehmen, die in das mobile Web investieren und ein Produkt im Markt platzieren wollen, ist dies allerdings zu riskant. Zwar hat man noch im letzten Jahr kaum über die Risiken nachgedacht, als viele dachten, das iPad würde die immer mehr in Schwierigkeiten geratenen Tageszeitungen retten. Doch nun, da der Hype langsam abgeklungen ist, stellt so mancher fest, dass man sich heute bereits um Android Gedanken machen muss, morgen vielleicht um webOS.
Praxisbeispiel: Financial Times gegen Apple |
Ein klassisches Beispiel einer Webapp, die gegen die aufgezwungenen App-Store-Regeln von Apple entwickelt wurde, ist die der Financial Times (http://apps.ft.com/ftwebapp/). Financial-Times-CEO John Ridding sieht in der HTML5-basierten App „einen wichtigen Schritt in seiner Strategie, auf vielfältigen Kanälen schnellen und einfachen Zugang zum globalen Journalismus der Financial Times zu gewähren“. Die Webapp der FT präsentiert sich wie ein App, lädt Daten und Bilder |
Das iPad ist in diesem Zusammenhang ein gutes Beispiel: Es ist zwar bis heute immer noch das führende Tablet im Markt [3], jedoch vor allem deshalb, weil die Konkurrenz derzeit keine wesentlich besseren oder günstigeren Geräte anbieten kann. Da, anders als bei den Telefonen, die Subventionen durch Telefonprovider beinahe gänzlich fehlen, bleibt das Original deutlich vor seinen Konkurrenten platziert. Baut man jedoch unter hohem Kapitaleinsatz eine iPad-App und landet auf den vorderen Plätzen im App Store, bedeutet das leider nicht automatisch, dass man seine Investition auch wieder einspielen kann. Oliver Reichenstein von der Agentur Information Architects verrät im t3n-Interview, dass man zumindest in Europa nicht viel Umsatz mit iPad-Apps machen kann: „In der Schweiz ist man auf Platz eins mit 60 Downloads einer kostenpflichtigen App, in Frankreich mit 260 […] und in Finnland mit 240“ [4].
Das mobile Internet kennt keinen IE6
Genau zur Lösung solcher Plattformprobleme ist das Internet wie geschaffen – insbesondere das mobile. Es bietet eine einheitliche Plattform, die sich auf allen Geräten wiederfindet. Da mobile Webapps im Browser ausgeführt werden, laufen sie auf nahzu allen Plattformen – zumindest in der Theorie. Denn jeder Webentwickler weiß natürlich, dass Browser nicht gleich Browser ist, jedoch wissen Entwickler mit solchen Problemen umzugehen, kennen sie diese doch bereits vom Desktop. Anders als in der Desktopwelt, herrscht im mobilen Internet allerdings ein geradezu rasender Fortschritt. Handymodelle veralten schneller als der Mobilfunkvertrag abläuft, auf Smartphones laufen heute die Browser, die mit der Umsetzung von HTML5 und CSS3 am weitesten sind. Das mobile Internet kennt zudem keinen IE6, derzeit führend sind Webkit und Opera. Zwar gilt auch hier: Webkit ist nicht gleich Webkit, denn es gibt davon etliche Versionen [5] und oft unterliegen diese auch noch den Modifikationen durch Netzprovider (Branding). Trotzdem: Die mobilen Browser haben vor allem gegenüber den nativen Apps aufgeholt. Mit Technologien wie CSS3-Media-Queries (siehe Artikel ab Seite 152), HTML5-Video, Local-Storage (siehe Artikel ab Seite 164) oder browserintegrierter SQL-Datenbank nähert man sich zumindest in einigen Bereichen an.
Es gibt zahlreiche, sehr erfolgreiche mobile Webapps. Facebook beispielsweise erhält die meisten mobilen Beiträge durch seine Webapp: 18 Prozent der täglichen Posts kommen über m.facebook.com, die nativen Apps kommen nur auf jeweils 4 Prozent [6]. Twitter, dessen mobiler Nutzeranteil mit 50 Prozent extrem hoch ist, verzeichnet 14 Prozent seiner Zugriffe durch seine Webapp mobile.twitter.com [7]. Eine ganze Phalanx mobiler Webapps bietet Google an, das nicht nur durch Android mit Apple konkurriert, sondern die Idee der Webapps auch ins mobile Netz trägt. Mit dem Chromebook hat Google zudem ein Netbook auf den Markt gebracht, bei dem der Browser das Betriebssystem ist und man praktisch nur Webapps nutzen kann.
Praxisbeispiel: scribd.com – HTML5 statt Flash |
Scribd, eine Plattform zum Veröffentlichen und Lesen von Text mit starker Social-Media-Komponente, wechselte im März 2011 komplett von Adobe Flash zu HTML5 und machte die Website somit vor allem für das iPad zugänglich. Gleichzeitig setzte man eine Integration mit Facebook um. Nach eigenen Angaben hat sich durch den Schwenk zu HTML5 vor allem die Verweildauer der Nutzer auf der Seite beinahe verdoppelt (http://t.co/elOFVIt). Auf dem iPad will Scribd primär dem Apple Bookstore und Amazons Kindle-App Konkurrenz machen, in dem man, anstatt Bücher herunterzuladen, diese nun direkt im Browser lesen kann. |
Ausstieg aus dem App Store
Ein wichtiger Faktor für die aufkeimende Popularität von mobilen Webapps dürfte sein, dass sich in Unternehmen wesentlich mehr Menschen mit der Webentwicklung auskennen (oder wissen, wen sie fragen müssen), als beispielsweise mit Objective-C, der Sprache, in der iOS-Apps programmiert werden. Die Entwicklung einer nativen App ist ein mittelgroßes Softwareprojekt, in das viel Zeit sowie Geld für Planung, Management und Koordination von Agenturen oder angeheuerten Entwicklern gesteckt werden muss. Und das, wie oben skizziert, mit nur niedriger Gewinnerwartung. Dazu birgt das Ganze ein hohes Risiko: Die meisten gebrandeten Apps enden als Flop [8]. Aber auch wenn sich die App verkauft, entstehen hieraus Folgekosten für Weiterentwicklung, Bugfixing, Updates auf neue Betriebssystemversionen oder Kundensupport. Dies gilt zwar auch für Webapps, allerdings in einem wesentlich überschaubarerem Rahmen.
Ein nicht zu unterschätzender Grund für die Entwicklung einer Webapp sind auch Apples restriktive Zulassungsregeln für den App Store. Diese verbieten nicht nur nackte Haut, sondern beispielsweise auch Programme, die Funktionen nachbilden, die von Haus aus in iOS eingebaut sind. Zudem kann Apple seine Regeln jederzeit ändern und hat dies bereits in der Vergangenheit getan. Nicht zuletzt ist auch nicht jedes Unternehmen gewillt, Apple mit 30 Prozent an den Verkaufserlösen einer App zu beteiligen.
Alternative Finanzierungsmodelle, etwa ein Abonnement, sind oder waren
ebenfalls in Apples App-Kaufhaus nicht erwünscht. Auch das Verschenken
von Apps an Bestandskunden (bei gleichzeitigem Verkauf an Neukunden)
sieht Apple nicht gern. Überhaupt steht man immer in der Gefahr, nicht für den App Store zugelassen zu werden. Und dann kann es
langwierig und teuer werden. In dieser Abhängigkeit steht man nicht,
wenn man eine Webapp gebaut hat. Diese lässt sich zwar tendenziell
nur durch Werbung finanzieren, aber damit lässt sich im Netz durchaus
gutes Geld verdienen, wenn man es geschickt anstellt. Denn am Ende ist eine mobile Webapp nichts anderes
als eine sehr spezialisierte und im Userinterface als Applikation
getarnte Website.
Fazit
Native Apps sind im mobilen Internet weiterhin vorherrschend. Das hat gute Gründe, allein die Unabhängigkeit vom Netz und die gute Performance sprechen für sich. Auch für Entwickler scheinen sie der sicherere und bequemere Weg zu sein. Allerdings bieten Webapps Unternehmen weitaus mehr Unabhängigkeit und Zukunftssicherheit. Zudem entwickelt sich der Markt in Richtung größerer Betriebssystem-Vielfalt. Gründe genug also, Webapps als wichtigen Bestandteil der eigenen mobilen Strategie zu sehen.